So., 16.02.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Mexiko: Als Pflegerin nach Deutschland
Am Fuß der Berge liegt Tepoztlan, ein Ort des ewigen Frühlings, heißt es. Itamar Rojas liebt ihre kleine Stadt im Herzen Mexikos.
Abschied nach 15 Jahren Rettungsdienst
"Die Menschen sind sehr warmherzig und ich gewinne schnell Freunde. Hier ist alles immer in Bewegung, auch wenn der Ort klein ist. Es gibt viele Touristen und das macht mir Freude. Die vielen unterschiedlichen Gesichter sind etwas, das mir gefällt", erzählt Itamar Rojas, Ambulanz Tepoztlán. Doch jeder Tag auf dem Markt ist schon so eine Art Abschiedstour. Itamar will sehr bald die Heimat verlassen. "Ich gehe nach Deutschland, um als Krankenschwester zu arbeiten", sagt Itamar Rojas. "Komm doch noch bei den alten Kollegen vorbei!"
Nach 15 Jahren beim Rettungsdienst hat Itamar hier gekündigt. Die Gefühle der Kollegen sind gemischt. Sie wünschen ihr viel Erfolg, klar. Andererseits verlieren sie eine Krankenschwester, nur weil in Deutschland Pflegekräfte fehlen. "Mit Itamar geht ein Mensch, der uns hier fehlt. Sie hat viel Erfahrung und es wird schwer, sie zu ersetzen", sagt Ricardo Hernadez, Leiter der Ambulanz Tepozlán. Der Abschied ist kurz, das ehemalige Team muss raus zum Einsatz.
"Ach, es berührt mich. Ich würde gerne mitfahren. Wir machen hier alles, vom Skorpionstich über Brüche, Unfälle und Krankheiten bis hin zu Schusswunden", so Itamar Rojas.
Viel Gewalt und ungleiche Lebenschancen in Mexiko
Warum Itamar geht? Weil sie glaubt, dass Deutschland besser ist für sie und ihre drei Kinder. Als Krankenschwester hat sie nur 500 Euro im Monat verdient. Und in Mexiko gibt es ja auch viel Gewalt und ungleiche Lebenschancen. "Ich erhoffe mir ein sicheres Umfeld, in dem sie sich entfalten können, Ich denke die Bildung in Deutschland ist besser. Ich möchte versuchen für sie etwas Besseres zu erlangen", erzählt Itamar Rojas. Doch der Weg nach Deutschland ist nicht leicht. Itamar wird ihre Kinder zurücklassen müssen – mindestens ein Jahr. Nur wenn in Deutschland alles gut läuft, kann sie alle nachholen. Es bleiben nur noch zwei gemeinsame Monate.
"Ich muss meine Gefühle überwinden. Weil, es wird ihnen sehr helfen, wenn sie einmal groß sind. Verzeihung; ja, es ist sehr schwer", so Itamar Rojas.
Pauken unter Hochdruck
In Mexiko klingelt Itamars Wecker früh. Jeden Tag pendelt sie jetzt in die Hauptstadt zur Schule. Zwei Stunden per Mitfahrgelegenheit und Bus, weil ein eigenes Auto zu teuer ist. Im Carl-Duisberg-Zentrum paukt die 40-jährige jetzt unter Hochdruck das Wichtigste: Deutsch. "Wir müssen die Adjektive deklinieren, ist ein bisschen schwer für mich", erzählt Itamar Rojas.
Alle 34 Pflegekräfte hier haben bereits einen Vertrag und werden ab Mai im Saarland arbeiten. Fünf Monate dauert die Vorbereitung, finanziert durch ein Stipendium. "Ich muss sehr gut sein. Ich trage große Verantwortung", so Itamar Rojas. Deutsche ticken anders, reden anders, darum gibt es, ja: Kulturunterricht! Wie sind diese Deutschen? "Streng". "Sehr direkt".
"Nehmt das nicht persönlich, die Deutschen lassen auf der Arbeit das private und emotionale bei Seite. Das ist nicht bös gemeint", erzählt Gabriela Viveros, Carl Duisberg Zentrum Mexiko-Stadt.
"Es macht schon ein wenig Angst. So etwas, wie einfach 'Nein' zu sagen, klingt für Mexikaner sehr hart. Etwas für das man sich entschuldigen müsste. Ich kann nicht direkt 'Nein' sagen, weil ich denke, dass sich der andere dann schlecht fühlt", so Itamar Rojas.
Am Ende des Unterrichts wird Deutsch mit Spaß verbunden, mit emotionalen Worten, um die Angst vor der Sprache zu verlieren. "Ich habe drei Hunde. Sie sind klein und lärmen, ich liebe euch", sagt Itamar Rojas.
In einem Jahr kann die Familie nachkommen
Zu Hause in Tepozlan genießt Itamar jeden Moment mit ihrem zweijährigen Sohn Roy. Die Kinder werden bei der Oma bleiben und beim Vater, von dem Itamar getrennt lebt. "Ich habe keine andere Wahl. Ich bin schon 40 Jahre alt und gehöre damit zu den ältesten, die nach Deutschland dürfen. Wenn ich die Gelegenheit jetzt nicht nutze, habe ich keine weitere Chance mehr", erzählt Itamar Rojas. Noch sind es zwei Monate. Aber schon jetzt kreisen die Gedanken um das, was man mitnehmen könnte. Das Wichtigste: Erinnerungen.
"Mein Sohn liebt den kleinen Bär. Immer, wenn ich arbeiten gehe, gibt er mir etwas, damit ich ihn nicht vermisse. Vermutlich wird er mir den mitgeben", sagt Itamar Rojas.
Autoren: Xenia Böttcher/Philipp Wundersee
Stand: 16.02.2020 20:23 Uhr
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