So., 17.05.15 | 19:20 Uhr
Das Erste
Finnland: Ungewöhnliche Musiker im Rampenlicht
Foto-Session mit Proben-Musik und Journalisten-Fragen – so ist es eben, wenn eine Band vor ihrem nächsten grossen Auftritt steht. Unzählige dieser Termine absolviert die Band Pertti Kurikan Nimipäivät in diesen Wochen. Die größte finnische Tageszeitung hat ihre Kulturredakteurin vorbeigeschickt, etwas später dreht dann das finnische Fernsehen. Und wieder einmal wollen sie wissen, warum diese vier Musiker unbedingt Punk machen wollten: "Wir können unheimlich viel von unserer Wut loswerden, erzählt Kari der Sänger, wenn die Dinge für uns mal schlecht laufen", sagt Sänger Kari Aalto.
Vom Modell- zum Erfolgsprojekt
In einem Probenraum beginnt ihre Geschichte. 2009 gründen sie die Band – ein Modellprojekt. Seitdem üben sie fast täglich. Wenn Sänger Kari nicht probt, dann verbringt er seine Freizeit am liebsten mit seinen Freunden aus dem Motorradclub. Er ist der einzige, der nicht Motorrad fahren darf, aber die anderen Clubmitglieder ihm immer das Gefühl, einer von ihnen zu sein. Hier kann Kari am besten entspannen: "Die ganze Zeit geht es von einem Termin zum nächsten. Die ganze Zeit muss ich unheimlich viel singen. Immer ist es schrecklich eilig, alles passiert immer in Eile", erzählt Aalto. Am meisten freut sich Kari, wenn seine Freunde die Motorräder starten - weil sie so schön Krach machen.
"Wir sind anders, und anders zu sein, ist immer gut"
Es ist ihr Durchbruch, als die Punks den nationalen Vorentscheid gewinnen, um für Finnland beim Eurovision Song Contest anzutreten. Sie erringen fast 38 Prozent der Stimmen. Vier Musiker mit Handicaps, deren Lied ziemlich schräg daherkommt. Sami Helle schaut sich den Auftritt immer wieder gerne an. Er ist in den USA aufgewachsen, lebt jetzt in einer Wohngruppe – wie Tausende Menschen mit Behinderung in Finnland. "Wir sind anders, und anders zu sein, ist immer gut. Und wir sind noch nicht überall bekannt. Wir wissen nicht, wie Europa auf uns reagieren wird, wir wissen auch nicht, wie die Zuschauer abstimmen werden, über vier Jungs mit geistiger Behinderung", sagt Helle. Seit der Gründung spielt er den Bass. Die Band, das sei nicht nur irgendein Hobby, betont er: "Für mich ist das Arbeit, deshalb müssen wir uns auch nicht mögen."
"Sie können doch viel mehr als nur Schrauben und Muttern eintüten"
Nach der Arbeit in der Band verbringt Toni Välitalo der Schlagzeuger seine Freizeit am liebsten auf der Bowlingbahn. Er ist der einzige der vier Musiker, der noch bei seinen Eltern lebt. Mit seinem Vater kommt er so oft zur Bowlingbahn. Und Senior Kyösti Välitalo ist mächtig stolz, dass sein Sohn für Finnland spielt. "Obwohl es Menschen mit Behinderung auch bei uns nicht einfach haben", fügt er hinzu. "Wenn man zum Beispiel an die Wohnsituation denkt und die Beschäftigungsmöglichkeiten. Sie können doch viel mehr als nur Schrauben und Muttern eintüten.“
Abschiedsfest in der österreichischen Residenz ein paar Tage später. Die Botschafterin hat geladen – und viele wollen die ganz besondere Band treffen. Wieder will jeder ein Foto, ein Interview, den Musikern ganz nah sein. Doch zuweilen stehen die Hauptpersonen ein wenig verloren zwischen all den gut meinenden Menschen. Dass die vier mit ihren Handicaps vorgeführt werden, dass sie gar benutzt werden, will Tonis Vater aber nicht gelten lassen. Sein Sohn habe lange genug am Rand gestanden: "Ich finde das ganz großartig. Das ist doch eine tolle Sache. Dass sie endlich diese öffentliche Aufmerksamkeit bekommen für ihre Reise nach Wien."
Der Trubel in der Heimat ist erst der Anfang. In Wien werden die vier Punks aus Helsinki noch sehr viel mehr im Rampenlicht stehen. Weil ihre Musik ein wenig anders ist, und sie es auch sind.
Autor: Clas Oliver Richter, ARD-Studio Stockholm
Stand: 18.05.2015 12:00 Uhr
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