Mo., 26.06.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Portugal: Nach dem Inferno
Über 60 Menschen tot, viele Dörfer teilweise zerstört. Die Bilanz des verheerenden Waldbrandes nördlich von Lissabon ist eine Schreckensbilanz. Die Menschen in der Ortschaft Vila Facaia können das immer noch kaum fassen. 30 ihrer Freunde und Mitbewohner sind in der Feuerwalze ums Leben gekommen.
Immer mehr stellen sich die Überlebenden die Frage: Wie konnte eine solche Feuerwalze überhaupt entstehen? Eine Antwort: Es gibt einen Zusammenhang mit der Wiederaufforstung. Schnellwachsende Bäume wie Pinien und Eukalyptus wurden in der Vergangenheit in riesigen Plantagen rund um die Dörfer gepflanzt. Gefördert mit EU-Geldern. Und es scheint, dass sie wie Brandbeschleuniger wirkten.
Viel zu häufig müssen sie diesen Weg gehen, mit dem Leichenwagen, in diesen Tagen, die Bürger von Vila Facaia. Rauch hängt in der Luft, während der Beerdigungen. Das Feuer und seine Folgen haben das Dorf noch immer im Griff. Überall riecht es nach Brand: vergessen, verdrängen – das geht nicht. José Luís Pinto kannte alle Toten. Das Dorf ist klein, 600 Einwohner, hier kennt jeder jeden. Er sei unendlich traurig, sagt er. Und doch müssten sie weitermachen, aufräumen, neu anfangen. Diese eine Nacht wird er wohl nie vergessen: der Himmel plötzlich orangen-hell, dann kamen die Flammen über diese Kuppe vor seinem Haus, rasend schnell. "Ich hatte nicht nur Angst zu sterben, ich hatte einen Horror davor zu sterben. Fürchterliche Angst, meine Familie verlassen zu müssen. Es gab unheimlich viel Rauch überall, wir haben einander nicht gesehen, uns immerzu gerufen, das kann sich niemand vorstellen, wie es war".
Überall schwarze Erde
In seiner Verzweiflung zerschneidet er einen Schlauch, will mit seiner Frau ins Schwimmbad springen und dadurch atmen, falls das Feuer zu nahe kommt. Schwarze Erde, das Feuer war überall. Die Verzweiflung auch. Andere, Nachbarn, Freunde, seien in Panik geflohen, erzählt José Luís. Viele davon seien nun tot. 30 Tote, bei 600 Einwohnern. Eine große Aufgabe für Julio Santos. Der Gemeindepfarrer kümmert sich um die Angehörigen. Auch ihm seien schon die Tränen gekommen, sagt er. "Heute Morgen habe ich ein Opfer beerdigt, gestern eins", sagt Padre Julio Santos. "Morgen dann ein kleines Mädchen. Das berührt mich am allermeisten, auch wenn jeder Tote wichtig ist. Ein Kind! wie schrecklich ist das! Klar kommen bei der Familie Fragen auf, warum sie ihr Kind verloren haben. Deswegen rede ich mit ihnen, will bei ihnen sein. Die Mutter ist verletzt, jetzt noch im Krankenhaus."
Warum, das fragen sich viele in Vila Facaia. Zum neuen Alltag im Dorf gehört auch dieses Bild: Feuerwehrwagen aus ganz Portugal füllen ihre Wassertanks auf. Die Männer kämpfen weiter gegen die Flammen in der Region. Es brennt nun seit Tagen. Immer wieder, auch um das Dorf herum. Der Wind facht die Glut immer wieder an und Waldbesitzer können nur hilflos zuschauen. Es qualmt – und plötzlich steht da eine Flammenwand. Wird die nicht sofort gestoppt, dann bewege sich das Feuer unglaublich schnell, erzählen hier alle. "Es ist ein Inferno, das ist die Hölle, zum dritten Mal brennt es jetzt hier schon! Ich bin so müde, fertig, verzweifelt", klagt der Waldbesitzer Oscar Nunes. "Es gibt dafür keine Worte."
Eukalyptus-Anbau trägt Mitschuld
Das Feuer hinterlässt tiefe Wunden, in der Natur und beim Menschen. Umweltschützer Domingos Patacho dokumentiert die Folgen. Er kommt aus der Region und kritisiert seit Jahren, dass hier Wälder voller Eukalyptus gepflanzt wurden. Gewinnbringend sei der, aber gefährlich, brenne schnell und glühend heiß. Dann könne sogar Auto-Aluminium schmelzen, erklärt er – und das schmelze erst bei 660 Grad. "Die Waldeigentümer pflanzen hier alle nur Eukalyptus. Und gucken sie mal hier, die Grenze: Alle reizen ihre Grundstücke maximal aus. Da springt das Feuer schnell über, da kommt kein Traktor mehr durch und ganz bestimmt kein Feuerwehrwagen. Das ist ein Problem, da gibt es keinen Weg dazwischen, gar nichts."
Auch José Luís besitzt ein paar Hektar Eukalyptus-Wald, wie fast jeder hier. Besser wären Pinien, Kiefer oder Korkeiche, wie es sie früher hier gab. Aber er sagt: Eukalyptus wachse schneller, bringe also früher Geld. "Unsere Regierung hat uns immer gesagt: das ist das grüne Gold. Das lief sogar im Fernsehen! Produziert Eukalyptus wegen der Papierfabriken. Eukalyptus, das ist der Baum, der Gewinne bringt. Und niemand hat verboten, Eukalyptus anzupflanzen." Die Menschen sind hier angewiesen auf das Geld aus dem Eukalyptus-Anbau. Das Feuer hat sie doppelt getroffen: sie haben sie nicht nur Angehörige und Freunde verloren – viele müssten nun auch ihr Holz verkaufen, erzählt José Luís. Und das könnte fallende Preise bedeuten.
Ein Film von Jan Peter Bartels (ARD-Studio Madrid).
Stand: 16.07.2019 03:17 Uhr
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