So., 05.03.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
Peru: Bürgerwehr gegen Drogen
Wilfredo Samuel verliest die Namen seiner Truppe. Es sind Kinder darunter. Kein einziger hat eine echte militärische Ausbildung genossen. Dennoch kämpfen sie gegen illegale Koka-Produzenten – in Perus Andenausläufern. "Die Koka-Plantagen wachsen. Wir sind dagegen, weil wir nur legale Produkte wie Kakao und Kaffee anbauen wollen", sagt William.
Eine wachsende Plage
Wir sind unterwegs mit einer Bürgerwehr von Kleinbauern der indigenen Ashaninka-Ethnie. Ihr Gebiet ist seit fast 30 Jahren offiziell im Ausnahmezustand. Denn hier wird illegal Koka angebaut – auf zehntausenden Hektar, wo früher Urwald war. Die Ashaninka erzählen, dass die Plantagen in den vergangenen Jahren immer schneller wachsen. Und tatsächlich taucht die erste bereits nach wenigen Kilometern auf. Verantwortlich dafür seien zugewanderte Fremde aus einer ganz anderen Region Perus. "Schau dir das an! Alles voller Koka-Sträucher. Eine Invasion. Das sind keine von uns. Das sind Illegale, die von weit weg kommen", erklärt Victor Jesus Robles Chuco.
Koka – mit keiner anderen Pflanze kann man hier mehr Geld machen. Und kaum eine hat so verheerende Folgen. Verarbeitet zu Crack wird es in Brasilien von immer mehr Süchtigen konsumiert. Brutale Drogenkartelle kämpfen um die Macht beim weltweiten Handel mit Kokain. Die Polizei wirkt machtlos – trotz gelegentlicher Razzien.
Angekommen in Europa, den USA und Asien ist Kokain in unserer Leistungsgesellschaft immer angesagter. Auch als Partydroge. An den Andenhängen Perus dagegen bedroht Koka die traditionelle Lebensweise von Wilfredo und den Ashaninka. "Anders als diese Invasoren besitzen wir Indigenen offizielle Urkunden, dass uns dieses Land gehört. Das muss doch respektiert werden", sagt der Präsident der Bürgerwehr. Die Koka-Felder würden sich wie Krebsgeschwüre ausbreiten. Und niemand außer ihnen tue etwas dagegen. "Wir sind es wirklich leid, dass unsere Regierung uns kaum unterstützt, um das hier rückgängig zu machen", erzählt Angel Pedro Valerio von der Ashaninka-Organisation "Care".
Das Geschäft mit Koka ist lukrativ
In den 90er Jahren kämpfte Perus Regierung gegen die brutale linke Guerilla "Leuchtender Pfad". Die nutzte die Koka-Anbauregion als Rückzugsort – und lieferte sich dort heftige Gefechte mit dem Militär. Weil dabei viele Indigene, auch viele Ashaninka, brutal ermordet wurden, dürfen die Bauern seitdem Bürgerwehren gründen. Und sich bis heute gegen kriminelle Koka-Bauern zur Wehr setzen. "Wir Ashaninka wollen nie wieder die Opfer gewaltsamer Konflikte sein. Deshalb bleibt uns nichts anderes übrig, als uns selbst zu verteidigen", sagt Angel Pedro Valerio weiter.
Der Koka-Anbau widerspricht der Kultur und Lebensweise der Ashaninka. Gleichzeitig erleben sie, wie immer mehr Eindringlinge in ihr Gebiet strömen. Weil es der peruanische Staat bis dato nicht schafft, den illegalen Koka-Anbau in den Griff zu kriegen. "Nichts ist hier so lukrativ wie der Koka-Anbau. Der Profit damit liegt um ein Vielfaches höher als mit Kakao oder Kaffee. Das kann man nicht vergleichen", ergänzt der Präsident der Ashaninka-Organisation.
Immerhin hat der Staat mittlerweile erkannt, dass kaum ein illegaler Koka-Bauer freiwillig auf legale Bananen oder Kakao umsteigt. Deshalb hat Peru nun eine Kehrtwende angekündigt: Der illegale Anbau soll verringert werden – durch einen Sozialpakt mit den Kokabauern. "Wir wollen in den kommenden zwölf Monaten – in einem ersten Schritt – die Koka-Flächen um eintausend Hektar reduzieren. Stück für Stück und auf freiwilliger Basis. Das müssen wir den Bauern mit Hilfsleistungen schmackhaft machen, damit sie ihren Anbau beenden. Zum Beispiel bekommt jeder, der sein Koka-Feld freiwillig zerstört, von uns Geld als Gegenleistung", erklärt Ricardo Soberon, Leiter der Anti-Drogen-Behörde "Devida".
Eine Ankündigung, die die Ashaninka begrüßen. Auch wenn sie den Staat bislang eher als Teil des Problems sehen. Der Vorwurf: "Wir wissen, dass es viel Korruption unter Mitgliedern der Regierung gibt. Das Chaos und der Ausnahmezustand in unserer Region ermöglichen es ihnen, beim Geschäft mit Koka die Hand aufzuhalten. Manche machen heimliche Deals mit den Drogenkartellen", sagt Angel Pedro Valerio.
Eine komplizierte Lage – unter der vor allem die Ashaninka leiden. Bis dato werden sie von den Koka-Bauern bedroht – und müssen sich daher mit Schrotflinten, Pfeil und Bogen bewaffnen. Auch um Präsenz zu zeigen, damit die Felder um sie herum nicht noch weiterwachsen. Vom Staat erhoffen sie sich vorerst vor allem eines: Mehr Waffen, um sich gegen die Drogenkartelle wehren zu können. "Wir würden sogar sterben, um das Land unserer Kinder zu verteidigen. Dafür brauchen wir aber modernere Waffen für unsere Patrouillen", erklärt Richard Mahuanco Barbosa von Comunidad Paveni.
Koka-Bauern entdecken sie heute keine – dafür deren Felder, die sie den Behörden melden werden. Felder, die wuchern, weil weltweit immer mehr Kokain konsumiert wird.
Autor: Matthias Ebert / ARD Studio Rio de Janeiro
Stand: 05.03.2023 19:11 Uhr
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