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Polen: Auf die Frauen kommt es an

Polen: Auf die Frauen kommt es an | Bild: IMAGO / SOPA Images

"Still waren wir schon!" ist in dem Wahl-Spot zu lesen. Frauen halten dabei ihren Mittelfinger vor ihre Lippen. Ein Video, dass in den sozialen Medien in Polen gerade viral geht. Die Message: geht wählen! Lasst eure Stimme nicht verfallen! Bis zum Wahltermin an diesem Sonntag wird geworben, denn auf die Stimmen der Frauen komme es bei dieser Wahl zu einem neuen Parlament und einer neuen Regierung in Polen an. Das sagen die Aktivistinnen von "Wschód". Sie sind überall im Land unterwegs, um Frauen für die Wahl zu mobilisieren. Denn gerade die Rechte der Frauen sind in den letzten Jahren der PiS-Regierung immer weiter eingeschränkt worden.

Frauen werden gezielt zur Wahl mobilisiert

Der letzte Stopp auf ihrer Reise, die Kleinstadt Koszalin im Norden Polens. Seit zwei Wochen sind die Frauen der Organisation Wschód im ganzen Land unterwegs. Mobilisierung kurz vor der Wahl zum neuen Parlament. Sie wollen explizit Frauen ansprechen. "Die Wahlen stehen vor der Tür", sagt Dominika Lasota, "und ich persönlich glaube, dass es höchste Zeit ist, unsere Stärke zu zeigen, dass wir einfach nicht einverstanden sind, dass diese Hölle für Frauen in diesem Land weiter geht."

Frauen mit Schildern auf Demonstration
Frauen demonstrieren unter dem Motto: "Leise waren wir schon!"  | Bild: SWR

Hier in Koszalin war der Anteil der Frauen, der vor vier Jahren nicht gewählt hat, sehr hoch. Vor allem die jungen Frauen wollen sie ansprechen, keine leichte Aufgabe: "In Polen ist es schwierig, junge Mädchen und Frauen davon zu überzeugen, wählen zu gehen. Ich habe täglich das Gefühl, dass alles getan wird, um uns zu beweisen, dass wir nichts bedeuten. Wir leben in einem Patriarchat, wir leben in einer Gesellschaft, die Frauen nicht respektiert, weder im Beruf noch in der Schule", so Dominika Lasota. Ihr Motto: "Leise waren wir schon!" Nur 62% der Frauen haben bei der letzten Wahl ihre Stimme abgegeben. Dabei sind gerade sie von der extrem konservativen Politik der PiS betroffen.

Ein Kampagnenspot der Aktivistinnen zeigt Alltagsmomente von Frauen, die Lage, in der sie sich befinden, nicht gehört, verzweifelt, weil ihre Rechte eingeschränkt wurden. Unterlegt ist der Spot mit beleidigenden Zitaten rechtskonservativer Politiker über Frauen – z.B., dass sie kein Stimmrecht haben sollten. Am Ende die Message: "Wir werden nicht mehr leise sein!" Der Spot wird millionenfach geklickt. Er trifft offenbar einen Nerv bei den Frauen in Polen.

Die PiS-Regierung hat Frauenrechte eingeschränkt

Hier in Koszalin sind nicht viele Frauen zum Treffen gekommen. Aber für die wenigen bedeutet es viel: "Ich habe eine persönliche Geschichte", erzählt Ania Rączkowska. "Ich wurde angegriffen, eine Ohrfeige, hier in Koszalin, weil ich das Symbol der Frauenproteste, den roten Blitz trug. Die Tatsache, dass jemand hier auftaucht und für unsere Rechte kämpfen will und sich überhaupt dafür interessiert, finde ich sehr ermutigend." Und Weronika Ignatowicz meint: "In Polen ist es jetzt so, dass ich Angst habe, schwanger zu werden. Und ich möchte, dass mein Kind eines Tages Geschwister hat. Aber unter den momentanen Bedingungen fühle ich mich dazu nicht in der Lage. Schon allein deshalb, weil die pränatale und postnatale Betreuung miserabel ist. Denn wenn ich schwanger bin, wird der Arzt vielleicht lieber den ungeborenen Fötus retten als mich."

Kaczyński
PiS-Chef Kaczyński vertritt ein konservatives Frauenbild  | Bild: SWR

Seit dem Regierungsantritt der PiS vor acht Jahren sind die Rechte der Frauen immer weiter eingeschränkt worden. Vor allem die Verschärfung des Abtreibungsrechts hat wochenlange Proteste ausgelöst. Ohne Wirkung. Es häufen sich Fälle, bei denen der Abbruch der Schwangerschaft so lange hinausgezögert wurde, dass Schwangere gestorben sind. Europaweit ist Polen das Land mit dem schlechtesten Zugang zu Verhütungsmitteln. Führende Regierungspolitiker haben eine klare Vorstellung von der Rolle der Frau: "Wenn dieser Zustand anhält, dass Frauen bis zu ihrem 25. Lebensjahr genauso viel Alkohol trinken wie ihre männlichen Freunde, dann ist das schlecht fürs Kinderkriegen", sagt Jaroslaw Kaczyński Parteivorsitzender der PiS. Und Bildungsminister Przemysław Czarnek meint: "Und die Funktion der Familie ist die der Fortpflanzung. Sogar Tiere wissen das, die Wildschweine im Maisfeld! Und wir wissen das nicht! Wir haben unsere Instinkte zur Selbsterhaltung verloren!"

Frauen wollen gehört werden

Die fürsorgliche Mutter und gute Ehefrau, für die regierenden PiS das Idealbild der polnischen Frau, der Matka Polka. Doch dieses Bild, es tötet die Frauen. Das findet Marta Frej, Künstlerin aus Gdynia. Frauenrechte, Scham, Sexualität, das sind ihre Themen: "Frauen sind am Arsch. Wir stoßen immer wieder auf neue Schichten der Frauenfeindlichkeit, neue Schichten werden aufgedeckt, wenn sich das Patriarchat mit Händen und Füßen, Krallen und Zähnen wehrt. Aber ich glaube, dass bei den polnischen Frauen etwas vor sich geht, eine Unruhe, die etwas bewirken wird." Auch Marta Frej ruft mit ihren Werken Frauen auf, wählen zu gehen. „Mama, wenn du nicht für dich zur Wahl gehen willst, dann tu es für mich“, heißt es auf einer ihrer Illustrationen. Sie ist optimistisch, dass Frauen tatsächlich einen Unterschied machen können: "Es ist einfacher, so jemanden zur Wahl zu überzeugen, wenn man das Argument in der Hand hat, dass sie wählt, um den eigenen Hintern zu schützen, dass sie das tut, um sich selbst zu retten. Das ist ein Argument, ein sehr gutes Argument."

Bilder zum Thema Frauenrechte von Marta Frej
Künstlerin Marta Frej kämpft mit ihren Bildern für Frauenrechte  | Bild: SWR

Dass Frauen als Wählergruppe interessant sind, haben auf den letzten Metern des Wahlkampfes auch die Politiker erkannt. Sie buhlen um ihre Stimmen. Denn die Umfragen zwischen PiS und Opposition sind so knapp, dass Frauen, die bisher nicht gewählt haben, den Ausschlag geben könnten. "In meinen ersten hundert Tagen müssen wir acht Jahre Vernachlässigung, acht Jahre Unterdrückung, acht Jahre Verachtung und Arroganz gegenüber Frauen wiedergutmachen", sagt Oppositionspolitiker und Parteichef der PO Donald Tusk. Die PiS hingegen spricht ihr Frauenbild an: "Sie sind nicht diese Frauen, die auf die Straße gehen und vulgär schreien und noch ihre Kinder mitbringen, damit sie es auch tun", so Elżbieta Witek, Präsidentin des Sejms. "Sie sind Frauen, die zu Hause bleiben, weil sie Ruhe und Normalität wollen. Ich möchte Ihnen sagen, liebe Frauen, ihr seid wirklich wertvoll." Ruhe, das wollen die Frauen in Koszalin nicht mehr. Sie wollen laut sein. Und sie haben große Hoffnungen, dass sie gehört werden.

Autorin: Kristin Joachim, ARD-Studio Warschau

Stand: 17.10.2023 07:44 Uhr

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