So., 17.05.15 | 19:20 Uhr
Das Erste
Griechenland: Das schlechte Image der Reeder
Europa spricht seit Beginn der Krise viel über griechische Reeder, und zwar meistens schlecht: Steuerhinterzieher! Superreiche! Vaterlandsverräter! Die Wut und der Frust über und auf sie seien selbst in der griechischen Bevölkerung groß. Stimmt das alles eigentlich?
"Willkommen in Piräus, dem größten Passagierhafen des Mittelmeers: Er ist mein Königreich. Ich zeige Ihnen den Hafen", sagt Nicos Vernicos. "König" Nicos Vernicos ist hier groß geworden und mächtig. Von Piräus aus regiert er gemeinsam mit seinem Bruder ein international erfolgreiches Reederimperium, und zwar schon in vierter Generation. Mehrere Hundert Seemänner arbeiten für die Vernicos-Brüder – wie viele es genau sind, darüber redet "man" nicht so gerne.
"Keine Regierung kann Handelsschifffahrt Regeln auferlegen"
Dass Nicos Vernicos ein Patriot ist, der natürlich Steuern zahlt, das versichert er uns immer wieder. Die Finanzkrise und die harte Konkurrenz aus China oder Deutschland beobachtet der Geschäftsmann eher gelassen: "Die griechische Handelsschifffahrt hat gelernt, sich in einem freien und ehrlichen Wettbewerb zu behaupten, und deshalb fürchtet sie nichts. Sie hat sich weltweit ausgebreitet und keine Regierung kann ihr Regeln auferlegen." Die Griechen unterhalten derzeit die weltweit transportstärkste Flotte., mit rund 300 Millionen Tonnen Ladung pro Jahr.
"Das ganze Leben ist ein Kampf"
Luxuriöse Boote schmücken den Hafen der Insel Poros. Giorgos Vernicos, der Bruder von Nicos Vernicos, ist zur Eröffnung der Yacht-Saison gekommen. Krise? Welche Krise? Dabei rutschten in den vergangenen Jahren sehr viele Menschen in die Armut. "Tja, das ganze Leben ist ein Kampf", meint Vernicos. "Alle Menschen träumen von einer besseren und gerechteren Welt. Gleichzeitig versuchen wir, in einer Welt zu überleben, die weder perfekt noch gerecht ist.
"Das Problem muss die Politik lösen"
Die einen eröffnen die Yacht-Saison, während sich die Einheimischen mühen, auch in diesen schwierigen Zeiten irgendwie zu überleben. Wünschen Sie sich denn nicht, dass Reiche mehr Opfer bringen?, fragen wir einen alten Mann. "Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Tun das denn die Reichen in Deutschland? Nehmen wir Deutschland als Beispiel. Oder interessiert ihr euch nur für die negativen Eigenschaften der Griechen?", sagt er.
Familie Koulis betreibt eine kleine Metzgerei. Für sie sind nicht die niedrigen Steuern für Reeder das Problem: "Wenn sie unter anderer Flagge fahren, kann sie niemand verpflichten, hier Steuern zu zahlen. Und dann gehen sie wegen noch niedrigerer Steuern nach England. Warum dürfen griechische Reeder in London sitzen? Das Problem muss die Politik lösen, Zugunsten Griechenlands."
Freiheit für "Taxifahrer der Meere“
"Taxifahrer der Meere", so nennt sich Giorgos Vernicos. Bescheiden will er rüberkommen, der Reeder, der auch im Yacht-Geschäft erfolgreich ist. Er sitzt in zahlreichen Verbänden und hat Einfluss. Das soll auch so bleiben. Freiheit für uns "Taxifahrer“ fordert Vernicos. "Die griechischen Reeder fahren traditionell auch unter ausländischer Flagge, damit sie wettbewerbsfähig sein können. Und damit sie sich nicht einschränken müssen, und der Staat sich auch nicht zu sehr in die Geschäfte einmischen kann.
Beitrag für Heimat mehr als ausreichend
Oft sehen sich die beiden Brüder nicht – die Unternehmer sind viel beschäftigte Herren. Obwohl beide im Rentenalter sind, versuchen sie noch immer, Macht und Einfluss in der Politik geltend zu machen. Sie sind sich einig: Ihren Beitrag für Ihre Heimat finden sie mehr als ausreichend. "Die griechischen Schiffe machen die Hälfte der europäischen Flotte aus. Wir müssen sie schützen und fördern. Wir haben mehrfach bewiesen, dass wir unserer Wirtschaft helfen, nicht nur durch Arbeitsplätze, sondern auch durch unsere Steuergelder", erklärt Giorgos Vernicos.
Besteuert wird nicht der Gewinn der Reeder, sondern die Transportgröße der Schiffe. Egal was und wieviel sie transportieren. Das kommt die Schiffseigner recht günstig. Allerdings ist die Tonnagesteuer international weit verbreitet, auch in Deutschland. Und deshalb lässt sich Nicos Vernicos nur ungern an den Pranger stellen. Der Unternehmer macht sich große Sorgen um seine Heimat, um das "Schiff Griechenland": "Ich habe mit Ministerpräsident Alexis Tsipras einen sympathischen Kapitän, charismatisch, aber unerfahren, mit einer Besatzung, die nicht nur unerfahren ist, sondern sich auch noch widerspricht. Bei einem Schiff, mit einer solchen Crew, habe ich Angst, dass unser 'Schiff Griechenland' auf Grund läuft."
Der beste Freund des Armen ist der Chef
Freund der Sozialisten ist Vernicos nicht, aber Berührungsängste hat er auch keine. Er nimmt uns mit nach Exarchia, einem Athener Stadtteil, dominiert von Links-Radikalen. Trotz seines Lebens umgeben von Mächtigen und Reichen hat der Multimillionär ausgerechnet hier seinen Friseur. Giorgos Tzavellas frisiert ihn schon seit Jahren. "Ich, als Reicher in vierter Generation, habe nie Menschen getroffen, die Abneigung oder Hass gegen Reiche haben. Im Gegenteil: Die Leute sind der Meinung, dass die Reichen, die keine Neureichen sind, die besten Freunde der Armen sind. Der beste Freund des Armen ist der Chef."
Dass die Krise Leute wie Tzavellas und Superreiche wie Vernicos unterschiedlich hart trifft – daran hat sich der Friseur gewöhnt. "Ich finde das nicht ungerecht. Meine Familie hat schon die Befreiung Griechenlands 1821 miterlebt. Und wer seitdem hier lebt, wundert sich über nichts mehr. Dafür kennen wir das System zu gut."
Griechische Politiker sollten von den Reedern lernen
Tja, das System Griechenland. Giorgos Vernicos findet übrigens, griechische Politiker sollten von den Reedern lernen, wie man erfolgreich regiert. Auf Poros feiern sie indes weiter, die Krise scheint für den Moment vergessen. Sie hoffen, dass die Regierung ihnen keine neuen Regeln auferlegt. Doch trotzdem wissen sie alle: Der Weg Griechenlands aus der Krise ist noch weit.
Autorin: Ellen Trapp, ARD-Studio Athen
Stand: 18.05.2015 11:33 Uhr
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