So., 16.09.12 | 19:20 Uhr
Südafrika: Arm, frustriert, aggressiv
Anatomie eines Blutbads
21 Tage war Bergarbeiter Meshack Mzilikazi im Knast. Unschuldig eingesperrt unter Mordverdacht, wie 269 weitere Demonstranten. Kontakt nach außen gab es für sie keinen. "Ich dachte ich sterbe da drin, stammelt er. Ich dachte immer an meine Familie, die haben bestimmt geglaubt, ich lebe nicht mehr", erinnert sich Mzilikazi, der in einer Platinmine arbeitet.
Dass sie überhaupt ins Gefängnis wanderten, macht die Bergarbeiter immer noch wütend. Schließlich waren es ihre Kollegen, die im Kugelhagel der Polizei ihr Leben ließen. Das Gesetz, das es rechtlich erst möglich macht Menschen zu verhaften und ohne Anklage wegzusperren, stammt noch aus der Zeit der Apartheid.
Polizei erschoss 35 Bergarbeiter
Auf einem Berg hatten sich die Streikenden versammelt. Hier brach das Inferno los: Am späten Nachmittag. "Ich bin weggerannt und habe mich versteckt. Die Polizei schoss auf uns", erzählt Mzilikazi. Die Bilanz: 35 Tote, 78 Verletzte. Meshack war dabei, sah wie seine Kollegen nicht mehr aufstanden. Er selber musste sich auf den Boden legen, die Hände über dem Kopf.
Erinnerungen an Zeit der Apartheid
Das Blutbad erinnert schmerzlich an die Gewalt-Exzesse während der Zeit der Apartheid. Die Dämonen aus der Vergangenheit bauen sich mit Macht auf.
Bilder wie die von Father Micheal. Das Regime schickte dem Antipartheid-Kämpfer eine Briefbombe ins Exil. Noch 1990, im Jahr der Freilassung von Nelson Mandela. Father Michael verlor beide Hände.
Jetzt wirbt er für die aktive Aufarbeitung der Vergangenheit. Denn viele Wunden seien noch längst nicht verheilt, schreibt er in seinem Buch. Und diese Wurzeln seien für die Gewalt in Südafrika mit verantwortlich.
"Wir sind immer noch traumatisiert"
"Wir sind immer noch traumatisiert. Das Regime hatte uns bis zu einem gewissen Grad entmenschlicht. Was sich auch darin zeigt, dass der Polizei überhaupt ein Befehl gegeben werden konnte, scharfe Munition einzusetzen, gegen Menschen. Das zeigt, dass die Vergangenheit die Gegenwart beeinflusst und wenn wir das nicht erkennen, dann sind weitere Marikanas möglich. Genauso wie wir uns um die extremen Einkommensunterschiede kümmern müssen", sagt Michael Lapsley vom Institut zur Heilung der Erinnerungen.
Korruption an der Tagessordnung
Denn die sind nirgendwo größer in der Welt als in Südafrika. Extreme Armut in einem Land, das doch als das entwickelste in ganz Afrika gilt. Aber auch als das gewalttätigste. Nelson Mandelas Vision von der Regenbogen-Nation in der alle Menschen genug zum Leben haben, ist weit entfernt von der Realität.
Fast zwanzig Jahre hatte der regierende ANC Zeit die Lebensverhältnisse zu verbessern. Aber es profitieren nur wenige vom neuen Südafrika. Korruption, Vetternwirtschaft und extreme Einkommensunterschiede sind alltäglich. Die Mehrheit der Menschen hat schlicht die Geduld verloren.
"Wir sind doch keine Tiere"
Kein Wunder dass die Minenarbeiter immer aggressiver, vor allem aber frustrierter werden. Ihre Welt hat sich kaum verändert seit dem Ende der Rassentrennung 1994. Und noch immer leben die meisten Menschen wie Meshack Mzilikazi weit weg von ihren Familien - wie damals, als nur die, die Arbeit hatten hier wohnen durften.
"Für mich gibt es kein Leben mehr in Südafrika. Wir sind doch keine Tiere. Dass sie uns auf diese Weise umbringen", erklärt Meshack Mzilikazi.
Heilung der Wunden wird dauern
Mehr und mehr Menschen machen sich Sorgen um die Zukunft Südafrikas. Und zumindest Intellektuelle mahnen wieder und wieder das Vermächtnis Mandelas an. Doch hat die Politik noch genug Zeit den Zusammenbruch der Regenbogennation zu verhindern? Das fragt sich auch Father Michael Lapsley, selber ANC Mitglied: "Krieg und Unterdrückung haben uns geprägt, über Generation hinweg, ein generationenübergreifendes Trauma. Und deshalb glaube ich, wird die Heilung der Wunden auch noch mehrere Generationen dauern."
Noch gibt es den Stolz auf das neue Südafrika, noch hält der Kitt, Nelson Mandelas Vision von einer, freien nichtrassistischen Gesellschaft. Aber der Kitt ist brüchig geworden und immer häufiger werden die versöhnenden Töne überlagert von den fordernden, den aggressiven.
Autor: Ulli Neuhoff, ARD-Studio Südliches Afrika
Stand: 22.04.2014 14:50 Uhr
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