So., 27.10.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Libyen: Wo ist die versprochene Demokratie?
Zwei Jahre nach Gaddafis Tod ist das Land unsicherer denn je
Ist Libyen auf dem Weg zu einem gescheiterten Staat? Zwei Jahre nach dem Tod von Diktator Gaddhafi gibt es immer noch keine stabilen staatlichen Strukturen. Milizen und Waffen beherrschen das Bild. ARD-Korrespondent Stefan Maier sucht in Benghasi nach dem politischen Neuanfang, hört aber ständig Schüsse und trifft immer wieder auf Checkpoints der mächtigen Milizen. Er stellt die Musikgruppe „Guys Underground“ vor, die während der Revolution bekannt geworden ist. Marrwan, der Sänger, hat die Hoffnung auf ein demokratisches, freies Libyen noch immer nicht aufgegeben. Ein Einblick in die äußert angespannte Situation in Benghasi mit sympathischen Helden, die trotz allem das Leben und ihre Musik lieben.
Ein kleines Konzert auf dem Dach fürs Deutsche Fernsehen. „Like the Heroes“ – wie die Helden. Hussein, Marrwan und Yahya. Drei Studenten. Sie sind die „Guys Underground“. Das Lied haben sie für die Opfer der Revolution geschrieben. Sie haben es lange nicht mehr gespielt. Denn in Bengasi fühlt sich nichts mehr nach Revolution an. „Heute sollte eigentlich der Jahrestag der Befreiung gefeiert werden, sagt Yahya, „aber niemand interessiert sich dafür. Viele Leute starben für einen Tag wie diesen, und niemand feiert. Es herrscht Enttäuschung und Frust.“ Denn zwei Jahre nach dem Ende der Diktatur ist Libyen noch immer kein funktionierender Staat. „Sogar Ali Zeidan, den Premierminister, haben sie gekidnappt und erst nach Stunden freigelassen“, sagt Hussein. „Es gibt keine Sicherheit. Jeder hat eine Waffe, überall Milizen. Die Leute denken dann: was soll das für eine Regierung sein, dass sogar der Premierminister entführt werden kann.“
Libyen droht zu scheitern als Staat. Daran hat im April 2011 in Bengasi keiner gedacht. Damals haben wir die Guys Undergrounds zum ersten Mal getroffen. Die Stadt war gerade befreit, in Tripolis, der Hauptstadt, herrschte noch Gaddafi. Die Mitglieder von Guys Underground waren nicht an der Front, sie versorgten Journalisten aus aller Welt mit Informationen. Und die Kämpfer mit Musik. „Jeder hat jetzt eine Menge von Träumen. Der erste ist, unser Land wieder aufzubauen, so schnell wie möglich“, so Hussein damals.
Es herrschte Aufbruchsstimmung in Bengasi vor zweieinhalb Jahren. Der arabische Frühling war eingezogen, wenigstens im Osten des Landes. Die Hoffnungen waren fast grenzenlos. Der Tahrir Platz heute. Leergefegt selbst am Nationalfeiertag. Letzte Erinnerung an die Revolution ist eine kleine Bude, in der Mohammed al Harari Andenken verkauft. Marrwan tut es fast weh, heute über diesen Platz der Befreiung zu gehen. „Du kommst her und bist traurig. Du fühlst nur den Wind, der dein Gesicht streift und dir ist kalt. Das ist es, mir ist jetzt kalt hier. Es ist nicht mehr der Tahrir Platz, sondern ein Geisterplatz. Ich bin sehr traurig." Und wie zum Beweis hört man im Hintergrund Schüsse. Ich hoffe, der Platz wird wieder aufblühen als der wichtigste Teil dessen, was in unserer Revolution geschah. Sooner or later, inshallah.“
Es sieht nicht danach aus. Überall Ruinen des alten Regimes, nichts ist wieder aufgebaut. Symbole für eine Stadt, für einen ganzen Staat, in dem es nicht vorangeht. In dem Stammesführer und religiöse Eiferer um die Vorherrschaft streiten. Trotz einer frei gewählten Regierung. Denn die ist schwach, es gibt keine funktionierende Polizei oder Armee. Die Herrschaft liegt bei den Milizen, Kampfverbänden ehemaliger Revolutionäre, die nie entwaffnet wurden. Vielen bleibt da nur die Erinnerung an den Geist der Revolution. Mohamed, der Kioskverkäufer, zeigt Marrwan Bilder aus der Zeit nach dem 17. Februar 2011, als in Bengasi der Aufstand gegen Gaddafi begann.
Ein paar Schritte entfernt nur ein ehemaliges italienisches Kolonialgebäude, jetzt Museum des Widerstandes. Im Vorgarten hat ein Künstler seine Skulpturen aufgestellt, Kunst aus Kriegsschrott. Doch niemand will sie sehen. Die Eingangshalle ist noch immer schwarz vom Feuer, das die Aufständischen gelegt hatten, ein paar Bilder junger Maler verlieren sich an den verbrannten Wänden. Im ersten Stock hängen die Fotos der Märtyrer. 500 sind in Bengasi gefallen. Viele von ihnen waren Marrwans Freunde. „Ich habe Respekt vor jedem, der ein Gewehr trug, oder vielleicht auch kein Gewehr trug, sondern die Kämpfer nur mit Wasser versorgte und dabei ums Leben kam. Vor ihnen habe ich Respekt. Ich kann nicht über alle sprechen, die ich hier kannte. Aber am Ende waren sie alle Libyer." Noch immer hat Bengasi ein wenig vom alten Charme. Aber die Stadt wirkt wie gelähmt. Überall ist die Enttäuschung, die Resignation zu spüren.
Marwaan will uns zu den Milizen bringen. Sie gelten als die eigentliche Ursache für das Chaos im Land. Viele von ihnen sind Islamisten, bilden Staaten im Staat. Und bestrafen die, die nicht ins eigene Konzept passen. Wir kommen an einer Parfumerie vorbei, mitten in Bengasi. Vor zwei Tagen wurde vor der Tür eine Bombe gezündet, ein Anschlag auf das moderne Libyen. Und während wir uns den Schaden ansehen, erhält Marrwan eine Absage von den Milizionären, zu denen er Kontakt hat. Andere Milizen filmen zu wollen, sagt er, sei lebensgefährlich.
Aber es gibt auch Menschen in Bengasi, die die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben. Meist Studenten, gut ausgebildet, doch ohne Aussicht auf einen Job. Man trifft sich zum Fußballspielen, aber vorher wird diskutiert. Sie versuchen den Menschen Politik näherzubringen, den Aufbau einer Zivilgesellschaft nach 42 Jahren Diktatur. Sie zeigen uns Bilder, viel ist nicht zu erkennen, aber die Botschaft ist klar: Zuerst müssen die Waffen weg. „Jeder, der Waffen benutzt, hat eine Mutter, einen Vater, Kinder, eine Frau, was auch immer“, sagt der Politik-Student Tawfik Bensaud. „Wir versuchen den Leuten klar zu machen, warum die Lage so schlecht ist. Sie ist schlecht, weil es Waffen gibt. Warum sie gefährlich sind. Was man mit ihnen machen sollte. Wir versuchen an diese Leute, die Milizionäre, heranzukommen über die Menschen, die sie lieben.“ Ein langer Weg. Doch sie haben ein Ziel: nicht gegeneinander kämpfen, sondern gemeinsam für den Aufbau des Landes. Dafür machen Boys Underground Musik. Endlich vorwärtskommen.
Stefan Maier, z.Zt. ARD Kairo
Stand: 15.04.2014 10:51 Uhr
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