So., 10.03.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Japan: Wie in Fukushima gepfuscht wird
J-Village in Fukushima: Von hier aus soll ungeschehen gemacht werden, was nie hätte passieren dürfen: Ein vierfacher Supergau. Jeden Tag aufs Neue fahren die Männer hinaus ins havarierte Atomkraftwerk und in die umliegenden Orte - zu einer der vielleicht größten Entseuchungsaktionen der Geschichte.
Munenori Kagaya war einer dieser Männer. Wochenlang hat er in der Sperrzone von Fukushima als Dekontaminationsarbeiter gearbeitet. Er bereut es bis heute. Mit einer Maske hat er sich geschützt. Doch diese ist eigentlich gegen Vogelgrippe. Gegen die Strahlung helfen sie nicht.
Iod, Caesium, Plutonium, Strontium gefährdet die Arbeiter von Fukushima. Die radioaktive Wolke hat vor zwei Jahren einen ganzen Landstrich unbewohnbar gemacht. Fast 100.000 Menschen mussten über Nacht ihre Häuser verlassen. Bald aber, so der Plan der Regierung, sollen sie zurückkommen.
Rückkehr der Menschen ist ein riesiges Geschäft
"Ich bin da skeptisch, die Rückkehr der Menschen ist vor allem ein riesiges Geschäft“, meint Munenori Kagaya. "Die gleichen Leute, die das Unglück von Fukushima verantworten, versuchen jetzt wieder Geld zu verdienen. Mit dem Dekontaminieren. Sie verdienen doppelt und dreifach."
Noch immer tritt aus den havarierten Reaktoren radioaktive Strahlung aus. Trotzdem: Japan will in Fukushima ein Wunder schaffen. Die Regierung will das verlorene Land komplett von Strahlung säubern. Es ist eine Fläche fast so groß wie Nordrhein-Westfalen. Knapp fünf Milliarden Euro stehen für diese Mammut-Aufgabe bereit.
Tausende Leiharbeiter im Einsatz
Tausende Leiharbeiter aus ganz Japan sind dafür angeheuert. Sie fällen verstrahlte Bäume und tragen kontaminierte Erdschichten ab. Jedes einzelne Haus muss per Hand abgewaschen werden. Ein Job, den kaum einer will, aber viele dringend brauchen.
"Es wird geschummelt und gepfuscht"
Die Männer um Mitsuo Nakamura kümmern sich um die Rechte der Dekontaminationsarbeiter. Hunderte Beschwerden haben die Gewerkschaften gesammelt. In der Sperrzone von Fukushima wird geschummelt und gepfuscht. "Die Regierung vergibt die Aufräumarbeiten an einen Generalunternehmer und der wiederum an ganz viele Subunternehmer. Jeder zwackt ein bisschen mehr Geld für sich ab. Die einfachen Arbeiter, ganz unten, sind die Dummen."
Die Gewerkschafter legen uns Verträge vor. 4.000 Euro Lohn monatlich wird den Arbeitern versprochen. Ausgezahlt aber in vielen Fällen nur die Hälfte. Ausgerechnet die Gefahrenzulage versickert im Dickicht der Subunternehmen. Und es kommt noch schlimmer: "Über Radioaktivitaet hat uns niemand aufgeklärt. Die Vorarbeiter haben immer beruhigt, die Strahlung sei gering. Erst später habe ich gemerkt, wie unglaublich gefährlich die Arbeit war. Wir haben einmal unsere Handschuhe gemessen. Das Gerät hat gleich Alarm geschlagen. Wir haben alles weggeschmissen", erzählt Munenori Kagaya.
"Für diese Arbeiten werden sogar junge Leute unter 20 eingesetzt", sagt Nakamura. "Und auch Frauen", erzählt Herr Kagaya. Er habe sogar einen geistig Behinderten gesehen. Als die Kontrolleure kamen, hätte man sie schleunigst in den Zwangsurlaub geschickt.
Zu wenig Platz für strahlenden Abfall
Fukushima - ein Knochenjob für Rentner, Frauen und sogar behinderte Menschen? Es lässt sich kaum überprüfen. Gut sichtbar dagegen ist der radioaktive Müll: Einfache Plastiksäcke werden unter freiem Himmel gelagert. Es fehlt Platz für so viel strahlenden Abfall.
"Die da oben sprechen immer vom Neubeginn. Das ist doch nur Gerede"
In einige Orte in der Sperrzone dürfen die Menschen schon wieder zurück - zum Beispiel in Naraha, nur zehn Kilometer von der Atomruine entfernt. In einem Garten haben die Aufräumtrupps die Erde ausgetauscht. Nur wofür das alles? Selbst die Eigentümer wundern sich: "In zwei, drei Jahren bin ich vielleicht schon tot. Der ganze Stress: Ich fühle mich unglaublich gealtert. Die da oben sprechen immer vom Neubeginn. Das ist doch nur Gerede", erzählt der Mann in seinem Garten. "Und die jungen Leute kommen eh nie mehr hierhin zurück. Ich laufe einmal durch den Ort und begegne niemandem. Hier ist doch kein Mensch. Was soll ich hier? Ich kann ja nicht mal was zu essen kaufen. Wenn ich meine Heimat so sehe, vergeht mir eh der Appetit."
"Ich fühle mich von vorne bis hinten betrogen
Heimat ist ein großes Wort für die Japaner. In Fukushima leben viele Familien seit 20 Generationen oder mehr. Aber werden hier jemals wieder Kinder spielen? Die Arbeiter kämpfen gegen gleich zwei unbeugsame Gegner: Japans Bürokraten, die um jeden Preis Fukushima zurückerobern wollen. Und gegen die Gesetze der Radioaktivität. All das jäten, schneiden, hexeln senkt die Strahlung häufig nur für kurze Zeit.
"Ich glaube, unsere Arbeit ist sinnlos. Die Regierung will nur zeigen, dasa sie etwas tut. Sie hofft darauf, dass die Menschen irgendwann die Strahlung vergessen. Ich fühle mich von vorne bis hinten betrogen", sagt Munenori Kagaya.
Japans Regierung hat einen straffen Zeitplan vorgegeben. In zwei Jahren soll die Strahlung rund um die Atomruine um die Hälfte reduziert sein.
Autor: Philipp Abresch, ARD-Studio Tokio
Stand: 22.04.2014 13:56 Uhr
Kommentare