So., 16.11.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Ukraine: Brüchige Waffenruhe: Mit russischen Freiwilligen an der Front
Sympathiewerbung in Moskau für die Separatisten in der Ost-Ukraine. Eduard Limonow, ein bekannter russischer Nationalist, wirbt um russische Freiwillige und zeigt Gruppenfotos russischer Freiwilliger, die im Donbass angeblich gegen die Faschisten kämpfen sollen - für die bedrohten Russen. Viele junge Männer hören aufmerksam zu. Heldenhaft kämpfen für die gute Sache - so haben sie es im russischen Fernsehen immer wieder gesehen.
"Die Ukrainer haben einfach angefangen"
Valentin ist einer dieser freiwilligen Kämpfer. Er hat in Moskau seine Frau abgeholt. Elina will ihren Mann zur Front begleiten. Das russische Paar lebte in Lettland, fühlte sich dort diskriminiert und darum wollen sie nun den Russen im Donbass helfen. "Jetzt wird ein Traum wahr. Ich tue endlich das Richtige", sagt Margo. Valentin fügt hinzu: "Die Ukrainer haben doch einfach angefangen, friedliche Städte zu bombardieren: Donezk, Lugansk. Ich habe meine Seite gewählt."
Es ist die Seite des "ruski Mir", der "russischen Zivilisation", die sich im Krieg mit Kiew und den USA befindet, glaubt das Paar.
Elina soll im sicheren Lugansk humanitäre Hilfe organisieren. In den Wohnungen geflüchteter Anwohner sammeln sich jetzt russische Freiwillige auf dem Weg zur Front, die nur eine halbe Stunde entfernt ist.
Schnellkurs mit der Kalaschnikow
Das Freiwilligen-Batallion "Morgenröte" hat etwa 500 Kämpfer. Ein Zug des Batallions, etwa 50 Männer, hat in einer ehemaligen Fabrik sein Basislager. Die meisten ihrer alten Panzer liegen brach, ein einziger ist zurzeit einsatzbereit.
Jura ist gemeinsam mit Valentin angekommen. Er ist zum ersten Mal an der Front. Er bekommt einen Schnellkurs mit der Kalaschnikow. Seine Grundausbildung liegt lange zurück. Wie lange er bleiben wird, weiß er noch nicht. Jura hat Mühe, seine Trefferquote ist bescheiden. Doch hier zählt weniger Professionalität als Überzeugung: "Ich bin gekommen, weil ich das im Fernsehen einfach nicht mehr ansehen kann. Hier leben doch Menschen und die bringen sie um. Ich kam her, so schnell ich konnte."
Kaum eine Chance gegen kampferprobte Ukrainer
Noch in derselben Nacht nimmt Jura wieder ein Gewehr in die Hand. Doch diesmal ist es ernst. Valentin hat sich an der Hand verletzt, er kann nur helfen beim überraschenden Aufbruch. Ihre Vorposten wurden von ukrainischen Einheiten angegriffen, jetzt sollen alle Männer des Zuges zur Front, um den Angriff abzuwehren. Doch fast alle von ihnen werden an diesem Tag umkommen.
Am kommenden Morgen bringt ein kleiner Stoßtrupp Munition und Minen zur Frontlinie. Die ganze Nacht schon beschießen ukrainische Einheiten das verlassene Dorf an der Frontlinie mit Granaten. Die Männer sind unruhig, der intensive Beschuss könnte einen Angriff vorbereiten.
Der 21-jährige Andrej ist schon eineinhalb Monate als Freiwilliger hier. Über Neujahr will er Urlaub zuhause machen, sagt er. Dort wartet auch seine Freundin, die er nur manchmal übers Internet erreicht. Auch er glaubt, das Richtige zu tun: "Ich habe die Bilder doch im Fernsehen gesehen. Die Jungs hier brauchen Hilfe. Ohne uns Freiwillige hätten die Ukrainer den Donbass doch längst erobert."
Der einzige Schützenpanzer flieht kurze Zeit später aus dem Dorf an der Front: Sie sind tatsächlich von zwei ukrainischen Panzern angegriffen worden, berichten die Überlebenden, die am nächsten Checkpoint provisorisch versorgt werden. Auch Jura hat es zurück ins Basislager geschafft, mit Granat-Splittern im linken Arm. Gegen die kampferprobten Ukrainer hatten die meist jungen russischen Freiwilligen offenbar keine Chance.
Tausende werden wahrscheinlich nachrücken
Jura wird ins Hospital gebracht, er wird so bald nicht mehr kämpfen. Er hat einen Tag lang die Realität erlebt. Aber Tausende andere werden wohl nachrücken - die, die russisches Fernsehen schauen.
Autor: Udo Lielischkies, ARD-Studio Moskau
Stand: 05.01.2015 09:24 Uhr
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