So., 24.04.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Polen: Erste Hilfe für ukrainische Tiere
Er hat schon viele Tiere in seinem Leben behandelt. Doch dass der Tierarzt Radosław Fedaczyński in seiner Klinik mal eine Zwergziege versorgen würde, hätte er auch nicht gedacht. Saschka ist wohl seine ungewöhnlichste Patientin. Als der Krieg in der Ukraine begann kam sie mit einem Geburtsfehler auf die Welt. Die Pfoten waren im Mutterleib gebrochen. Ihre Besitzerin Olena aus der Nähe von Lwiw konnte ihr nicht helfen, bat die Ärzte der Tierklinik im polnischen Przemysl um Hilfe. "Olena konnte sie nicht mit Milch versorgen, und die Ziege hat kranke Pfoten. Da sich die Bäuerin auch um die anderen Tiere auf ihrem Hof kümmern musste und sie keine Möglichkeit sah, die Ziege vor Ort zu behandeln haben wir nicht lange überlegt. Unser Fahrer brachte Saschka unter seiner Jacke mit nach Polen. Saschka war noch viel kleiner, richtig winzig. Und wir hatten große Angst um ihre Pfoten", erzählt der Tierarzt.
Saschka hat hier sehr schnell Anschluss gefunden und sich – weil es keine anderen Zwergziegen gibt – mit diesen zwei Chihuahuas angefreundet, Landsleuten sozusagen. Damit Saschka schmerzfrei auf die Beine kommt hat ihr das Ärzteteam zwei Orthesen gebaut, die regelmäßig angepasst werden. Dazu bekommt sie Massagen. Die Therapie wirkt – und es ist schon ein kleines Wunder, dass sie überhaupt laufen kann. "Im Moment geht Saschka schon spazieren, frisst gut, und spielt rum. Ich hoffe, dass sie ein Symbol für den Frieden in der Ukraine wird", sagt Radosław.
Eine Praxis für besondere Fälle
Die polnische Tierklinik ist ein modernes Sanatorium. In bunten Häuschen nebenan versorgt das Team der ADA Stiftung normalerweise nur polnische Haustiere, vor allem Hunde und Katzen. Manchmal sogar mit Einzeltherapie! Freiwillige Helfer gehen mit den Hunden separat Gassi – je nach Fitnesszustand. Heute ist auch Kruszynka, zu deutsch 'Krümel' zur Visite da: Das Kaninchen ist krank – doch Fedaczyński hat gute Nachrichten: "Kruszynka hat Bauchschmerzen. Es hat Medikamente bekommen, wurde auf Diät gesetzt. Bis morgen gibt’s nur Heu, okay? Ich werde eine Medizin verschreiben, die man leicht mit Wasser gemischt trinken kann."
Seit den russischen Angriffen kommen immer mehr ukrainische Tiere in die Klinik, zahlreiche mit Schussverletzungen oder Granatsplittern. Bislang wurden über 800 versorgt! Den neuesten Patienten, einen Hund mit verletzten Hinterbeinen, bringt sein Geschäftspartner, Jabub Kotowicz herein. Viele Tiere werden von Geflüchteten abgegeben, die ihren Lieblingen nicht mehr helfen können. Andere werden von Pflegern über die Grenze geholt. Neulich stand plötzlich nachts ein Konvoi mit lauter Katzen vor der Tür. "Die Katzen, die waren in engen Käfigen und Containern zusammengepfercht. Innerhalb einer Stunde erschienen plötzlich etwa 50 Tiere an unserem Empfang. Jeder von ihnen musste überprüft und getestet werden. Es gab ziemlich viele Tiere in sehr schlechtem Zustand, verletzt, dehydriert, ohne Prophylaxe. Ziemlich viele ältere Tiere, Katzen, Hunde, die zuvor unbehandelte chronische Krankheiten hatten", erzählt Jakub von der Stiftung.
Verzweifelt versucht das Team, mit einem solchen Andrang klarzukommen. Weil die Klinik aus allen Nähten platzt müssen die Ärzte improvisieren: "Wir waren gezwungen nach neuen Standorten in Przemysl zu suchen, da es in unserer Klinik keinen Platz mehr gibt. Es ist uns wichtig, dass wir als Stiftung diese Tiere aufnehmen, sie untersuchen und auf demselben hohem Niveau pflegen, wie wir es mit herrenlosen Tieren in Polen in den letzten 15 Jahren auch gemacht haben."
Sobald ein Tier gesund ist, wird es zu Vermittlung freigegeben. Die Ärzte schätzen, dass es in den kommenden Wochen, vielleicht Monaten Tausende sein werden, die noch kommen. Und Saschka? Wenn sie weiter so gute Fortschritte macht und der Krieg irgendwann zu Ende ist – dann wird sie ja vielleicht zurückkehren können auf den Bauernhof bei Lwiw.
Autor: Dirk Lipski/ARD Studio Warschau
Stand: 24.04.2022 19:49 Uhr
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