So., 28.08.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Mexiko: Coole Miezen kämpfen für Frauenrechte
Sie vermummen sich, weil sie sich schützen wollen. Denn was die jungen Frauen tun, bricht mit Tabus. 'Michis aborteros', Miezen, die abtreiben, so nennt sich ihr Kollektiv. Frei und unverkrampft wollen sie darüber sprechen: "Hallo, ich begleite Abtreibungen bei den Michis aborteros." "Ich bin Begleiterin, weil ich 2015 eine Freundin durch eine Abtreibung verloren habe." "Ich bin Mutter, Tochter, Schwester. Ich bin Feministin in einem Vorort." "Ich begleite, weil mir eine Begleiterin das Leben gerettet hat."
Die Michis begleiten und betreuen Frauen, die mit Medikamenten abtreiben wollen oder die Gewalt erlebt haben. Ihre Mission ist: Frauen zu stärken. Also klären sie auf – in sozialen Netzwerken, auf TikTok, Instagram. Dein Körper, deine Entscheidung, posten sie und meinen: Frauen sollten das verinnerlichen. "In sozialen Netzwerken unterwegs zu sein, bedeutet für uns, dass wir ganz frei Informationen verbreiten können. Und wir erreichen hier sehr viele Menschen", sagt Michi verde von den Michis aborteros.
Hilfe für Frauen in Not
Übers Internet kommen auch Hilferufe aus ganz Mexiko. Hier schreibt eine junge Frau, sie habe ein Abtreibungs-Medikament falsch eingenommen. "Sie hat alleine zuhause Misoprostol eingenommen, ohne genau zu wissen, wie sie es einnehmen muss. Jetzt ruft sie uns um Hilfe, weil sie sehr aufgeregt ist. Wir schauen, wie es der jungen Frau geht, und dann entscheiden wir, ob wir einen Krankenwagen schicken müssen", erzählt Michi verde.
Warum es die Michis gibt? Weil Mexiko für Frauen besonders gefährlich ist. Laut offiziellen Zahlen werden im Schnitt täglich zehn Frauen ermordet. Häufig sind die Gründe männliche Eifersucht, Besitzdenken, Dominanz, sexuelle Übergriffe. Der Staat wirkt hilflos. Viele Michis haben Gewalt selbst oder im engen Umfeld erlebt. Ihre Wut und ihre Verletzung sind der Antrieb für ihre Aktionen. Manchmal müssen auch Denkmäler dran glauben, so wie heute. Sie sind ideale Flächen, um Botschaften zu verkünden.
"Die Monumente sind ja nicht lebendig, von denen verschwinden nicht zehn am Tag. Denkmäler sind aus Stein. Wir sind aus Fleisch und Blut, wir kämpfen hier und sind viel wichtiger als diese Monumente", sagt Michi verde. "Ni una mas, ni una mas, ni una assesinada mas!", rufen Demonstrat:innen. Keine Ermordete mehr, skandieren sie. Die schwarze Uniform ist auch ein Statement. "Die Vermummung bedeutet, dass das nicht unser persönlicher Kampf ist, sondern wir für alle Frauen stehen", erzählt Michi verde.
Die Gegner:innen der Michis
Und sie haben einiges erreicht: Fast ein Drittel der Bundesstaaten Mexikos hat Abtreibung inzwischen legalisiert. Ein Erfolg der Feministinnen – doch die praktische Umsetzung stößt weiter an Grenzen, besonders außerhalb der Großstädte – und Vorurteile halten sich hartnäckig. Und es gibt auch Frauen, die anderer Meinung sind, die gegen Abtreibung demonstrieren. Lebensschützerinnen postieren sich vor Kliniken, die Abtreibungen anbieten. Wer dort Hilfe sucht, bekommt mit einem Flyer ihre Sicht auf Abtreibung, die geprägt ist von Glauben und Moral.
"Ungefähr 50 Millionen Babys sterben jedes Jahr im Bauch der Mutter. Das ist der schlimmste Genozid in der Geschichte. Nicht mal alle Kriege zusammen haben so viele Menschen getötet", sagt Lourdes Varela von der Organisation '40 Tage für das Leben'. Mörderin genannt zu werden, das schmerze sie schon sehr, sagen die Michis. Vor allem aber sei es heuchlerisch: "Wir haben Frauen betreut, die kurz davor waren, sich umzubringen, weil sie so genannt wurden. Wir haben uns inzwischen dran gewöhnt, manchmal machen wir uns sogar drüber lustig. Egal, wie oft sie uns Mörderin nennen. Wir werden weitermachen."
Auch ihr konnten sie helfen. Monica ist ihnen dankbar und ist als einzige bereit, mit uns zu sprechen. Sie wurde ungewollt schwanger und hat mit Medikamenten zuhause abgetrieben. Aber nicht allein, die Michis waren bei ihr: "Es hat nicht weh getan, ich habe nicht gelitten. Ich habe mich ruhig gefühlt, wir haben uns unterhalten, geredet, geatmet. Ich habe mich währenddessen wohl gefühlt – das war eine gute Erfahrung."
Denn während das Kollektiv sich gleich kümmerte, hatte man ihr in der Klinik nur schnell die Pillen in die Hand gedrückt – als gehe es um Kopfweh. "Die sagen dir: Du musst so und so viele Pillen nach x Stunden schlucken. Alles ist superschnell. Und hinterher fragt man sich: Was haben die gesagt, wie viele Stunden, wie musst du das einnehmen?", erzählt Monica. "Das ist total üblich. Die sagen: Hier sind die Pillen, kümmere dich zuhause drum. Und deshalb führen viele Frauen den Eingriff nicht zu Ende, weil sie nicht genau wissen, was sie machen sollen. Und es gibt viele falsche Informationen über die Medikamente", sagt Michi verde. Die unzureichende medizinische Aufklärung sei oft subtiler Widerstand der Ärzte, sagen die Michis, auch deshalb müsse ihre Arbeit weitergehen.
Mit Vorurteilen wollen sie brechen. Viele Michis sind auch Mütter. Es gehe vor allem um die freie Entscheidung für alle Frauen. Deshalb posten sie auch Botschaften mit ihren Kindern, und klar, sind auch die vermummt. "Denk dran, dass auch Frauen, die schon Mutter sind, abtreiben. Das macht sie nicht zu schlechten Müttern." Mit ein paar Klicks entsteht das nächste TikTok Video – mit ihrer Botschaft an die Welt: Eigenverantwortung für jede Frau ohne gesellschaftliche Tabus.
Autorin: Marie-Kristin Boese / ARD Studio Mexiko
Stand: 28.08.2022 20:18 Uhr
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