Mo., 09.10.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Puerto Rico: Karibikinsel versinkt im Chaos
Sandras Heimat – ein Trümmerfeld. Sie bekommt die Bilder nicht mehr aus dem Kopf. 38 Jahre hat sie am Fluss gelebt, in Guayama, einer Stadt im Südosten der Insel. Bis Hurrikan "Maria" alles zerstörte. "Ich bin sehr religiös", sagt Sandra Morales. "Als ich mein Haus verließ, sagte ich zu Gott, pass' darauf auf, nimm es mir nicht weg. Und es ist immer noch da, trotz all der Schäden." Familie Morales hat viel Liebe in ihr kleines Holzhaus gesteckt, aber sie sind arm, wie fast die Hälfte der Bevölkerung von Puerto Rico. Das meiste, was die Familie besitzt, ist jetzt Müll. Nur Wohnzimmer und Küche haben noch ein Dach. Eine Tochter lebt bei den Eltern. Es ist die junge Generation, um die sich Sandra Sorgen macht. "Ich sage ihnen, sie sollen es leicht nehmen. Hilfe wird kommen. Aber wir sehen nichts davon. Ich habe Angst, dass etwas passiert. Wenn es dunkel wird, muss man aufpassen, dass man nicht überfallen wird. Es gibt gute Menschen, aber auch schlechte."
Die Menschen fühlen sich von den USA im Stich gelassen
Das Wasser kommt mit jedem Sturm näher. Doch die Menschen haben kein Geld wegzuziehen. Sie fühlen sich im Stich gelassen, von den eigenen Behörden, aber auch von der US-Regierung, so wie Sandras Ehemann. "Wenn sie uns allein lassen, dann muss ich unser Haus irgendwie wieder aufbauen Wir müssen ja wo leben", sagt er. Seine Frau kämpft mit dem Schlamm. Den hat die Flut zurückgelassen. Die 60-jährige New Yorkerin hat ihren Mann mit 14 in Puerto Rico geheiratet. Immerhin haben sie in dieser Straße Wasser. Auch wenn es nicht trinkbar ist. Sandra hat Angst vor Krankheiten. Deshalb achtet sie sehr darauf, den Schlamm immer gleich abzuspülen. "Guayama ist eine Katastrophe", sagt sie. "Es wird Krankheiten geben. Fieber, Durchfall und all das. Ich versuche einfach, ein bisschen sauber zu machen, um nicht zu deprimiert zu werden. Aber es ist nicht einfach. Es scheint unmöglich."
Hilfe lief nur zögerlich an
Die katholische Kirche von Guayama hat standgehalten. Nicht die jahrhundertealten Bäume auf der Plaza. Die meisten Puerto Ricaner sind katholisch. Pater Terry Tull spürt ihre Verzweiflung. Sie suchen Trost bei der Kirche. Seit Jahren leiden sie unter der Wirtschaftskrise, jetzt noch dieser Sturm. "Sie wissen nicht mehr, wo sie hingehören", sagt der Pater. "Sie haben ihr Zuhause verloren. Ihnen wird erst ganz allmählich klar, was passiert ist und wie sie damit umgehen können. Der Sturm war ein Schock." Der Pater nimmt uns mit in ein Bergdorf. Die Straßen sind einigermaßen freigeräumt. Mehr haben die Behörden noch nicht geschafft. Der US-Katastrophenschutz hat sich hier noch nicht blicken lassen. Die Hilfe der Vereinigten Staaten lief nur zögerlich an, obwohl alle Puerto Ricaner US-Bürger sind und die Unterstützung vom Festland so dringend brauchen.
"Wir dürfen uns nicht unterkriegen lassen"
Die meisten Geschäfte sind noch geschlossen, aber Pater Terry hat ein paar Wasserflaschen ergattert. Eine bringt er der 86-jährigen Tomasa Rivera. Auch ihr hat der Sturm das Zuhause genommen. Sie wohnt erst einmal nebenan. Das Haus stand gerade leer. Die zerschmetterten Überreste ihres alten Lebens immer im Blick. "Ich versuche, es zu vergessen", sagt sie. "Ich werde nicht einfach nur zusehen, ohne etwas zu tun. Wir dürfen uns nicht unterkriegen lassen." Aber die Hilfe aus den USA kommt nicht nur schleppend. Die amerikanischen Behörden setzen auch die falschen Prioritäten. "Sie haben Internet in den USA. Wir hatten das vorher auch, aber nicht auf dem Land", sagt Pater Terry Tull. "Jetzt gibt es nichts mehr. Ich habe gehört, der US-Katastrophenschutz will zuerst Telefon und Internet reparieren, dann Strom, dann Wasser. Aber Wasser muss zuerst kommen. Dann Strom und Telefon. So leben die Menschen hier."
Nur nicht aufgeben
Eine Versicherung haben die wenigsten. Das Stromnetz war auch schon vor Hurrikan "Maria" marode, aber jetzt liegt alles brach. Die Insel braucht ein rundum erneuertes Stromnetz. Soldaten tauchen für viele zu selten im Katastrophengebiet auf. Die Reparaturtrupps haben noch längst nicht alles erfasst, was getan werden muss. Auf einem Plakat des Katastrophenschutzes heißt es lapidar: Es kommen Lautsprecherwagen, wenn wir für Entschädigungsanträge bereit sind. Darauf wartet Sandra Morales dringend. Sie will wissen, ob sie ihr Haus überhaupt wieder aufbauen kann. Wenn nicht, dann will sie weg. Wie so viele Puerto Ricaner. Der amerikanische Pass als letzte Ausflucht. Der Insel fehlt vor allem die junge Generation. "Für die ist es nicht einfach", sagt Sandra Morales. "Die wollen Technik. Die haben so etwas noch nie erlebt und konnten sich das gar nicht vorstellen. Es ist nicht leicht für die Kinder. Sie wollen Internet und Spiele, aber jetzt fahren sie wieder Rad und gehen raus auf die Straße. Sie müssen ihren Kopf freikriegen und dürfen nicht nur diese Zerstörung sehen."
Sandra will stark sein. Und geduldig. Schließlich sei die ganze Insel betroffen. Aber darunter mischt sich auch Bitterkeit. "Sind Sie Amerikaner zweiter Klasse?", fragt sie. Sandra wiederholt es nur. "Ja." "Morgen ist ein besserer Tag", lautet ein puertoricanisches Sprichwort. Daran halten sich die Menschen fest. Nur nicht aufgeben.
Autorin: Claudia Buckenmaier, ARD Studio Washington
Stand: 31.07.2019 04:34 Uhr
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