So., 31.01.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
Spanien: Mallorca – Armut auf der Sonneninsel
Auch im Winter lässt es sich am Strand von Palma gut aushalten, aber jetzt kann man die Menschen dort zählen. In diesen Monaten ist alles anders. Die Verzweiflung auf der Insel ist groß, die wenigen Besucher, die noch hier sind, spüren die triste Stimmung und ungewohnte Leere. Anette Schmidt erzählt: "Dass es so mal endet, hätte ich jetzt ehrlich gesagt auch nicht gedacht, es ist wirklich so traurig hier vorne grad." "Was ich hier sehe, ist ja…Geisterstadt, zumindest in Palma de Mallorca hier", stimmt Rainer Pielotz ihr zu.
Die Pandemie trifft die Mallorquiner hart
Wegen hoher Infektionszahlen auf den Balearen ist fast alles geschlossen, Bars, Restaurants und auch die großen Hotels – im Tourismus-Sektor geht nichts mehr. Die Wut darüber bricht sich in spontanen Demonstrationen Bahn – die Arbeitslosigkeit erreicht Rekordwerte, viele Menschen fühlen sich alleingelassen, sie stehen plötzlich vor dem Nichts. So auch Vanessa Ruiz: "Wir brauchen doch was zum Essen, wir müssen unsere Rechnungen bezahlen, aber keiner hilft uns. Die Menschen sind es satt, schikaniert zu werden."
Sie gehören jetzt zum Stadtbild von Palma: Menschen, die geduldig auf eine kostenlose Essenausgabe warten, etwa bei der Hilfsorganisation 'Tardor'. Vor der Corona-Krise wurden hier täglich 200 Mahlzeiten ausgegeben, jetzt sind es fast 2.000. Die Auswirkungen der Pandemie sind brutal. Zwar gibt es staatliches Kurzarbeiter-Geld, doch das reicht oft nicht aus.
So ergeht es Iria Noceda und ihrem Partner. Sie hat ihren Job als Animateurin in einem Hotel verloren – das hier ist ihre letzte Rettung. "Ich schäme mich nicht, hier zu sein. Es sind so viele Menschen, die jetzt Schlange stehen. Für mich ist es nur traurig, um Essen bitten zu müssen", sagt sie. Toni Bauzá organisiert für 'Tardor' die Hilfsprogramme – finanziert werden sie allein durch private Spenden. Er beobachtet, wie das soziale Gefüge auf Mallorca immer mehr ins Rutschen kommt: "Früher kamen Menschen, die seit langem sozial ausgegrenzt waren, doch nun sind es völlig normale Familien mit Kindern, die seit vergangenem Sommer keine Arbeit mehr gehabt haben."
Armut breitet sich immer weiter aus
Ein paar Blocks weiter zeigt uns Toni eine der Notunterkünfte, die seine Hilfsorganisation anbietet. Bis zu 80 Personen können hier eine Bleibe finden. Denn immer mehr Menschen verlieren nach dem Job auch die Wohnung, es ist eine Spirale nach unten. Knapp eine Million Einwohner hat Mallorca – mittlerweile gilt ein Drittel von ihnen als arm.
Der Argentinier Daniel Chavez teilt mit seiner Frau und den drei Kindern ein Zimmer, vor einem halben Jahr noch lebten sie in einer Mietwohnung und hatten Jobs in einem Hotel – ein ganz normales bürgerliches Leben. "Wir hatten beide Arbeit, uns ging es richtig gut. Und dann kam plötzlich die Krankheit mit dem Virus, und damit begann unser Absturz", erzählt Daniel Chavez.
Die Krise trifft Mallorcas Menschen hart. Der Aktivist Joan Segura demonstriert mit anderen vor einem Wohnhaus – sie wollen eine Zwangsräumung verhindern. Der Marokkaner Mohamed El Mahoufi sollte auf Druck des Eigentümers ausziehen – er kann die Miete nicht mehr voll bezahlen. Trotz Pandemie gibt es in Palma etwa zehn Zwangsräumungen wöchentlich. Nur wenn der öffentliche Druck zu groß wird, werden solche Maßnahmen vorläufig gestoppt. Joan Manuel Seguro von der Organisation 'Stop Zwangsräumungen' erzählt: "In diesen Tagen nehmen die Räumungen von Mietwohnungen zu, und gleichzeitig werden auch immer mehr Wohnungen geräumt, die von Familien aus purer Not besetzt wurden."
Wut der Einwohner richtet sich gegen die Regierung
Mohamed hat Glück, weil sich zu viele heute für ihn einsetzen, wird die Räumung vorerst abgesagt. Die Wut ist groß auf Mallorca. Viele fordern den Rücktritt der Landesregierung – staatliche Hilfen kämen zu langsam oder gar nicht an. Die Politik verweist auf die hohe Infektionslage und belegte Intensivstationen, Lockerungen seien nicht möglich. "Es ist normal, dass die Menschen protestieren. Das kann man verstehen, muss aber gleichzeitig auch erklären, dass wir die Gesundheitssituation verbessern wollen. Der Druck auf die Krankenhäuser muss nachlassen, es geht doch um Menschenleben", sagt der Tourismusminister der Balearen, Iago Negueruela.
Inmitten der wachsenden Not zeigen sich Mallorquiner aber auch solidarisch. Restaurantbesitzer lassen für Bedürftige Essenspakete zusammenpacken, die gespendet wurden. Dabei muss José Mariano Burgos selbst um den Fortbestand seines Betriebs kämpfen – bislang gab es vom Land Zuschüsse von gerade mal 1500 Euro, ein Tropfen auf den heißen Stein. "Wir wollen denjenigen helfen, denen es noch schlechter geht. Das wird doch das schlimmste Jahr überhaupt werden. Wollen wir mal sehen, ob die Regierung nur redet oder wirklich etwas tut. Denn uns allen geht es sehr schlecht", erzählt der Restaurantbesitzer.
Und dann wird am Mittag verteilt: eine heiße Schokolade, Tortilla und ein Sandwich. Zögerlich nehmen die Menschen ihr Paket in Empfang. Sie alle hier wissen: Mallorca geht einem schweren Jahr entgegen. Es wird noch lange dauern, bis wieder Urlauber auf die Insel kommen.
Autor: Stefan Schaaf/ARD Studio Madrid
Stand: 31.01.2021 20:29 Uhr
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