So., 29.08.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
Polen: Schreien für Belarus
Ein Schrei für Belarus. Jana Shostak steht wie ein Mahnmal vor der Warschauer Vertretung der Europäischen Kommission. Die Künstlerin, begleitet von zwei Freunden, schreit für die Freiheit: "Ich mache das für alle Belarussen, die in ihrer Heimat jetzt nicht schreien dürfen. Uns bleibt nichts anderes übrig als zu schreien, wir haben 27 Jahre zu lang geschwiegen."
Mit Aktionen wie dieser wollen sie Polen aufklären. Denn die Zustände im Nachbarland seien beängstigend. "Die Menschen haben schon Angst öffentlich zu sprechen. Selbst wenn sie nur eine SMS schreiben oder psychologische Hilfe suchen, können sie der Polizei ausgeliefert werden", erzählt Jana Shostak.
Aktivismus, der Grenzen überwinden soll
Die 28-jährige Belarussin lebt schon seit elf Jahren in Polen. Vor einem Jahr fährt sie in ihre Heimat zur Präsidentschaftswahl, voll Hoffnung die Ära Lukaschenko sei zu Ende. Als der sich zum Sieger erklärt nimmt sie an den Protesten teil. Erinnerungen an die Aufbruchsstimmung: "Ein außergewöhnlicher Moment, die Menschen lächeln einander zu. Einer verteilt Wasser, andere Blumen oder sie organisieren Essen für die Demonstranten."
Doch dann beginnen die Verhaftungswellen und die Folter in Belarus. Fast die gesamte Spitze der Opposition sitzt im Gefängnis oder verlässt das Land. Zurück in Polen startet Jana mit der Aktion 'weltweites Schreien für Belarus'. "Meinen Mut dafür schöpfe ich aus den Aussagen und Briefen der politischen Gefangenen, die so standhaft sind und mir von den Details ihrer Folterungen erzählen. In ihrem Namen und für sie schreie ich", sagt die Künstlerin.
Durch das Regime Zerrissene Familien
Tausende Belaruss:innen sind im letzten Jahr vor den Repressionen nach Polen geflohen und erfahren hier Solidarität. Sie protestieren so wie Jana gegen das belarussische Regime und für die Freilassung aller politischen Häftlinge.
Wie die Eltern von Wania und seiner Schwester Nastia. Die Tochter von Hanna Konovalova und ihr Mann wurden in Belarus zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie Unterschriften sammelten und Demonstrationen mitorganisierten. "Das bin ich, das ist Mama, das ist Papa, das ist Opa und das ist Wania", erzählt Nastia. Und das sind Transparente der politischen Wirklichkeit aus Belarus. Auch wenn die Kinder noch nicht alles lesen können, wissen sie, um was es geht. "Das bedeutet, das Mama und Papa das Land retten und dafür hat man sie ins Gefängnis gesteckt", sagt sie weiter, "und da sind sie ohne uns und vermissen uns so sehr. Mama schreibt Briefe, aber von Papa haben wir nur einen bekommen."
Die Großmutter zerreisst die Sorge um ihre Tochter Antonia. "Sie sitzt jetzt schon seit neun Monaten im Gefängnis. Und wir wissen nicht, was in dieser Zeit alles mit ihr passiert ist", sagt Hanna Konovalova. "Antonina ist doch eine gute Mutter. Die Trennung von ihren Kindern ist für sie schrecklich. Sie hat große Angst davor, dass sie die 5,5 Jahre absitzen muss. Antonina hat ihre Tochter Nastia das letzte mal im Alter von vier Jahren gesehen, Und keiner weiß, wann sie sie das nächste mal sehen wird. Das ist einfach schrecklich."
Jana Shostak versucht in der Not zu helfen. "Wenn die Familie etwas braucht, versuche ich Hilfen einer Stiftung zu vermitteln. Über eine Bekannte ist es mir gelungen, zwei Plätze in einem Kindergarten zu finden. Und wir organisieren gerade eine Internet-Spendenaktion für die Familie, damit die Lebenshaltungskosten gedeckt sind", erzählt sie.
Wania und seiner Schwester Nastia fällt die Trennung von den Eltern schwer. Deshalb kommt Jana Shostak sie und ihre Oma regelmäßig besuchen. Und sei es auch nur um zu Trösten in dieser schwierigen Situation. Das sind dann für Jana die ganz stillen Schreie für Belarus.
Autor: Olaf Bock/ARD Studio Warschau
Stand: 29.08.2021 20:23 Uhr
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