Mo., 30.10.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Spanien: Robin Hood für Obdachlose
Eigentlich sieht es aus wie ein schmuckes typisches Lokal in der Altstadt Madrids. "Robin Hood" steht auf dem Schild. Niemand, der hierher kommt, muss allerdings fürchten, ausgeraubt zu werden. Der Name ist dennoch Programm: Reiche zahlen für Arme. Entwickelt hat das Konzept ein umtriebiger katholischer Pfarrer. Padre Ángel wünscht sich eine "arme Kirche, Eine, die für die Bedürftigen da ist".
Was tagsüber in seinem Restaurant als Gewinn erwirtschaftet wird, geht abends in das Essen für Obdachlose und Notleidende. Um an die gedeckte Tafel zu kommen, wird von ihnen jedoch eine Gegenleistung erwartet. Sie sollen zeigen, dass sie in ihrem Leben etwas verändern wollen. Eine Arbeit suchen oder sich zumindest ordentlich kleiden. Den Willen zeigen, in Würde zu leben. Eine Reportage von Christian Gropper und Esther Saoub.
Das hier ist kein Zigarettenautomat, sondern eine Solidaritätsmaschine, erklärt der Kellner. Wenn du hier Geld einwirfst, dann spendierst du jemandem eine Dusche, Brot oder Kaffee. Robin Hood nennt sich dieses ungewöhnliche Restaurant, in dem die Reichen für die Armen mitbezahlen. Das Lokal sieht von außen aus wie viele in Madrids Altstadt. Aber jeder Gewinn, der tagsüber erwirtschaftet wird, geht abends in kostenloses Essen für Bedürftige.
Ein Priester kämpft gegen Armut und Hunger
Der Wirt ist Padre Ángel. Ein katholischer Priester, der Armut und Hunger den Kampf angesagt hat. "Das Wichtigste hier sind Gemeinschaft, Freundschaft und die Würde." Würde – ein ziemlich abstrakter Begriff für Leute, die auf der Straße wohnen. Schätzungsweise mehrere Tausend Bürger Madrids sind obdachlos. Der leichte Aufschwung der spanischen Wirtschaft ist bei ihnen nicht angekommen. Sie finden Hilfe in der sogenannten Kirche der Armen, San Anton. Hier kann jeder, der es braucht, schlafen, essen und natürlich die heilige Messe feiern. Die Kirche ist immer offen. Dafür hat Padre Ángel viele Jahre gekämpft – und fand schließlich einen Fürsprecher in Papst Franziskus. "Die erste Botschaft, die ich von ihm gehört habe, hieß: Oh wie ich mir eine arme Kirche wünsche, eine die für die Armen da ist. "Er ist ein Papst, der sich widersetzt, der zornig wird, der die Menschen um Verzeihung bittet, für eine Kirche, die sich ihnen gegenüber manchmal schlecht verhalten hat."
Padre Ángel hat Essensgutscheine eingeführt fürs Restaurant Robin Hood. Der Rentner Luis Vincente strengt sich an, um jeden Monat diese Eintrittskarte zu bekommen: Die Beratungsstelle der Kirche erwartet, dass er sich um ein würdevolles Verhalten bemüht. "Zwei Jahre lang habe ich keinen Anzug, keine Krawatte oder Fliege getragen. Und da sagte meine Tochter zu mir 'Papa, du wirst wie ein König ins Restaurant gehen', 'Was? Wie ein König? Was meinst du denn damit?' Sie hat mich richtig schön zurechtgemacht. Einfach so, damit ich respektiert werde. Und aus Respekt für Padre Ángel."
Die Reichen zahlen für die Armen mit
Luis Vincente hat erst seinen Job verloren, dann ist die Ehe in die Brüche gegangen – er lebt auf der Straße, doch dieses Leben möchte er nicht zeigen. Er lädt uns aber ein, abends ins Restaurant zu kommen. Dort wird noch das Mittagessen vorbereitet. 11 Euro zahlen die Gäste. Vom Gewinn werden andere abends umsonst essen. Luis Vincente hat sich für diesen Augenblick in Schale geworfen für die erste warme Mahlzeit an diesem Tag. "Robin Hood ist für mich die Rettung. 'Der Hunger bringt mich um', das sagt sich so leicht, aber dramatisch ausgedrückt kann man sagen, das Robin Hood ist der Tisch, der mir das Leben rettet."
Vor Gott sind alle Menschen gleich – diesen Satz nimmt Padre Ángel wörtlich. Und tatsächlich sind hier im Restaurant die mittellosen Gäste kaum von denen zu unterscheiden, die ihr Essen mitfinanzieren. "Wie oft wechseln wir die Straßenseite, um einem Obdachlosen aus dem Weg zu gehen", sagt Padre Ángel. "Das ist ein Problem, das die Politik nicht lösen kann: hier geht es um Menschenrechte! Egal ob wir nun Geld haben oder nicht, die Würde muss erhalten bleiben."
Inzwischen sind auch die gekommen, die hier abends ehrenamtlich die Armen bedienen: "Sie geben dir mehr, als sie bekommen. So sehe ich das", meint eine Restaurantbesucherin. "Ich gehe viel zufriedener nach Hause. Und sie sind so dankbar. Ich meine, heute stehen wir hier oben, aber wir können auch jederzeit straucheln. Vielleicht sind wir morgen schon einer von ihnen." Um kurz vor acht wird innen eingedeckt. Dann kommen die Gäste. Jede Essenskarte wird abgezeichnet. Jüngere hier sollen zeigen, dass sie in den Beruf zurückwollen. Es geht auch um Resozialisierung. Luis hat an diesem Tag die gute Nachricht bekommen, dass ihm die Stadtverwaltung ein Zimmer überlässt. Damit er nicht nur in Würde Essen, sondern auch Leben kann.
Stand: 31.07.2019 08:35 Uhr
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