So., 26.08.12 | 19:20 Uhr
Singapur: Moderne Sklavinnen
Maid in Singapur
Tritte, Schläge, Demütigungen - all das hat Analyn Rinonoz in Singapur als Hausmädchen ertragen müssen und dabei nur an ihre beiden Kinder und die Familie zu Hause auf den Philippinen gedacht.
Aber als sie dann auch noch stundenlang nackt im Wohnzimmer stehen muss und die Chefin ihr die Haare ausreißt, da kann sie nicht mehr.
Nun hat sie Zuflucht bei Bridget Tan gefunden. Sie hat mit privaten Spenden einen Zufluchtsort für Frauen wie Analyn geschaffen. Denn Singapurs Behörden interessieren sich kaum für das Schicksal der Hausmädchen. "Manche Arbeitgeber ziehen die Pässe der Mädchen ein, zahlen den Lohn nicht aus oder erlauben ihnen nicht, Kontakt mit der Familie zu halten. Sie können den Job nicht einfach wechseln. Dafür müssen sie ihren Arbeitgeber um eine schriftliche Erlaubnis anbetteln. Wenn der nein sagt, dann haben Sie Pech gehabt. Manchen bleibt also nichts anderes übrig, als still vor sich hin zu leiden. Das ist fast wie Sklaverei."
Rund um die Uhr verfügbar
Und das in Singapur - der Vorzeige-Metropole Asiens. Reich, modern, westlich, aber oft auch hart zu den Schwächsten. Über 200.000 Hausmädchen schuften hier hinter den Fassaden. Für viele ein Gefängnis.
Auch Waridah Priyanto wäscht jetzt Fremder Leute Wäsche, damit die drei Kinder zu Hause in Indonesien satt werden. Zwei Jahre lang hat sie die nicht mehr gesehen - Alltag eines Hausmädchens. Wenigstens zu Essen hat sie genug. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Etwa 250 Euro verdient Waridah, dafür aber ist sie rund um die Uhr verfügbar - sieben Tage die Woche. Freie Tage gibt es nicht.
Neben der Waschküche ist die Kammer für Hausangestellte. Doch selbst diese zwei Quadratmeter Privatsphäre bekommt Waridah nicht. Die Chefin hat den Raum untervermietet. Stattdessen hat Waridah eine Ecke in einem Schlafzimmer. Die chinesisch-stämmige Dame des Hauses, Lee Lei Yuk findet das völlig angemessen: "Das ist doch so am besten. Da haben wir sie immer im Blick."
Der Traum vom kleinen Paradies
Waridah Priyanto kommt aus einem Slum in Jakarta. Wer hier groß wird, der lernt, fast alles zu ertragen. Und hier werden die jungen Frauen angeworben - billige und willige Arbeitskräfte für Hongkong, Taiwan oder Singapur. Kurse sollen sie auf ihr Hausmädchendasein vorbereiten.
Auch Dewi Ranti nimmt daran teil. Sie will ihren beiden Brüdern einen Schulabschluss ermöglichen. Aber die 26-Jährige träumt auch von der großen weiten Welt und einem kleinen Paradies. "Singapur hat eine große Kultur und ist sehr reich. Alles ist sauber und die Leute sind so diszipliniert."
Zwischen Kochkurs und Küchenvokabeln scheint alles noch ganz putzig. Doch von Enttäuschungen oder gar Misshandlungen will auch Kursteilnehmerin Meria Wati, Mutter von drei Kindern nichts wissen. "Ich würde dann denken, dass meine Chefs nicht zufrieden sind. Dann muss ich noch härter an mir arbeiten und auf Gott Vertrauen. Dann wird schon alles gut." Durchhalten ist alles. Schließlich müssen die Frauen monatelang erst mal nur ihre Schulden abarbeiten - für den Vorbereitungskurs, das Gesundheitszeugnis, die Agentur-Vermittlung.
Hausmädchen zum Schnäppchenpreis
Zurück in Singapur: Zwischen Grabbeltischen in einem Shoppingcenter sind auch Hausmädchen im Angebot - zu Schnäppchenpreisen. "Nur wenig zurückgegebene Hausmädchen" - damit wirbt diese Agentur. Frauen als Ware zum Umtauschen. Die Mädchen sitzen wie auf dem Strich, um sich der Laufkundschaft anzubieten.
Frau Lee ist unterdessen genervt. Die Suche nach einer neuen Hausangestellten ist ihr lästig. Nicht allzu viel kosten soll sie, nicht vor Heimweh weinen und natürlich immer verfügbar sein: "Mit freien Tagen habe ich schlechte Erfahrungen gemacht", klagt Chlen Lee Blackshaw. "Da stehen sie spät auf, trödeln herum, bevor sie aus dem Haus gehen und kommen spät zurück. Dann sind sie müde und der nächste Tag ist gelaufen. Dann kriegt man sie nicht mal ans Staubwischen."
Frau Lee wird fündig. Yuliana ist ihr neues Hausmädchen. Ihre Chefin hat nicht mal nach ihrem Namen gefragt. Wozu auch, die Regeln sind ja klar.
Freier Tag vom Arbeitgeber nicht gewünscht
Singapur will ab nächstem Jahr einen freien Tag für Hausangestellte einführen. In Hongkong oder Taiwan ist dies längst üblich ist. Der Chef der Vermittlungsagentur "Pratama" warnt jedoch, dass komme bei manchen Arbeitgebern gar nicht gut an. "Die Familien befürchten, dass die Frauen dann Dummheiten machen, sich plötzlich einen Freund anlachen. Sie könnten schwanger werden. Dann müssten sie Singapur natürlich sofort verlassen. Tja, und der Arbeitgeber hat dann die ganze Mühe und muss noch mal eine Vermittlungsgebühr zahlen", sagt Desmond Phoon.
"Singapur kein Einzelfall"
Singapurs Arbeitsministerium spricht nicht mit uns. Die Frauen arbeiten im Privatem, da würden die üblichen Arbeitsschutzvorschriften eben nicht gelten. Die Behörden werden erst aktiv, wenn Arbeitgeber eindeutig kriminell handeln. Und Frauen wie Analyn die Kraft finden, sie auch anzuzeigen.
"Singapur ist ein schlimmes Beispiel, aber leider kein Einzelfall. Die jungen Frauen zahlen den Preis des Fortschritts. Und der Preis ist das Unvermögen menschlich zu sein", sagt Bridget Tan.
Analyn wartet derweil auf den Prozess gegen ihre Arbeitgeber. Im Frauenhaus hat sie neuen Mut gefasst. Sie möchte zurück nach Hause und dort einen Kiosk eröffnen.
Autorin: Sandra Ratzow, ARD-Studio Singapur
Stand: 22.04.2014 14:52 Uhr
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