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Russland: Straflager wegen Protestplakat – Der Fall Dadin

Russland: Straflager wegen Protestplakat – Der Fall Dadin | Bild: Bild: BR

Freiwillig geht hier keiner hin. Wir sind in Rubzowsk in Sibirien. 5000 Häftlinge sitzen hier ein in einer Strafkolonie.

Anastasia Sotowa
Anastasia Sotowa | Bild: Bild: BR

Anastasia wartet seit Tagen in der Eiseskälte auf ihren Mann, Ildar Dadin. Sie hofft, dass er endlich freigelassen wird, nachdem sein Urteil aufgehoben wurde, denn in der Haft wurde er gefoltert. Das hat er ihr in Briefen genau beschrieben. Anastasia Sotowa liest vor: "Der Chef der Strafkolonie kam mit drei Männern und sie haben mich geschlagen, mehrmals am Tag. Dann haben sie meinen Kopf in die Kloschüssel gedrückt. Sie haben mich an den Handschellen aufgehängt, mir die Unterhose ausgezogen und gedroht, man werde mich vergewaltigen, wenn ich mit meinem Hungerstreik nicht aufhöre." Er fleht sie an, das zu veröffentlichen. Doch sie weiß, in einem russischen Gefängnis könnte er dafür mit dem Leben bezahlen. Anastasia Sotowa: "Als er schrieb, er halte das höchstens noch eine Woche aus, wussten wir, wenn wir nichts machen, überlebt er das nicht. Wenn wir es aber veröffentlichen, werden sie ihn entweder töten, oder alles wird gut."

"Putin, eine Schande für Russland!"

Ildar Dadin mit Plakat
Ildar Dadin mit Plakat | Bild: Bild: BR

Die Vorwürfe erregen sofort Aufmerksamkeit. Doch was ist eigentlich passiert? Wer ist Ildar Dadin? "Putin, eine Schande für Russland" - mit Plakaten, wie diesen hatte er mehrmals still und beharrlich demonstriert, in Einzelprotesten, da größere Demonstrationen kaum noch genehmigt werden in Russland. Die Staatsmacht reagiert unnachgiebig. Dadin ruft aus dem Polizeiwagen: "Sie schlagen die Leute! Mich haben sie ins Gesicht geschlagen, den anderen auch." Ein Polizist antwortet zynisch: "Wo schlagen wir denn? Wir wenden nur physische Gewalt an."

Ildar Dadin nach der Verurteilung
Ildar Dadin nach der Verurteilung | Bild: Bild: BR

Dadin wird zum ersten politischen Häftling, der nach dem neuen, eingeschränkten Demonstrationsrecht wegen friedlicher Proteste verurteilt wird, zu drei Jahren Lagerhaft. Man will andere damit abschrecken. Ildar Dadin nach der Urteilsverkündung: "Ich hoffe, dass ich die Kraft haben werde, das durchzustehen."

Folter und Isolation

Doch die Folter, die Isolationshaft, die er hier in der Strafkolonie in Karelien erlebt, übersteigen seine Kräfte: Im russischen Fernsehen wird berichtet, er habe sich gegen die Gefängnisleitung aufgelehnt. Der Menschenrechtler Valeriy Borshow hat Dadin in der Strafkolonie besucht. Er bestätigt die Vorwürfe: Folter, vor allem an politischen Häftlingen, sei kein Einzelfall. Die Kontrollbehörden werden zunehmend behindert. In der Kommission sitzen kaum noch Menschenrechtler, dafür häufiger Gefängnispersonal: "Es gibt einige dieser Strafkolonien, in denen gefoltert wird. Man hat ihnen absichtlich eine Carte Blanche erteilt und man schickt dort Leute hin, die wegen Extremismus oder Terrorismus angeklagt sind, aber nicht nur die, auch ganz normale Insassen. Die Gefängnisdirektoren haben die Vollmacht, sich einfach über das Gesetz hinwegzusetzen."

Es sind bange Stunden und Tage für Anastasia, bis ihr Mann endlich aus dem Straflager herauskommt. Das Oberste Gericht hatte seine Strafe zwar aufgehoben, aber die Behörden lassen sich mit der Freilassung dann noch tagelang Zeit: Willkür bis zuletzt.

Ildar Dadin daheim
Ildar Dadin daheim | Bild: Bild: BR

Bei aller Freude - vor ihr steht ein veränderter Mann. Zu Hause in Moskau wir erst langsam klar, wie sehr ihn die Lagerhaft mitgenommen hat: er verliert beim Sprechen oft den Faden, stottert, sucht nach Worten. Er habe oft gehungert, sich irgendwie durchgeschlagen. So sah sein Essen aus: „Es war verboten, persönliche Habseligkeiten zu haben. Also hatte ich auch keinen Kocher. Ich habe an alles Soja getan, als Fleischersatz, und Gewürze, die mir Anastasia geschickt hatte, um wenigstens etwas Geschmack zu haben.

Kämpfen für die Menschenrechte

Dann besteht er darauf, Anastasia zu zeigen, wie sie ihn gefoltert haben. Manchmal musste er stundenlang mit weit auseinandergestreckten Beinen dahocken, bis er umfiel. Für seine junge Frau ist das nur schwer zu ertragen. Sie bittet ihn, damit aufzuhören, und hofft, dass sie ihn irgendwie auffangen kann. Ohne Geld wird das schwierig. Sie werden für eine Wiedergutmachung kämpfen.

Sie möchte Russland am liebsten sofort mit ihm verlassen. Doch er will bleiben und sich für die Rechte von anderen Häftlingen einsetzen. In den Strafkolonien gehe es noch immer zu wie im Gulag zu Sowjetzeiten: "Ich werde hier so lange bleiben, bis dieses System zusammenbricht", sagt er. "Erst wenn ich sehe, dass in Russland die Menschenrechte respektiert werden und nicht nur theoretisch in der Verfassung stehen. Solange werde ich weiterkämpfen."

Menschenrechtler glauben, der Fall Dadin sei exemplarisch. Nachdem zunächst politische Aktivisten und Politiker, wie Nemzow, ausgeschaltet worden seien, sollen nun ganz normale Bürger eingeschüchtert werden. Sergej Nikitin von Amnesty International: "Durch dieses Einschüchterung von einzelnen Personen wird dem ganzen Land signalisiert: Es kann jeden treffen. Verhaltet euch lieber ruhig, guckt fern, fallt lieber nicht auf!"

Weiterkämpfen für die Demonstrationsfreiheit

Doch das kommt für sie nicht in Frage. Gebannt hören sie Dadin zu und erfahren wie man versucht hat, seinen Willen zu brechen: "Die Angst vor Folter hat sich bei uns Russen tief eingegraben, nachdem was wir erlebt haben." "Ich glaube, sie haben bei Dadin so hart reagiert, um jegliche Straßenproteste zu beenden, damit alle wissen welche Konsequenzen das hat."

Ein überwältigender Empfang bei seinem ersten öffentlichen Auftritt. Ohne die Unterstützung seiner Mitstreiter hätte er die Zeit in der Hölle nie überstanden, erklärt er ihnen. Mit dieser Hommage wollen sie international Aufmerksamkeit erregen und weiterkämpfen für das Recht, in der Öffentlichkeit seine Meinung zu sagen.

Autorin: Birgit Virnich, ARD Moskau

Stand: 14.07.2019 01:53 Uhr

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