Mo., 28.08.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Niederlande: Die Erde bebt
Es ist schön, im Norden der Niederlande. Eine herrliche Gegend. Im Boden: Der Reichtum einer ganzen Nation. Das Gas hat uns viel Geld gebracht. Und damit beginnen die Probleme. Es gibt einen Knall – und dann wackelt alles.
Der Norden der Niederlande – man glaubt es nicht, ist Erdbebengebiet. Hiltje Zwarberg ist hier aufgewachsen – in der Gegend um Groningen, nah an der deutschen Grenze. Das Boot los machen, die Natur genießen – ein Traum sei das stets gewesen.
"Das ist mein Leben hier. Wir sind alle am Wasser geboren, lieben die Boote. Mein Vater war Fischer. Es ist ein herrlicher Fleck Erde", erzählt Hiltje Zwarberg.
Heimat ist zum Alptraum geworden
Doch mit der Idylle ist es nun vorbei – seine Heimat ist für ihn zum Alptraum geworden. Seit 2012, erklärt mir Hiltje – bebt die Erde hier regelmäßig. Der Grund: die Erdgasförderung in der Gegend. "Er hat einen Schaden, er hat einen Schaden, alle Häuser hier." Seit zwei Jahren lebt Hiltje in einem Apartment – sein eigenes Haus: Abgesperrt hinterm Bauzaun. "Von außen sieht man ja eigentlich noch kein Problem. Aber gehen wir mal rein – dann sehen sie, was hier los ist. Hier ist die Problemseite. Hier ist der größte Schaden, das war mal das Schlafzimmer. Diese Mauer, die hat sich schon von der Außenmauer abgelöst. Und auf dieser Seite hat sich diese Mauer von dieser hier gelöst. Also wenn es hier noch passiert, dann kommt wahrscheinlich die ganze Decke runter – und diese Mauer kann nach innen fallen."
Gerade mal achttausend Euro wollte ihm die Erdgasfirma als Entschädigung anbieten. Dabei wären eher 250.000 Euro realistisch – damit Hiltje Zwarberg hier wieder wohnen kann. Was ihn am meisten ärgert: Niemand kümmert sich.
"Die Erdgasfirma ist unendlich reich. Die haben riesige Anwaltskanzleien. Die versuchen, dass alles so lang wie möglich hinauszuzögern. Und die probieren – ich sage immer: Sie hängen dich an ein kleines Stöckchen und warten darauf, dass du aufgibst. So machen die das – ist mein Eindruck."
Kein Geld für mögliche Schäden
Die Firma, die so viel Ärger auf sich zieht, heißt Nam – ein Gemeinschaftsunternehmen des niederländischen Staates mit den Energiekonzernen Shell und Exxon. Seit 1960, erklärt mir der Sprecher, wird hier Gas aus dem Boden geholt – so viel, dass der jetzt nachgibt."Ich will gar nicht drum herum reden. Bei Nam haben wir volles Verständnis für die Emotionen der Menschen hier rund um Groningen. Die Situation die entstanden ist, haben wir uns auch nicht gewünscht."
Der Reichtum der Gegend – er ist zum Fluch geworden. Rund 300 Milliarden Euro hat das Gas über die Jahre eingebracht. Doch von den Gewinnen wurde nichts zurückgelegt – für mögliche Schäden.
"In den vergangen Jahrzehnten hat das Groninger Gasfeld dem Staat Niederlande viel Geld eingebracht. Das Geld ist in die Staatskasse gegangen – aber jetzt ist es ausgegeben. Für Infrastruktur, für staatliche Aufgaben – damit sind viele gute Sachen für die Niederlande gemacht worden."
Leben in Containern
Viele gute Sachen für die Niederlande – aber die Probleme hat nun allein die Region Groningen. Selbst wunderschöne Häuser wie dieses – sind unbewohnbar geworden. Margreet Kraak und ihre Familie müssen nun in diesem Container wohnen. Gebaut hat ihn die Erdgasfirma. Statt Landgut ein Leben als Provisorium – Margreet ist wütend, dass ihre Kinder so aufwachsen müssen – und in Sorge leben, dass noch schlimmeres passiert. "Tagsüber, nachts. Du wirst nachts wach, weil du einen Knall hörst und weil dein Bett anfängt zu vibrieren. Oder tagsüber, wenn du in der Küche sitzt. Dann hörst Du was und dann fängt alles an zu wackeln", sagt Margreet Kraak.
Sechs Generationen ihrer Familie haben das Haus gebaut und erhalten – jetzt wäre es nur noch mit Millionenaufwand zu restaurieren. Rund 100.000 Häuser in der Region sind betroffen. Verkaufen – geht nicht. Die Erdbeben haben alles unsicher gemacht.
"Bis 2015 war das hier im Keller immer trocken. Aber jetzt kommt das Wasser immer wieder hoch. Manchmal steht es hier 30, 40 Zentimeter hoch – alles ist voll Schimmel", so Margreet Kraak.
Entschädigung für die Familien
Lösen kann das Problem im Boden von Groningen niemand. Aber Peter van der Gaag hilft den Menschen, zumindest schneller an eine Entschädigung zu kommen. Dazu ist auch schon mal der Bagger nötig: Der Geologe aus Rotterdam versucht zu bestimmen, was sich an einzelnen Häusern im Untergrund verändert hat – als Munition für Klagen.
"An manchen Stellen – auch hier, etwas weiter drüben, steht das Grundwasser hier oben. Und das macht dann die Häuser kaputt. Vor allem nach den größeren Erdbeben ist das Grundwasser an mancherorts so aufgeschüttelt, dass es einfach nach oben kommt."
Sie graben, bohren und entnehmen Proben – in der Hoffnung, so vielleicht schneller an Geld von der Erdgasfirma zu kommen. In der Hoffnung, dann zu reparieren, was kaputt ist. Ob das geht? Selbst der Geologe ist da skeptisch.
"Ich kann natürlich ein Haus verstärken. Aber wenn da noch so viele unklare Prozesse im Untergrund ablaufen, dann ist es in meinen Augen nicht sinnvoll, Häuser jetzt gegen Erdbeben zu sichern, wenn man nicht weiß, was da noch kommen wird."
Niederlande – eine gewaltige Baustelle
Denn die Gasförderung ist zwar gedrosselt – aber einstellen: Das wollen sich die Niederlande nicht leisten. Hiltje Zwarberg, seine Freunde, Familie, Nachbarn – sie müssen weiter mit der Unsicherheit leben. "Wir Niederländer haben hier ein Fest gefeiert von dem Geld, was das Gas gebracht hat. Es ging uns richtig gut hier. Das waren Milliarden. Die haben wir verprasst, nicht drüber nachgedacht. Und jetzt haben wir das Problem. Es gibt Berechnungen, dass der Schaden heute schon 20 bis 24 Milliarden Euro beträgt. Aber: Das haben wir bloß nicht", sagt Hiltje Zwarberg.
Das ist das Frustrierendste für Hiltje Zwarberg: Dass ein modernes Land wie die Niederlande so gedankenlos war – und nun eine so gewaltige Baustelle hat.
Autor: Markus Preiß/ARD Studio Brüssel
Stand: 20.07.2019 15:26 Uhr
Kommentare