So., 16.03.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Trauma Tiananmen: Wie ein Soldat das Massaker erlebte
Er hat lange geschwiegen und immer wieder versucht, den 4. Juni 1989 zu vergessen. Chen Guang marschiert im Sommer 1989 mit seiner Truppe in Peking ein. Angeblich gefährden Studenten die Sicherheit des Landes. Aber in der Hauptstadt angekommen ist die Situation ganz anders als die Propaganda glauben machen will. Die Stimmung ist zunächst entspannt, fast freundschaftlich. Die Studenten versorgen die Soldaten mit Lebensmitteln.
Chaos in Peking
Die Armee zieht sich zunächst wieder zurück. Doch dann bekommt Chen einen gefährlichen Auftrag. Als Zivilist getarnt, soll er einen Bus voller Waffen zum Tiananmen schmuggeln. Manche dieser Busse werden gestürmt, aber Chen kommt unerkannt durch. Die Stimmung schlägt um und wird aggressiv. Die Armee rückt vor. Dann fallen die ersten Schüsse, während Chen mit seinem Gewehr vor der Großen Halle des Volkes steht. "Das war der schrecklichste Moment. Ich wusste: Eine Fingerbewegung reicht, ich muss nur den Abzug drücken dann stirbt ein Mensch. Diesen furchtbareren Druck, diese Angst spüre ich heute noch", erinnert er sich.
Chen wird die Erinnerung nicht los: an das Chaos, die Schüsse - überall in der Stadt. Menschen sterben. Wie viele, ist bis heute ein Geheimnis. Filmaufnahmen von damals werden heute zensiert. Diskussionen über das Massaker sind verboten, wer daran erinnert, wird verfolgt.
"Wo waren die Aufständischen?"
Chen hat damals im Auftrag der Armee fotografiert. 70 Rollen Film gibt er ab. Drei behält er, versteckt sie, schaut sie jahrelang nicht an. Aber die Erinnerung quält ihn, das Schweigen und die vielen Fragen, die er nicht stellen darf. "Damals habe ich mich schwach gefühlt mit meinem Gewehr in der Hand. Ich hatte Angst. Heute weiß ich, dass die Studenten die eigentlich Schwachen waren und ich habe mich immer gefragt: Wo waren die Aufständischen, von denen immer die Rede war? Die sogenannten Kriminellen? Ich habe damals keine gesehen und bis heute nicht gefunden."
Regierung verändert das Bewusstsein der Menschen
Chen wird ein anerkannter und erfolgreicher Maler. Kaum einer weiß von seinem Einsatz am Tiananmen. Erst 2004 beginnt er, seine Fotos von damals zu malen. 60 Bilder entstehen. Ausstellen aber kann er sie nicht, denn Galleristen wenden sich von ihm ab. Ein paar Gemälde schmuggelt er außer Landes, die anderen versteckt er. "Manche sagen, meine Bilder seien eine Gefahr für die Gesellschaft. Viele denken so und das zeigt wie mächtig die Propaganda ist. Die Regierung verändert das Bewusstsein der Menschen und ihre Werte. Und heute glauben viele, dass unser Land damals tatsächlich vom dem Untergang stand", sagt Chen Guan.
Heute erinnert am Tiananmen nichts an das Massaker. Aber so sehr sich die kommunistische Partei auch bemüht, dass ihr Verbrechen in Vergessenheit gerät - so wie Chen erinnern sich Unzählige an den 4. Juni und warten darauf, dass irgendwann jemand Verantwortung übernimmt.
Autorin: Christine Adelhardt, ARD-Studio Peking
Stand: 29.07.2015 13:53 Uhr
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