Mo., 17.08.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
Spanien: Ballermann in Barcelona – eine Stadt erstickt am Tourismus
Hochbetrieb im Hafen vom Barcelona: Täglich legen gleich mehrere Kreuzfahrt-Riesen an und spülen Heerscharen von Touristen an Land. Nur wenig später finden sich diese Massen in der Innenstadt wieder, etwa auf den Ramblas, der Flaniermeile.
Barcelona ist angesagt, Barcelona ächzt und stöhnt unter dem Besucheransturm: acht Millionen Gäste pro Jahr, Tendenz steigend.
Einheimische? Fehlanzeige!
In den Markthallen sucht man Einheimische fast ebenso vergeblich wie an den Stränden – Sonnenbaden in einer der coolsten Städte Europas.
Viele Anwohner sind nur noch genervt – etwa im Viertel La Barceloneta direkt am Strand. Manel Martinez und seine Freunde gehen auf Patrouille, sie haben sich in einem Stadtteilverein organisiert. In ihrem Barrio werden nämlich viele Wohnungen, meist illegal, an Touristen vermietet.
Anwohner protestieren mit Plakaten gegen diese Geschäftemacherei: Bald gebe es hier keinen Platz mehr für normale Menschen, sagen die Aktivisten, weil immer mehr Wohnhäuser in lukrative Touristenherbergen umgebaut würden.
Manel Martinez vom Verein "La Barceloneta" sagt: "Wir haben entdeckt, dass von insgesamt 8000 Wohnungen 1500 für den Tourismus verwendet werden. Die Verdrängung von Anwohnern ist brutal."
Und mit immer mehr Touristen verwandelt sich der Stadtteil in eine einzige Party-Zone – Ballermann in Barcelona.
Protest gegen die Party-Urlauber
Manel Martinez vom Verein "La Barceloneta“ beschwert sich über die Touristen: "Ein paar Franzosen meinten schon, das hier sei die Copacabana von Europa, alles sei erlaubt, Fiesta ohne Ende."
Diese Fotos haben für Empörung gesorgt – italienische Touristen, hemmungs- und hüllenlos im Supermarkt. Manel Martinez resigniert: "Denen ist alles egal. Sie zeigen sich nackt auf den Balkonen, pinkeln irgendwo in die Straßenecken. Das ist unsere Wirklichkeit."
Und wenn es dunkel wird in Barcelona, dann steigen auch die Dezibelwerte in den angesagten Vierteln der Stadt: ein ständiger Lärmpegel bis mitten in die Nacht. Für die Anwohner ist das unerträglich. Für Pep Miro zum Beispiel: "Hören Sie mal – so geht das bis zwei, drei Uhr früh."
Anwohner Pep Miro: "Es gibt ältere Leute, die deswegen wegziehen mussten, etwa zu ihren Kindern, die außerhalb der Stadt leben oder in Vierteln, die nicht so betroffen sind."
In La Barceloneta entlädt sich der Zorn immer wieder in spontanen Protesten. Die einen wollen Party machen, die anderen ihre verdiente Ruhe haben. Das kann in solchen Stadtteilen auf Dauer nicht gut gehen: "Weg mit den Besoffenen", rufen diese Anwohner.
Die Stadtregierung versucht zu vermitteln
Seit Juni regiert im Rathaus ein links-alternatives Bündnis, und das hat jetzt die Notbremse gezogen: ein Jahr lang sollen keine neuen Hotelprojekte genehmigt werden. Man will eine Atempause.
Agustí Colom, Stadtrat für Tourismus, versucht beide Seiten zu verstehen: "Wir müssen diskutieren, wie wir den Tourismus neu organisieren, damit die Stadt davon profitiert, aber auch die Touristen selbst. denn die möchten doch auch eine liebenswürdige Atmosphäre."
30 konkrete Hotelvorhaben wurden erst einmal eingefroren, etwa dieses am Plaza Catalunya. Mehr als 100.000 Menschen in Barcelona arbeiten im Tourismusbereich – ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Die Hotellobby schlägt Alarm: Investoren würden mit einem Baustopp abgeschreckt.
Auch die Umwandlung dieses Büroturms in ein Luxushotel wurde vorerst eingefroren.
Xavier Barachina von der Immobilienfirma Magma Consulting gibt allerdings zu bedenken: "Solche voreiligen Entscheidungen sorgen für Unruhe in der Finanzwelt. Und als Stadt verliert man nicht nur Investitionen, sondern auch neue Arbeitsplätze."
Barcelona verändert sich
Es bleibt eine schwierige Gratwanderung, gerade auch im Viertel La Barceloneta. Der massive Touristenansturm verändert dramatisch die Sozialstruktur, erklären uns die Aktivisten. Das wird im Hundesalon von Montse Ortega deutlich: die langjährige Ladenbesitzerin muss hier demnächst ausziehen.
Montse Ortega sieht sich nicht als Einzelfall: "Das tut schon sehr weh, aber ich kann einfach nicht eine Miete von 1000 Euro für 24 Quadratmeter bezahlen. Und so wie mir ist es schon sehr vielen Menschen aus diesem Viertel ergangen."
Die Mitglieder der Stadtteilgruppe zeigen uns dann noch einen Erfolg ihrer Arbeit: Dieses Haus wurde versiegelt, weil hier alle Wohnungen illegal an Touristen vermietet worden waren. Damit ist es jetzt erst einmal vorbei.
Manel Martinez: "Diese Lage in Strandnähe ist sehr beliebt. Sie wird von den Touristen sehr nachgefragt. Allein in dieser Straße gibt es drei weitere Häuser, die ebenfalls versiegelt wurden"
Die Anwohner gehen immer öfter auf die Barrikaden. Sie seien nicht generell gegen den Tourismus, sagen viele von ihnen, die Urlauber würden ja auch viel Geld bringen. Aber sie wollen einen kontrollierten Tourismus, denn der scheint in Barcelona außer Rand und Band geraten zu sein.Autor.
Autor: Stefan Schaaf, ARD Madrid
Stand: 09.07.2019 03:49 Uhr
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