So., 29.08.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
Mali: Keine Ruhe im Krisenstaat
Said Ould Issa – ein malischer Offizier auf Patrouille im unruhigen Norden. Es sind seltene Bilder aus einer Gegend, die selbst für malische Verhältnisse als extrem unsicher gilt. Auch die malische Armee ist nicht gern in einer Region, die einst Zentrum der Aufstände gegen die Regierung war. Einer dieser Aufständischen war Issa selbst: Er kämpfte mit den rebellierenden Tuareg für die Unabhängigkeit des Nordens. Nun ist er regulärer Armee-Offizier: "Ich hatte mich der Unabhängigkeits-Bewegung angeschlossen, habe dann aber eine Ausbildung von der malischen Armee bekommen. Jetzt nehme ich einen Platz ein in unserem Land."
Ein Land gebeutelt von Unsicherheit und Krieg
Hier, in der Gegend von Kidal, hatten sich die Nomaden der Touareg 2012 erhoben und ungewollt auch den Weg für Islamisten bereitet. Beginn eines Krieges, der bis heute anhält. Immerhin: Die Bewegung der Touareg und die malische Armee sind inzwischen Teil eines Friedenprozesses. Wir sehen die erste Einheit, die aus malischen Armeesoldaten, ehemaligen Aufständischen und Milizen besteht. Vergangene Woche: diese erste Patrouille. Ein Hoffnungsschimmer, auch für Said Ould Issa: "Damit der Frieden in Mali eine Chance hat, muss die Neuorganisation der Armee schneller gehen. Das ist wichtig für uns und auch die Stadt selbst."
Nicht nur das: es geht ums ganze Land, selbst die Hauptstadt. Unsicherheit und Krieg haben tiefe Spuren hinterlassen im Leben der Menschen. Wie den Tourés. Sie haben einen Laden mit Bäckerei in Bamako. Gearbeitet wird von morgens bis tief in die Nacht in zwei Schichten. Selbst dann reicht das Geld kaum. "Wir zahlen den Laden, wir zahlen unsere Wohnung in einem anderen Stadtteil, das schaffen wir noch, bei all den Problemen. Aber dann kommt noch das Schulgeld hinzu", erzählt Landeninhaber, Baba Badou Touré.
Mangelnde Auswegen führen in die Radikalität
Hart war es immer für die Menschen in Mali, sagt seine Frau. Doch es werde immer schlimmer: "Die Unsicherheit im Land hat die Preise für Produkte wirklich steigen lassen. Jedes Mal, wenn man etwas kauft, ist es teurer. Das sind unsere Probleme", sagt Hawa Traore Touré, die ebenfalls Inhaberin des Ladens ist.
Probleme, die eigentlich eine Regierung lösen sollte. Doch die Regierungen haben sich hier selten durch entschiedenes Handeln ausgezeichnet, sondern meist durch Korruption und Vetternwirtschaft. Auch deshalb gab es Jubel, als im vergangenen Jahr das Militär gegen den demokratisch gewählten Präsidenten putschte. Mali: ein Land mit extrem niedriger Wahlbeteiligung – aber viel Frust. "Viele Malier haben sich den Radikalen wegen mangelnder Möglichkeiten und dem Wunsch nach Sicherheit angeschlossen. Das hat etwas mit der zentralen Lage Malis in der Region zu tun und dem fehlenden, dauerhaften Frieden", erzählt Aly Tounkara vom Zentrum für Strategische- und Sicherheitsstudien im Sahel.
Frankreich ist wichtiger Part im Kampf gegen Islamisten
Speerspitze im Kampf gegen die Islamisten waren bislang die Franzosen. Sie wirkten durch robustes Auftreten maßgeblich daran mit, dass Mali fast zehn Jahre lang nicht zur Beute der Islamisten wurde. Dafür wurden sie anfangs gefeiert. Vor allem die Franzosen bekommen nun aber die Enttäuschung zu spüren. Denn der Krieg geht trotz ausländischer Truppen weiter – und immer mehr Menschen sterben.
Für die Franzosen komme die Sicherheit zuerst, für die Deutschen unter UN-Mandat der Aufbau staatlicher Strukturen, sagen Experten. Sie und alle anderen bräuchten endlich eine gemeinsame Linie. Der Mali-Einsatz der Staatengemeinschaft dürfe auf keinen Fall wie der in Afghanistan enden. "Afghanistan und Mali? Das ist ja alles weit weg. Das ist eben nicht weit weg. Wenn wir die Stabilisierungs-Anstrengungen, die wir zum jetzigen Zeitpunkt machen, nicht mehr machen, dann bricht im Grunde genommen, wenn sie so wollen, der Damm und dann kommen die Probleme zu uns", sagt Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Islamisten sorgen für Flüchtlingsströme
Probleme wie Flüchtlingsströme, ausgelöst durch die Gewalt der Islamisten. Zu ihnen hat auch er gehört: Ibrahim – seinen vollen Namen sollen wir nicht nennen. Er hatte alles Mögliche gemacht, Küchenarbeit, gekellnert. Dann aber konnte er eine wirkliche Aufgabe bekommen – dachte er. Als die Islamisten in seiner Stadt plötzlich das Sagen hatten, machte er mit. Schließlich musste auch er Verstöße gegen die Scharia verfolgen, Frauen anzeigen. Dann das: "Sie nahmen plötzlich meine kleine Schwester mit. Sie hatte vor dem Haus gefegt, ohne ihr Haupt zu bedecken, ohne einen Schleier zu tragen. Sie haben auch sie einfach mitgenommen."
Die Schwester konnte er aus den Fängen der Extremisten befreien, er selbst verließ die Gruppe, floh in die Hauptstadt. Hier macht er allerhand Arbeiten und versucht, ein guter Muslim zu sein. Die Annährung an Extremisten habe nichts mit der Hinwendung zu Gott zu tun, sagt er. Es sei oft der einfachere Weg aus einem Leben, das nichts bereithalte: "Wenn man keine Arbeit hat, geht einem viel anderes durch den Kopf, ob es nun gut oder schlecht ist."
Im Kopf haben die Tourés vor allem die Zukunft ihrer Kinder. Sie sollen in Mali groß werden – es einmal besser haben. "Wir hoffen, dass all das Leiden eines Tages aufhört - das wünsche ich mir", sagt Hawa Traore Touré. Klar ist: Wenn die Internationale Gemeinschaft den Tourés bei dieser Zukunft helfen will, kann sie nicht weitermachen wie bisher.
Autor: Norbert Hahn/ARD Studio Nairobi
Stand: 29.08.2021 20:10 Uhr
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