So., 30.01.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Paraguay: Deutsche Impf-Flüchtlinge
"Ein guter Freund, der auch irgendwann die Schnauze voll hatte von Deutschland, hat uns angerufen. Ob wir nicht Lust hätten mit auszuwandern." Erst ein paar Wochen ist die junge Deutsche in Südamerika. Ungeimpft, zu viel Stress in Deutschland, keine Freiheit mehr wegen der Coronaregeln – das sind die Beweggründe.
Tausende sollen es sein, die die liberalen Einreise-Regeln Paraguays genutzt haben. Die meisten sind schlecht vorbereitet, sprechen kaum Spanisch. Aber sie können sich auf eine deutsche Gemeinde verlassen, mit vielen Gleichgesinnten, die hinter vorgehaltener Hand von einer Impfdiktatur in Deutschland sprechen. Peter Sonnenberg hat sich auf die Suche nach den Impfgegnern gemacht.
Paraguay als Anlaufstelle für deutsche Impfgegner
Es heißt, seit Monaten breche eine Welle deutscher Auswanderer über Paraguay herein. Die Mehrzahl seien Impfgegner! Ich fliege hin und schon im Flugzeug sehe ich deutsche Familien. Die meisten wollen nicht mit mir sprechen. Eine Mutter kritisiert die Corona-Politik, möchte aber nicht gefilmt werden. "Für uns ist wichtig, dass der Kleine gut aufwächst. Wenn das jetzt zum Beispiel noch schlimmer wird mit der Schule, wir sind geneigt, ihn da erstmal rauszunehmen, bevor er diesem ganzen Terror ausgesetzt ist." Paraguay ist das Top-Auswandererland unter Impfgegnern. 2021 kamen mindestens doppelt so viele deutsche Auswanderer, wie im Jahr davor. Angelockt durch großzügige Corona- und Einreiseregeln und von vielen Deutschen, die schon hier leben.
Ich gehe auf Spurensuche: Kommen wirklich so viele, und warum? Ein Deutscher, der vor 25 Jahren kam, beobachtet den Ansturm von Impfgegnern auf Paraguay. Von ihnen erkannt werden, möchte er lieber nicht. "Die meinen sie können hier tun und lassen was sie wollen. Die müssen sich hier nicht impfen und versuchen die Einheimischen zu überzeugen, sich auch nicht impfen zu lassen. Ist eh alles nur Fake. Für mich bedeutet das, dass das dem Ruf der Deutschen, die hier schon lange leben nicht zuträglich ist. Die bringen eine gewisse Unruhe hier rein."
In der deutschen Kolonie sind viele nicht geimpft
Die meisten deutschen Auswanderer zieht es nach Hohenau, eine große deutsche Kolonie, sieben Autostunden weg von der Hauptstadt. Unterwegs machen wir Rast und treffen in seinem eigenen Restaurant einen Auswanderer aus Stuttgart. Der sieht das mit der Impfung ganz anders. "Jeder soll das so machen wie er es für richtig hält und ich mache es nicht!" meint Manfred Popp. "Und wem ich das beibringen kann, dem sag ich, er soll es auch nicht machen." Heute sagt er, ist sein Geburtstag – und ob wir nicht am Abend nochmal wiederkommen wollen? "Heute Abend werden hier zwischen 80 und 100 Personen auftauchen. Die Bude wird voll. Und da hat keiner eine Maske auf. Und da ist auch keiner geimpft." Am Abend staune ich schon, zwischen wie vielen Deutschen ich mich wiederfinde, mitten in Paraguay. Hier treffen sich Neu- und Altauswanderer.
Aber was treibt Menschen dazu, in ein Land mit hoher Kriminalität auszuwandern, dessen Sprache sie kaum sprechen? Wir sind bei den meisten Gästen unerwünscht. Als wir die Kamera anmachen, verlassen einige das Fest. Der Gastgeber mit einem Erklärungsversuch. " …von der deutschen Presse sind sie nicht begeistert." Als die Kamera aus ist, werden manche Gäste noch viel deutlicher. Anfeindungen, Verschwörungstheorien, krude Beschuldigungen gegen unser Team. Wir müssen abbrechen, damit die Lage nicht eskaliert. Beim Weggehen kommen wir etwas abseits doch noch ins Gespräch mit einem jungen Paar – gerade erst ausgewandert, etwas unvorbereitet, aber offen für Neues. "Eigentlich hat uns ein sehr guter Freund angerufen, der auch irgendwann die Schnauze voll hatte von Deutschland", erzählt Joanna Faber. "Ob wir nicht Lust hätten mit auszuwandern. Auswandern stand schon immer auf dem Plan. Corona war nur der Beschleuniger könnte man sagen." Und ihr Freund Christian Adams ergänzt: "Ja, in Deutschland ist ja die Lage sehr, sehr angespannt und das gibt hier einem ein bisschen mehr Freiheit."
Das Fernsehteam ist nicht gerne gesehen
In Hohenau muss man nicht lange nach Spuren der Neuankömmlinge suchen – überall stehen Umzugscontainer – woher die Besitzer kommen verraten die Container selbst. Dutzende Häuser sind im Bau, die Bauherren, alles Deutsche, sagen die Bauarbeiter. Im Schwimmbad würden wir immer Landsleute von uns treffen. Und tatsächlich. Die Brüder Kevin und Boris Neugum sind mit Eltern und Großeltern im Oktober angekommen. Sie haben alle Brücken nach Deutschland abgebrochen, ihr Haus verkauft und ihre Jobs geschmissen. "Soweit wir gedacht haben ist es, ein kleines Land zu kaufen und so eine Art Farmer zu werden", erzählt Kevin Neugum. Er weiß, dass viele Deutsche hier nicht geimpft sind, so wie er selbst. Was seine Familie davon abhält, möchte ich wissen. "Wir sind ein bisschen vorsichtig, wir hinterfragen lieber, als da wie die Menge hinzulaufen und zu machen, lesen viel, fragen was das wirklich alles bedeutet und dann machen wir es oder auch nicht." Die Brüder wollen mir ihre Familie vorstellen, doch ein weiterer Deutscher schleicht um uns rum, hört zu und redet es ihnen anschließend aus. Schließlich platzt der Besuch bei Familie Neugum.
Unsere Anwesenheit hat sich unter den gut vernetzten Deutschen rumgesprochen. Alle weiteren Versuche mit Deutschen in Kontakt zu kommen scheitern. Aus der Zeitung wissen wir, dass der Bürgermeister von Hohenau sich kritisch gegenüber den vielen ungeimpften Zuwanderern geäußert, und dafür Hass im Netz geerntet hat. Eine Mitarbeiterin der Stadt erklärt uns, man wolle das gute Verhältnis zwischen Deutschen und Paraguayern nicht gefährden, aber die Neuankömmlinge seien ein Risiko für alle, und sie selbst wären hier in größerer Gefahr als in Deutschland. "Wir Paraguayer empfinden es als Bürgerpflicht, uns impfen zu lassen", sagt Noemi Jara, Direktorin für Tourismus und Kultur in Hohenau. "Wir wissen, dass wir ohne Impfung unsere gewohnte Freiheit nicht wiedererlangen werden. Den Ausländern können wir nur raten, sich auch impfen zu lassen, denn gerade hier in der Region ist die medizinische Versorgung nicht gut. Und bei uns werden im Krankenhaus die Menschen bevorzugt behandelt, die geimpft sind."
Auf dem Wochenmarkt von Hohenau treffen wir noch mal schon lange hier ansässige Deutsche. Sie wundern sich, dass Paraguay überhaupt so viele Impf-Flüchtlinge ins Land gelassen hat, die die gute Stimmung zwischen Deutschen und Einheimischen stören. "Viele von denen, die jetzt kommen, sind Impfflüchtlinge", sagt die Auswanderin Evelyn Behles, "sprechen wir es doch mal aus, sprechen wir das Thema mal an. Aber Paraguay wird nachziehen müssen." Und plötzlich zieht die paraguayische Regierung tatsächlich die Reißleine − macht die Corona-Impfung zur Pflicht für Einreisende ohne permanentes Bleiberecht. Schon in den ersten Tagen werden Dutzende Ungeimpfte abgewiesen. Und die, die es rechtzeitig ins Land geschafft hatten, können jetzt nicht mehr raus, denn es wäre eine Reise ohne Wiederkehr − zumindest, solange sie ungeimpft bleiben.
Autor: Peter Sonnenberg, ARD-Studio Rio de Janeiro
Stand: 30.01.2022 21:45 Uhr
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