Mo., 23.04.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Südkorea: Hoffnung der Exil-Nordkoreaner
Jeong Sung-san hat es geschafft. Der nordkoreanische Flüchtling betreibt ein Restaurant in Südkorea, besitzt ein Stadtplanungsbüro, eine große Wohnung, und er fährt ein schickes Auto. Selbst auf dem Golfplatz ist er angekommen.
Doch seine Flucht über China und Vietnam 1995 hat er teuer bezahlt: Zur Strafe wurde sein Vater, obwohl Parteifunktionär, hingerichtet, über den Verbleib seiner Mutter und Geschwister weiß Jeong nichts mehr. Sein großer Wunsch: noch die koreanische Wiedervereinigung zu erleben.
Mut, Entschlossenheit – und dann konsequent durchziehen. So hat Jeong Sung-san das immer gemacht. Auch, wenn's wehtat. Aber nur so konnte er sich die verhassten Kims vom Hals halten. Und gegen Heimatverlust helfen zwei Drogen: "Meine Leidenschaft für den Sport ist so groß wie die für meine Arbeit", sagt der Flüchtling aus Nordkorea. "Und ich arbeite so viel, wie ich trainiere."
Wegen Radio-Hörens im Arbeitslager
Songdo, Südkoreas Stadt der Zukunft. Die Spielwiese für den Flüchtling aus dem Norden – einen mit Ehrgeiz, Ausdauer ... und Durchsetzungsvermögen. Nordkoreaner seien faul, stellten Ansprüche? Nicht so Jeong: Der hat ein Planungsbüro, engagiert sich kulturell, ist Gastronom. Und noch immer hungrig. Trip nach Seoul – kulinarische Fortbildung. Das nordkoreanische Restaurant hier, schwärmt er, sei sehr authentisch. Es gäbe hervorragende, kalte Pjöngjang-Nudeln. Wir erfahren, dass auch in diesem Lokal kaum Flüchtlinge aus dem Norden arbeiten – und wundern uns. "Gastronomie ist Service, aber Leute aus dem Norden sind etwas ungehobelt", erklärt Jeong Sung-san. "Wenn, dann bedienen die nur die Partei, aber keine Kunden. Deshalb stelle auch ich keine Nordkoreaner ein." "Aber grundsätzlich", so der Gastgeber Travis Seoung, "sind wir doch ein Volk, das eine Sprache spricht." Der Soju nach Nordkorea-Rezept gereicht zur Versöhnung – und das Auto kennt ja den Weg.
In seinem eigenen Restaurant, Name: "Das Licht von Pjöngjang", hat Jeong sein Leben an die Wand genagelt. Der Sohn eines Funktionärs darf studieren, sogar in Moskau: Drama und Filmkunst. Als er beim Militär Süd-Radio hört, kommt er ins Arbeitslager. Wohl einige Bestechungen später gelingt dem Freund der Freiheit die Flucht. 1995 erreicht er Südkorea – und kommt schnell rum. Er avanciert zum erfolgreichen Drehbuchautor fürs Kino, schreibt ein Musical-Libretto über ein Lager für politisch Gefangene und er schauspielert sogar. Jetzt köchelt er am nächsten Kapitel seines Lebens, "diversifiziert" und ackert – doch den Neid wird er nicht los. "Viele Südkoreaner erwarten, dass unsereins Schwierigkeiten hat und Mitleid braucht. Wenn sie dann einen wie mich sehen, sagen sie: ‚Oh, Du hast Erfolg? Wollen mal sehen, wie lang der anhält.'"
Niemand glaubt an eine baldige Wiedervereinigung
Nordkorea lässt Flucht und Erfolg nicht ungestraft: 2002 erfährt Jeong von der Hinrichtung seines Vaters, über den Verbleib von Mutter und fünf Geschwistern weiß er seit 2004 nichts mehr. Das schmerzt. "Die Trauer über den Tod meines Vaters ist mein Antrieb. Wenn ich sehe, welches Leid ich über meine Familie gebracht habe, dann will ich jetzt wenigstens erfolgreich sein. Egal, was es kostet. Vielleicht arbeite ich deshalb so hart."
Ein Nordkoreaner auf dem Golfplatz. Hier, sagt, Jeong, könne er loslassen und den Stress vergessen. Im Süden sei es anfangs schlimmer gewesen als im Norden. Leichenwäscher war er, Bauarbeiter, Küchenhilfe. Aber: Er hatte eine gute Ausbildung, ein Privileg. "Flüchtlinge aus dem Norden müssen bedenken: Südkorea ist eine Demokratie, das bedeutet: grenzenlose Konkurrenz. Wer da besteht, kann genauso Golf spielen, ein schönes Auto haben oder ein Haus."
Niemand hier glaubt trotz politischer Entspannung an Wunder, aber eine wirtschaftliche Öffnung des Nordens sei möglich – binnen zehn Jahren. "Es gibt noch große Unterschiede zwischen Nord und Süd, von Wiedervereinigung sind wir weit entfernt", meint der Immobilienentwickler An Tan-soon. "Aber im Norden eine Chance als Unternehmer zu bekommen: Das wäre mein Traum."
Weder Nordkoreaner noch Südkoreaner
Jeongs zweite Firma entwickelt Projekte zur Stadtplanung. Das hat er noch drei Jahre nebenher studiert. Damit ist er bei Golfpartner An genau richtig. Jeong und der Bauunternehmer haben gemeinsam einen Großauftrag an Land gezogen – mit Ideen von Jeong. "Unser Flughafen hat Millionen von Touristen. Aber kaum jemand kommt in die Stadt. Ich plane eine Show wie den ‚Cirque du Soleil’, ein Aushängeschild, dazu Wohnraum und Shopping. Die Show vermarkten wir international, in einem Erlebnispaket."
So verhilft ein Nordkoreaner den Südkoreanern noch zu etwas Kultur. Jeong wohnt da drüben, 44. Stock, auf gut hundert Quadratmetern – mit zwei Katzen und seiner Frau, einer Südkoreanerin. Die ahnte zu Beginn nicht mal, woher er eigentlich kommt. So gut versteckte er seinen nordkoreanischen Akzent. Und er verschwieg ihr noch mehr. "Nach dem Musicalerfolg gab es wohl nordkoreanische Morddrohungen" sagt Kim Kyung-mee. "Ich wusste nichts davon. Er hat’s mir erst später erzählt." Und Jeong Sung-san ergänzt: "Es ist schwierig: Ich bin weder Nordkoreaner noch Südkoreaner. Ich habe meine eigene Identität." Dann wird er befreit – von Katzenhaaren. Nur seine Vergangenheit, die wird er nie ganz los. Die Arbeit ruft – Flucht nach vorn.
Uwe Schwering, ARD-Studio Tokio
Stand: 03.08.2019 01:05 Uhr
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