Mo., 06.07.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
Schnappschuss Mexiko
"Eure Drehorgeln klingen manchmal schon etwas schräg", frage ich den Leierkastenmann. "Die sind auch schon sehr alt", sagt er: "Der hier ist von 1960 und damit noch jung." Die meisten Leierkästen kommen aus Deutschland. Angeblich haben die Mexikaner sie von Kaiser Wilhelm II. geschenkt bekommen. Doch nach hundert Jahren klingen sie nicht mehr wie in der Kaiserzeit.
Roman Dichi Zarco versucht die schönen alten Kästen wieder zu stimmen, damit man wenigstens erahnen kann, welches Lied sie spielen." Also, wenn ich ehrlich bin: Ich kann kein einziges Instrument spielen", erzählt er. "Aber von Tönen habe ich Ahnung und deshalb bin ich der, der sie stimmt und repariert." Roman ist der Chef der Leierkastenspieler, die mit den restaurierten Instrumenten ihren Lebensunterhalt verdienen.
"Schau mal", sagt er, "die Walze ist das Herz eines Leierkastens. Sie kostet 700 Euro ohne die 3000 Nägelchen, die die Melodie spielen. Mit den Noten kostet sie 2000." "Kannst Du an der Walze erkennen, welches Lied es ist?", will ich wissen.
Roman nimmt mich mit zu seinem Arbeitsplatz, wo ich lernen soll, wie Drehorgelspieler ihr Geld verdienen. Roman meint, die würden mir nur Geld geben, weil unsere Kamera dabei ist, und Fotos von mir machen, weil ich ein blonder Gringo bin. Blanker Kollegenneid! Doch schließlich adelt er mich doch noch, sagt, ich sei ein bisschen Mexikaner geworden heute, und dürfe deshalb, was wirklich nicht jeder darf, seinen Leierkasten für ihn nach Hause tragen.
Autor: Peter Sonnenberg, ARD Mexiko-Stadt
Stand: 08.07.2019 18:19 Uhr
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