So., 25.07.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
Libyen: Kite-Surfen am Mittelmeer
Es ist ein ungewohntes Bild, zumindest eines, dass man hier nicht erwartet: Kite-Surfer an der Küste. Bisher ist es nur eine kleine Gruppe, aber wann immer der Wind stimmt, kommen sie hier zusammen. Das Surfen ist ihre Leidenschaft aber darüber hinaus noch viel mehr. Ablenkung vom Alltag in einem Land, in dem der Bürgerkrieg nicht ausgestanden ist und das wirtschaftlich am Boden liegt. Und es gibt ihnen Zusammenhalt.
Kampfgeist ist in Libyen immer nötig
Hasan will auch Kiten. Das wird schwierig. Das Brett ist das Problem. Es hat zwei Fußschlaufen. Die kleine Kite-Gemeinde ist skeptisch. "Lass uns realistisch bleiben." "Warum?" "So? Nein! Wir müssen da was verändern. Auch wenn es schwierig wird, wir finden eine Lösung." "Das Brett muss eine Art Stuhl haben." Hasan wird nicht aufgeben. Er hat schon ganz andere Grenzerfahrungen erlebt. "Ich habe mein Bein verloren. Während der Revolution 2011 als Gaddafis Truppen mit Waffen und Panzern angriffen. Ich wurde von einer Panzergranate getroffen. Da war ich noch bei Bewusstsein." Hassan kämpft sich mit aller Macht ins Leben zurück. Einen Kampfgeist, den er immer noch hat, auch hier beim Kiten. Er muss lernen, den Lenkdrachen zu beherrschen. Hasan will unbedingt an der Küsten Libyens entlangbrettern.
Hasan ist willensstark. ein erfolgreicher Geschäftsmann aus Misrata. 200 Kilometer östlich von der libyschen Hauptstadt Tripolis. Demnächst will er den größten Vergnügungspark der Stadt eröffnen Er plant die Details mit dem Bauleiter. Seit 10 Jahren Krieg, Krise, Konflikt schreit es geradezu nach diesem Projekt, sagt Hasan. "Die Stadt, die Menschen brauchen Unterhaltung. Es gibt nur wenig davon. Die brauchen wir für die Familien von Misrata und auch die Besucher, die sich in den Krankenhäusern behandeln lassen. Diese Stadt ist ein Heilzentrum im Land, mit vielen Kliniken." Hier entsteht die erste Minigolfanlage von Misrata. Hinzukommen: Wasserspiele, eine Kletterlandschaft, ein Spielplatz und noch viel mehr. Hasan ist sich sicher, dass sich seine Investition hier rechnen wird.
Sorgen um die politische Entwicklung Libyens
Derzeit verdient Hasan sein Geld mit Stahl, der mit einer Lasermaschine zurechtgeschnitten wird. Das Geschäft hat angezogen, nachdem die Kämpfe zwischen Ost- und West-Libyen im vergangenen Jahr weitestgehend eingestellt wurden. Im Dezember wollen die Libyer ein neues Parlament wählen. Normalität? Hasan glaubt noch nicht daran. "Die Lage wird sehr kritisch bleiben. Denn wir brauchen zuerst Stabilität und Strukturen. Die fehlen, also wird es keine Stabilität geben. Egal ob es zu Wahlen kommt oder auch nicht."
Stabilität sieht anders aus. Das zeigt sich auch in der Fabrik: Die Arbeiter sind geflüchtet. Muran Moustafa ist aus dem Nachbarland Niger. Er ist hängen geblieben, jetzt will er zurück in seine Heimat. "Wenn es gute Arbeit in Niger gibt, dann bleibe ich dort bei meiner Mutter. Wenn nicht, dann komme ich wieder zurück nach Libyen, verdiene Geld und kehre dann zurück nach Niger." Eine Flucht nach Europa ist für Muran derzeit keine Option. Zu teuer und die Überfahrt auf seeuntauglichen Schlauchboten zu gefährlich.
Gegensätze. Die kleine Kite-Gemeinde wirkt wie aus einer anderen Welt. Ein bisschen steht sie für die Hoffnung, dass der Waffenstillstand weiter hält. "Unsere größte Herausforderung waren die Kriege hier", sagt der Trainer. "Um hierher zu kommen mussten wir Tripolis umfahren. Das waren 400 Kilometer. Wir mussten über die Berge hierherkommen. Die Küstenstraße war geschlossen, ungefähr zwei Jahre lang." Nun können sie entspannter kiten. Auch Hasan. Nicht auf einem Kite-Brett. Vorerst. Aber immerhin. Es ist ein Durchbruch für ihn. "Ich habe ein bisschen Probleme mit der Kontrolle des Lenkdrachens gehabt. Aber es ging. Die Freude überwiegt die Schwierigkeiten. Das Leben ist schön."
Autor: Alexander Stenzel, ARD-Studio Kairo
Stand: 26.07.2021 08:50 Uhr
Kommentare