Mo., 13.03.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Kolumbien: Unruhe in den Friedenszonen
"Wir haben unseren Teil des Friedensvertrags eingehalten, doch der Staat tut nichts. Wir haben die Waffen noch nicht abgegeben, weil Container fehlen, um sie einzusammeln. Längst müsste Kolumbien Häuser, Straßen und Toiletten für die Camps bauen. Doch es geschieht kaum etwas." Die Klage führt ein Kommandant der FARC, der sogenannten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens. Seit einigen Monaten ist der Friedensvertrag in Kolumbien unterzeichnet. Er soll einen der ältesten Bürgerkriege der Welt endgültig beenden.
Doch in vielen Friedenszonen rumort es. Bauern wehren sich, ihre Coca-Pflanzungen zu zerstören, wie es der Friedensschluss vorsieht. "Wir können Coca erst vernichten, wenn wir von legalen Produkten leben können" – behaupten sie. Dazu kommt die Angst der lokalen Bevölkerung. Rechte Paramilitärs dringen immer stärker in befriedete Gebiete ein. Sie wollen das Geschäft mit Coca übernehmen und Steuern eintreiben. Friedensaktivisten werden gezielt angegriffen und manchmal auch getötet.
Eine Reportage von Matthias Ebert (ARD-Studio Mexiko)
Tief in den Anden, wo Schotterwege zu Schlammpisten werden, entscheidet sich, ob Kolumbien Frieden findet. Hier, im Bezirk Madrigales, ist eine Einheit der ehemaligen Guerillagruppe Farc stationiert. Die Kämpfer entscheiden, wen sie in ihr Lager lassen und wen nicht. Noch immer tragen sie Sturmgewehre, obwohl sie die laut Friedensvertrag dem Staat übergeben müssten. Kommandant Ramiro Cortéz – schon in zivil – nennt Gründe dafür. "Um unsere Waffen abzugeben, brauchen wir Container der Regierung. Ihr habt die Straße gesehen: Kann man da einen Container hochschaffen, in dem unsere Waffen gesammelt werden? Die Antwort ist klar: Solange das nicht wie vereinbart passiert, geben wir gar nichts ab." Die Flagge der Farc markiert jenes Stück Land, das gemäß dem Friedensvertrag zur neuen Heimat für die Kämpfer werden soll. Gerade bauen sie ihre Hütte für Versammlungen – 200 Guerilleros organisieren ihre Sesshaftigkeit.
Die Sicherheitslage hat sich verschlechtert
Ein paar Kilometer weiter prüft Adolfo Lopez seine Koka-Sträucher. In wenigen Tagen kann die Ernte beginnen. Die erste seit Friedensschluss. "Die Farc hat früher mit ihrer Disziplin für Ordnung gesorgt. Wenn Gangster oder Kriminelle in unsere Region kamen, wurden sie kontrolliert und vertrieben." Die Cocaleros machen mit Koka ein Vielfaches an Profit – verglichen mit Kakao oder Kaffee. Viele weigern sich, so wie es der Friedensvertrag eigentlich vorsieht, ihre Felder zu vernichten. "Dank Koka können wir es uns leisten, unsere Kinder an Universitäten zu schicken", erklärt Ramiro García, Präsident von Junta St. Lucia. "Mit Koka bestreiten wir unseren Unterhalt." Jetzt, ohne die Farc, befürchtet Adolfo, dass kriminelle Gruppen in die Gegend einsickern. "Wir Bauern überlegen, was wir machen können. Denn die Regierung tut nichts. Sie sorgt nicht für unsere Sicherheit."
Auf einer Marijuana-Plantage – ein Stück weiter – hat eine Frau vor zwei Wochen erlebt, was das heißt. Aus Angst will die zweifache Mutter unerkannt bleiben. "Es war am Nachmittag, als mein Mann von einem Typen mit Kapuze erschossen wurde. Mein Mann war nur ein Bauer und hat wie ich in unserer Hütte gearbeitet. Wir fühlen uns nicht sicher. Der Mord hat uns schwer getroffen. Wir Angehörigen empfinden eine große Leere." Die Familie glaubt, dass der Täter – wie so oft – nicht ermittelt wird. "Wo wir keine militärische Präsenz mehr zeigen, hat sich die Sicherheitslage verschlechtert", meint Ramiro Cortéz, Kommandant der Farc. "Doch nun ist es allein Sache der Regierung, dieses Problem zu lösen."
Frieden und Verzeihen sind möglich
Viele Farc-Kämpfer im Camp scheinen die neuen Freiheiten zu genießen. Sie beziehen vom Staat ein Übergangsgeld, das ihnen ein ziviles Leben ermöglichen soll. Nach jahrelangem Verzicht, wird Natalia Rivera in wenigen Wochen Mutter einer Tochter. "Viele meiner Kameradinnen haben Kinder, denn jetzt erst ist die Gelegenheit dafür da. Die Kinder, die bereits geboren wurden und die die noch kommen stehen für einen neuen Prozess. Sie könnten die Zukunft Kolumbiens sein."
Eine Zukunft, die den blutigen Krieg hinter sich lassen soll, der 52 Jahre lang zwischen der Farc und dem Staat herrschte. Im Bezirk Madrigales sind die letzten Kämpfe gerade mal zwei Jahre her. Wie die meisten hier wünscht sich auch Adolfo, der Koka-Bauer, Frieden. Und das, obwohl vor fünf Jahren Adolfos Sohn Guillermo – ein Zivilist – Opfer der Gewalt wurde. Eine Bombe der Farc tötete den 24-Jährigen. "Mein Sohn wurde in Stücke gerissen. Ich musste seine Einzelteile aufsammeln. Drei, vier Kilo – mehr war nicht übrig. Das ist meine Geschichte inmitten dieses Friedensprozesses. Wegen dieser Tragödie sage ich jedem ohne Angst: Der Frieden ist möglich. Verzeihen ist möglich."
Die Farc-Kämpfer zeigen kaum Reue. Aber sie sind bereit für den Frieden. "Keinen Krieg führt man mit Seifenblasen oder Luftballons", sagt Ramiro Cortéz, Kommandant der Farc. "Ja, wir haben grausame Entscheidungen getroffen. Die Konsequenzen müssen wir tragen. Jetzt aber fühlen wir uns dem Friedensprozess verpflichtet und wollen einen Schlussstrich ziehen – für einen Neuanfang in unserem Land." Gelingt dieser Neuanfang – könnten nach 52 Jahren Bürgerkrieg neben den Toten auch die Lebenden Frieden finden.
Stand: 14.07.2019 03:18 Uhr
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