So., 21.05.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
Neuseeland: Auf Teamgeist trainiert
Neuseeland scheint das Gegenmodell zu Europa zu sein. Hektik weicht Entspanntheit, Konkurrenz einem Miteinander. Auch statistisch lässt sich das beweisen: beim Glücksindex liegt das Land besser als die meisten Länder in Europa, sechs Plätze vor Deutschland. Das liegt wohl auch daran, dass die Neuseeländer von klein auf regelrecht trainiert werden auf Teamgeist, Flexibilität und aufs Entwickeln neuer Ideen. Schon in der Grundschule fängt es an.
"Wir wollen die Kinder auf das Leben vorbereiten"
IIch bin neugierig, denn ich habe gehört, dass Grundschule hier anders funktioniert. Ich merke schnell, dass Soft Skills hier genauso wichtig sind wie das ABC. "Wir wollen die Kinder auf das Leben vorbereiten", sagt Lehrerin Mary Laurence von der Vauxhall School. "Es geht darum, wie man miteinander umgeht, wie man Beziehungen aufbaut." Klassenlehrerin Mary Laurence beginnt mit einem Ritual: "Wer kann mir die Werte unserer Schule nennen?" "Verantwortung, Widerstandsfähigkeit, Respekt", sagt eine Schülerin. "Was ist mit Widerstandsfähigkeit? Weil, das ist so wichtig für das Leben! Liviana?" "Wenn jemand von einem anderen geärgert worden ist, versucht man zu helfen." "Genau."
"Das ist ein Buch über das Nett-sein. Stellt euch eine Welt vor, in der alle nett zueinander sind. Wie können wir das erreichen?" fragt die Lehrerin. "Schenkt jemandem einfach ein Lächeln. Oh, das ist ein schönes Lächeln. Manchmal haben Menschen schwere Zeiten erlebt. Wie können wir sie willkommen heißen? Könnt ihr Bilder zusammen malen? Wir haben an dem Tisch dahinten zwei Kinder, die malen. So können sie besser zuhören."
Erst- und Zweitklässler sind zusammen im Unterricht
"Warum sitzen da zwei Kinder am Tisch?" fragt sich die Korrespondentin. "Man kann denken: Das Kind muss gefälligst auf dem Teppich sitzen, um zu lernen und das setze ich jetzt durch", erklärt Mary Laurence. "Aber wenn es Schwierigkeiten damit hat, kann es mir dann überhaupt zuzuhören? Lernt es dann was? Oder ich akzeptiere, dass es einen Grund gibt, warum es das gerade nicht so gut kann. Ich muss schauen, was das Kind braucht." "Und die anderen Kinder sagen nicht, das ist doch unfair?" "Das muss Normalität werden, dann gewöhnen sie sich daran. Die Schüler machen das richtig gut, weil wir viel darüber reden, dass jeder von uns einzigartig und besonders ist, dass wir alle zusammengehören und uns doch unterscheiden. Und das feiern wir!" "Es geht also um Toleranz?" "Ganz genau, dass wir alle verschieden sind."
"Was ich jetzt machen werde, ist, ich werde mit dem Gruppen-Unterricht beginnen." "Okay, Sie haben also kleine Gruppen, die zu Ihnen kommen." "Ja." "Wenn du hier zu mir kommst, dann reden wir mal, wie es so läuft und manchmal lernen wir auch ein bisschen zusammen. Ist das ok?" "Ja", sagt James. "Wie spielt man das Spiel noch mal?" "Wir legen sie in die Mitte.", erklärt James "Sehr cool." "Hab nichts." "Oh, Totenkopf. Totenkopf. Jetzt kannst du die auf den Stapel legen."
"Und hier geht es wieder hoch. So müsst ihr das bitte machen. Zeigt es mir mit euren Fingern. Ja, gut gemacht." Erst- und Zweitklässler haben zusammen Unterricht. Und es ist erstaunlich leise in der Klasse, während die einen lernen und die anderen spielen. Fast ein bisschen zu idyllisch aus, zumindest für mich, auf Effizienz gepolte Deutsche. "Heißt das, die Kinder können hier machen, was sie wollen?" "Es ist schon SEHR strukturiert", sagt die Lehrerin." Wir stellen Material zur Verfügung, das sie speziell nach dem Lehrplan in Natur- und Geisteswissenschaften und Bewegung fördert. "Können die Kinder am Ende der Grundschule so wirklich gut rechnen, lesen, und schreiben?" "Absolut, weil das alles beim Spielen passiert. Wir haben die strukturierte Alphabetisierung, die Zahlenkenntnisse. Und wenn die Kinder draußen mit den Assistenzlehrern spielen, dann arbeiten wir hier drinnen mit Einzelnen genau auf ihrem Leistungsniveau. Heute hatte ich eine Gruppe, die ganze Kapitel lesen kann. Und eine andere, die noch Buchstaben-Laute übt. Wir holen die Kinder da ab, wo sie stehen."
Kaum Leistungsunterschiede zwischen Jungen und Mädchen
Vielleicht schneiden in Neuseeland deshalb Kinder von Eingewanderten genauso gut ab, überlege ich. Auch zwischen Mädchen und Jungen gibt es kaum Leistungsunterschiede. Und bei Pisa liegen sie sogar vor uns. Aber jetzt geht’s erst mal zum Pool wie fast jeden Tag. Und immer wieder gibt es sooo viel Lob! "Wir haben heute über Widerstandsfähigkeit gesprochen. Sie wollte nicht ins Becken, und dann ist sie doch noch rein gesprungen. Gut gemacht, Zoe. Danke." … "Marlow, komm bitte rüber. Du hast fünf Sekunden. 1,2,3,4,5. Lennox, wenn du dich nicht benimmst, wirst du rauskommen müssen. Gut. Sehr gute Entscheidung."
Mir fällt auf, dass Mary schon streng ist, aber sie verpackt das immer irgendwie total positiv. Das färbt auch auf die Kinder ab. "Ich hole sie jetzt rein. … Aufstellen bitte. Sehr gut. Was für eine wunderschöne Reihe." "Was macht ihr hier?" "Für Ryker, er hat sich den Kiefer gebrochen." "Und ihr meint, es wird ihn aufmuntern, eure Karte zu lesen?" "Ja".
Einfach ein guter Mitmensch zu sein, darauf wird in Neuseeland viel Wert gelegt, nicht nur an dieser Grundschule. "Also dieses respektvoll sein, richtig miteinander umgehen, Rücksicht nehmen. Das zieht sich so durch den ganzen Tag, aber ansonsten ist der Stil sehr individuell, jedes Kind wird als Persönlichkeit gesehen, Bedürfnisse werden nicht als Fehler oder Makel angesehen. Sondern das ist einfach so und damit geht die Lehrerin dann um. Und das hat mich echt überzeugt."
Autorin: Sandra Ratzow, ARD-Studio Singapur
Stand: 22.05.2023 18:04 Uhr
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