So., 20.10.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Ägypten: Ohne Furcht - Die Muslimschwestern trotzen dem Verbot
Das islamische Opferfest erinnert an die Prüfung Abrahams. Er soll seinen Sohn opfern. Als Gott sieht, dass Abraham dazu tatsächlich bereit ist, verschont er den Menschen und nimmt ein Tier. So heißt es in der Überlieferung. Nariman Sarhan ist mit dem blutigen Brauch aufgewachsen. Und mit der Idee, dass der Islam alle Lebensbereiche bestimmen soll. "Das Opfertier wird aufgeteilt", beschreibt sie den sozialen Hintergrund dieses Festes. "Ein Teil geht an die Familie, ein zweiter an Verwandte und Freunde und der dritte Teil geht an Bedrüftige."
"Nieder mit der Militärherrschaft"
Nariman ist 24 Jahre und lebt in einem Viertel Kairos, in dem das Leben durch eine konservative Sicht auf den Islam geprägt ist. Sie engagiert sich fast jeden Tag für die Muslimschwestern. Nur Freitags studiert sie. wenn sie nicht demonstrieren geht. Sie skandiert Slogans gegen die Armee und gegen Verteidigungsminister Al Sissi, den starken Mann Ägyptens. "Nieder mit der Militärherrschaft!", ruft sie.
Opfer sind Märtyrer
Nariman protestiert gegen eine Regierung, die hart gegen Muslimbrüder vorgeht, ihre Organisation verboten hat und ihre Führer ins Gefängnis sperrt. Viele Islamisten wurden bei Protesten getötet. Bei den Muslimschwestern heißen diese Märtyrer.
Nariman kümmert sich um eine Familie, die ihren Sohn verloren hat. 27 Jahre alt war er als er bei einer Auseinandersetzung zwischen der Polizei und Islamisten ums Leben gekommen ist. Die Muslimbruderschaft schließt einen Bund fürs Leben, der früh beginnt. Religiöse Erziehung oder Freizeitgestaltung - überall nehmen die Muslimbrüder Einfluss. So war es auch auch bei Abdurahman. Mit zwölf Jahren trat er bei und natürlich ging er für die Muslimbrüder demonstrieren. Er wurde erschossen.
"Es geht um Rache"
Der Bruder des Toten sagt: "Die Muslimbruderschaft ist undurchsichtig. Man darf nie fragen: Warum ist etwas so?" Er selbst ist vor gut einem Jahr ausgetreten. "Jeden Tag lesen wir in der Zeitung von neuen Todesopfern“, sagt Abdurahmans Vater. Wo führt das alles hin? Die Regierung hat begonnen, Blut zu vergießen, Menschen zu töten. Aber sie wird nicht gewinnen. Am Anfang kämpften die Muslimbrüder für ihre Prinzipien, für ihre Religion. Aber jetzt geht es um Rache."
Hass kennt keine Grenzen
Am 14. August wurde in Kairo ein Protestlager der Muslimbrüder geräumt. 5.000 Tote soll es laut Islamisten gegeben haben, 638 heißt es offiziell. Seither spricht die Regierung von einem Kampf gegen den Terror. Und viele Bürger kämpfen mit. Anwohner werfen Steine auf Muslimbrüder, die werfen zurück. Man sollte alle Islamisten umbringen, sagen manche. Der Hass kennt keine Grenzen.
Wir treffen Nariman mit ihrer Freundin Sarah in einem Café. Wir kennen uns, aber einem Mann im heiratsfähigen Alter die Hand zu schütteln bleibt trotzdem tabu. Manche Grenzen sind unüberwindbar. Auch diese: die Frage, ob die Muslimbrüder mit Schuld tragen an der Eskalation der Gewalt. Ich zeige Nariman Fotos, die Ägyptens Regierung an Journalisten verteilt hat. Bilder, die wir auch gesehen haben. "Jeder kann eine Waffe nehmen und eine Maske aufziehen und dann für ein bisschen Geld behaupten, er sei ein Muslimbruder. Das ist alles gelogen, das ist alles nicht wahr."
Narimans Freundin Sarah hat sich still zurückgezogen, um im Café neben uns zu beten. Wenn es um Grundsätzliches geht, ist keine Annäherung möglich. Auch deshalb wird die Gewalt vorerst nicht enden.
"Ich meinen Namen auf Arabisch auf meinen Arm aufgeschrieben, hier den Namen meines Vaters und seine Mobilnummer. Das mache ich jeden Freitag. Wenn wir demonstrieren, komme ich vielleicht ums Leben. Und so kann man gleich meine Eltern verständigen“, erklärt Nariman Sarhan.
Zweifel sind nicht erlaubt
Das Militär soll abtreten, dafür demonstrieren sie. Und für ihren islamischen Gottesstaat. Zweifel sind nicht erlaubt. Und doch gibt es bei Nariman plötzlich so etwas wie Unsicherheit: „Wir stellen uns einfach vor, dass wir etwas ändern können. Aber es ist nur ein Traum, das weiß ich. Doch irgendwas müssen wir tun.“
Islamisch soll Ägypten sein. Und der islamistische Präsident Mursi soll wiederkommen. Das wird sicher nicht passieren, das weiß Nariman auch. Trotzdem geht die Muslimschwester weiter ihren Weg. Und die Regierung bleibt auf ihrem. Aufeinander zu geht keiner von beiden.
Autor: Volker Schwenck, ARD-Studio Kairo
Stand: 15.04.2014 10:49 Uhr
Kommentare