"Ein blutiges Spektakel"

Philipp Abresch im Interview

Philipp Abresch
Philipp Abresch | Bild: Das Erste

Auf diesem Dreh bei den Walfängern im indonesischen Lamalera wurden Sie mit einer sehr archaischen Tradition konfrontiert. Wie haben Sie die Fangmethoden der Fischer erlebt? 

Für jeden, der Tiere mag und schützen will, erscheint die Jagd grausam. Ein Manta, ein Walhai, das sind wunderschöne Tiere. Ich habe sie oft schon bei Dreharbeiten auch Unterwasser erlebt, zuletzt in Palau – Eindrücke, die ich mein Leben lang nicht vergessen werde. Nun also stehe ich daneben, wie ein solcher Manta mit der Harpune erlegt wird. Ein blutiges Spektakel. Trotzdem kann ich verstehen, was die Fischer antreibt. Für sie geht es ums Überleben. Sie ernäheren mit dem Fang von Mantas, Haien und Walen die Menschen im Dorf.

Es geschieht alles mit bloßen Händen, mit einer rostigen Harpune und einem Rohr aus Bambus. Wir reden also nicht von industriellem Fang wie etwa bei der japanischen Walfangflotte. Auch die Fangmengen sind vergleichsweise niedrig. Der Walfang in Lamalera ist sicher nicht ausschlaggebend dafür, dass manche Meereslebewesen vom Aussterben bedroht sind. Walfang, wie ihn die Fischer in Lamalera betreiben, wird übrigens von der Internationalen Walfangkommission (IWC) als "aboriginal whaling" eingestuft. Zwar ist Indonesien nicht Mitglied dieser Kommission. Aber laut IWC-Statut wäre ein solch traditioneller Walfang wie in Lamalera erlaubt. 

Indonesien ist ja ein zunehmend boomendes Land. Gäbe es für die Menschen auf der Insel nicht auch andere Möglichkeiten, die Ernährung sicher zu stellen? 

Die Insel Lembata ist nicht besonders grün. Es gibt ein paar Vulkane. Aber trotzdem sind die Böden dort nicht besonders fruchtbar. Eher steinig. Es ist schwer, auf der Insel Landwirtschaft zu betreiben. Also leben die Menschen vom Ozean, vom Manta, Orka, Delfin und eben vom Wal. Es hat Versuche gegeben, für die Menschen in Lamalera andere Einnahmequellen zu finden, zum Beispiel den Tourismus. Anderswo, etwa in Donsol auf den Philippinen, hat das ansatzweise geklappt. Dort halten die Fischer weiterhin nach Walhaien Ausschau. Aber nicht, um sie zu jagen, sondern um sie Touristen zu zeigen. Ein einmaliges Erlebnis, das den Menschen das Überleben ermöglicht. Wal-Tourismus in Lamalera – bisher gibt es so etwas dort nicht. 

Welche Rolle spielt der Glaube für die Menschen in Lamalera? 

Karolus, Gregorius, Petrus: Namen, wie aus der Bibel. Sie verraten: Die Walfänger sind sehr fromme Menschen. Fast alle in Lamalera sind Katholiken – eine Besonderheit in Indonesien, das ja überwiegend muslimisch geprägt ist. Einer der ersten Missionare war ein Deutscher. Er hat über Jahrzehnte mit den Walfängern gelebt. Ihm zu Ehren steht heute eine Statue auf dem Dorfplatz: der Priester mit erhobenem Zeigefinger. Der Glaube begleitet die Menschen auch bei der Jagd. Bevor die Männer in See stechen, wird das Boot gesegnet, auch die Leinen der Harpunen. Der Walfang an sich ist religiös aufgeladen. Die Fischer glauben, der Wal sei ein Geschenk Gottes. Das Geschenk nicht anzunehmen, wäre undankbar. Der christliche Glaube mischt sich in Lamalera mit naturreligiösen Elementen. Alles, was auf See geschieht, hat einen Grund, glauben die Walfänger. Wer Ärger mit aufs Boot bringt, wer nicht mit reinem Herzen auf den Ozean fährt, zieht das Unheil an. 

Wie erklären sich die Fischer das Ausbleiben der Wale? 

Die Walfänger haben in den vergangenen Jahren immer weniger Wale gefangen. Vor hundert Jahren waren es vielleicht noch 50 oder 60 grosse Pottwale, die die Männer erlegt haben, heute sind es vielleicht noch zehn. Die Walfänger glauben, dass die Überfischung der Meere schuld ist. Die Wale, die früher an Lamalera vorbeigezogen sind, finden dort immer weniger Futter. Inzwischen fahren die Fischer 15 oder 20 Kilometer aufs Meer hinaus, um überhaupt Tiere zu finden.

Ist diese Tradition des Wal- und Fischfangs tatsächlich in Gefahr? 

Der alte Walfänger Yohanes sagt, Walfang in Lamalera wird es geben bis ans Ende der Welt. Ob das so ist? Es stimmt, der Walfang hat Lamalera über hunderte von Jahren geprägt. Er ist fester Bestandteil des sozialen Lebens im Dorf. Es gibt kaum Bargeld. Als Währung gilt hier ein Stück Fleisch vom Wal oder vom Manta. Was nicht im Dorf verteilt wird, das wird getauscht auf dem Wochenmarkt. Gegen Hühnchen, Reis, Obst, Gemüse. So ist über die Jahrhunderte ein einzigartiges Miteinander entstanden.  Die alten Traditionen werden bis heute gepflegt.

Die jungen Männer im Dorf wollen nicht Rockstar, nicht Fussballstar werden, sondern Lamafa. Das ist der Mann mit der Harpune, der den Wal erlegt - ein höchst respektierter, zugleich enorm gefährlicher Job. Es fällt also schwer, sich Lamalera ohne den Wal vorzustellen. Aber das Leben verändert sich auch. Seit einigen Jahren gibt es Strom, Telefon, sogar eine schmale Strasse, die durch den Dschungel in die nächste grosse Stadt, nach Lewoleba, führt. Manche junge Menschen wollen raus. Am Horizont bläst vielleicht der Wal. Dass sich hinterm Horizont aber noch viele andere Welten auftun, das wird den jungen Menschen in Lamalera erst jetzt mehr und mehr bewusst.

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