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Afghanistan: "Kopflos rein in den Krieg und kopflos wieder raus!"

Afghanistan: Kopflos rein und kopflos raus! | Bild: SWR

Als vor über 11 Jahren die ersten Bundeswehrsoldaten Afghanistan betraten,war der ARD Korrespondent Jürgen Osterhage zur Berichterstattung am Hindukusch. Jetzt, da die Deutschen mit dem Abzug aus der nordafghanischen Provinz begonnen haben, zieht Jürgen Osterhage eine bittere Bilanz des Bundeswehreinsatzes: Vom ursprünglichen Ziel, Frieden und Demokratie zu bringen, sei so gut wie nichts erreicht.

Beitrag von Jürgen Osterhage, ARD Neu Delhi

Fahrt zu dem Ort, an dem vor 4 Jahren deutsche Soldaten sich die Hände blutig machten. Mehr als 100 Afghanen – überwiegend Zivilisten – verloren dabei ihr Leben. 

Plötzlich ein Funkspruch aus einem Begleitfahrzeug:“ Ein Selbstmordattentäter ist in Kundus-Stadt unterwegs in der Uniform eines ANA-Offiziers im Rang Second Lieutenant, das sind die Informationen, die wir von afghanischer Seite bekommen haben – einfach nur die Augen offen halten und niemandem in Uniform trauen“. 

Nur wenige Kilometer weiter: Der Ort des Bombenangriffs auf zwei Tanklastzüge. Entführt von Taliban. Die Lastwagen - festgefahren auf einer Sandbank im Fluss. Es ist der 4. September 2009. Die dramatischste Luftattacke des Afghanistan-Krieges, befohlen von einem deutschen Oberst. 

Wir sind immer noch tief erschüttert, erzählt mir dieser Augenzeuge. Die Deutschen haben mehr als 100 afghanische Zivilisten umgebracht – für nur zwei Tanklastzüge. Im Dorf Omerkhail. Hier gibt es die meisten Opfer. Die Überlebenden - noch immer traumatisiert. Abdul Hanan verlor zwei Söhne und einen Neffen. „ Himmelschreiendes Unrecht ist passiert. Dafür sind die Deutschen verantwortlich. Statt Aufbau und Frieden zu bringen, haben sie unschuldige Menschen getötet“, sagt Abdul Hanan.

 Das Verteidigungsministerium bezahlte pro Opfer 5000 Dollar. Ohne Schuldeingeständnis. Ich erlebe Hass bei den Dorfbewohnern, und Erleichterung, dass die Deutschen endlich gehen.

Abdullah Jan: „Die Deutschen haben getötet, unser Land und unsere Dörfer zerstört. Niemand kam und teilte unsere Trauer“.

Doch einer. Jürgen Todenhöfer, Ex-Politiker, Ex-Manager. Jetzt Wohltäter. Er zeigt, so finde ich, die Geste, die die deutsche Regierung versäumte. Er ließ in Kabul ein Waisenhaus bauen. Für Kundus-Opfer.  Schule, Ausbildung, Verpflegung kommt dazu. Alles mit seinem privaten Geld.

“Und ich finde, das ist eine Pflicht der Bundesregierung eine große Geste zu machen. Zu den Menschen hinzugehen und zu sagen, was ich auch habe machen müssen und gemacht habe, wir bitten um Entschuldigung. Und die Menschen finaziell zu unterstützen. Es kann nicht sein, dass wir die mit 5000 Dollar Winterhilfe abspeisen“.

Einige Opfer klagen in Bonn um mehr Geld. Doch der Verteidigungsminister Thomas de Maiziére, wiegelt kühl ab. “ Für uns ist das abgeschlossen. Das ist umfänglich untersucht worden. Wir hatten einen Untersuchungsausschuss. Und ich bin ein wenig erstaunt, dass jetzt ein Landgericht in Bonn meint, darüber Beweis erheben zu können, was militärisch angemessen ist“.

Provinzhauptstadt Faizabad, im Nordosten. Gleich am Ortseingang ein Flughafen. Ich sehe aber keine Flugzeuge. Das macht mich neugierig. Das Flughafen-Gebäude ist abgeschlossen. Nach ein paar Minuten kommt der Hausmeister und lädt mich zu einer Besichtigung ein. Es riecht noch nach frischer Farbe. Hier landen so gut wie keine Flugzeuge, erzählt mir der Hausmeister. Nur drei UN-Maschinen pro Woche. Und auch nur, wenn die Sonne scheint. Das ist alles. Der Flughafen sei eigentlich nicht in Betrieb. Wie viele Menschen arbeiten hier, frage ich? Es gibt noch einen Leiter des Flughafens, erhalte ich als Antwort. Sonst gibt es hier Niemanden.

Feierabend sagt er in die Kamera und geht. Da für den Rest der Woche keine Landung mehr ansteht, dürfen wir über die Landebahn fahren.

Rund sechs Millionen Euro hat der Neubau gekostet, erfahre ich. Bezahlt von den Amerikanern. Aber wofür eigentlich? Eine Antwort darauf erhalte ich nicht. Es geht auch anders. Das ursprüngliche Ziel des Afghanistan-Einsatzes. Aufbauhilfe leisten. Es funktioniert. Manchmal. Auf dem Land. Eine Milchsammelstelle in Pol-e-Khomri. 40 Bauern haben unter deutscher Anleitung eine Genossenschaft gegründet. Prüfen, wiegen, registrieren. Alles für die Qualitätsverbesserung.

Dann geht es zu einer Molkerei. Finanziert von Berlin. Hier wird die Milch zu Butter und Quark, Joghurt und Käse verarbeitet. Diese Entwicklungshilfe kommt an. Ein positives Beispiel. Leider viel zu selten.

Denn oft ging es daneben. Wie hier. Ein Trainingszentrum für die Ausbildung von afghanischen Polizisten in Faizabad. Gebaut mit deutschen Steuergeldern. Ursprünglich für 200 Polizisten. Doch nach einem Jahr Bauzeit wurde festgestellt, viel zu groß. Höchstens 80 Plätze sind notwendig.

Dann dachte man an eine Berufsschule, erfahre ich. Aber es gibt keine Berufsschüler. Jetzt sollen Studenten hier einziehen. Vielleicht. Kein Konzept. Keine Strategie. Geldverschwendung pur.Die Afghanistan Hilfe – so erlebe ich - hinterlässt viele Ruinen.

In Kabul treffe Tinko Weibezahl, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung. Seine Bilanz nach elf Jahren Nato- und Bundeswehr-Einsatz – ernüchternd: "Man hat es in den letzten zehn Jahren nicht geschafft, eine Industrie aufzubauen, die langfristig dafür sorgen kann, dass die Afghanen selber überleben ohne auf Geld angewiesen zu sein von draußen. Es ist einfach nichts passiert“.

Das größte Hilfsprogramm der Menschheitsgeschichte. Wo sind die Milliarden-Hilfen hingeflossen, frage ich Tinko Weiberzahl:  „Viel von dem Geld ist verschütt gegangen, das ist in Korruption gegangen, davon wurden neue Eliten bezahlt, die sich dann schöne Häuser gebaut haben, oder das Geld auf Bankkonten in Dubai liegen haben:

Frage: Stimmt, das, man hat erzählt, sie haben mit Flugzeugen hier in Waschkörben das Geld rausgebracht.

"Die Kabul-Bank hat 935 Millionen US-Dollar verloren, einer der Miteigentümer ist ein Bruder von Kasai. Die Regierung bestreitet, dass Kasai davon gewußt hat. Das ist aber sonnenklar, dass das so nicht sein kann.“

Fahrt durch die Stadt. Eine Festung. Ein Dutzend Mal war ich in den letzen Jahren in Kabul: Ich stelle fest. Die Sicherheitslage – äußerst prekär. Immer wieder Anschläge. Vom ursprünglichen Ziel, Frieden und Demokratie zu bringen, ist so gut wie nichts erreicht. Kopflos in den Einsatz hinein. Kopflos wieder raus.

„Die Leute sind enttäuscht. Mit Masse, weil sich ihr Leben, ihre langfristigen Perspektiven nicht verbessert haben. Und die großen Hoffnungen, die man vor 10 Jahren hatte, werden eigentlich immer weniger“, sagt Tinko-Weibezahl, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung:

2014 endet der Nato-Einsatz. Die Taliban sind wieder erstarkt. Ohne sie wird es keine Lösung geben. Ich befürchte, dass Afghanistan wieder in Clankriege, Chaos und Bürgerkrieg versinkt.

Stand: 15.04.2014 11:03 Uhr

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