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Russland: Sotschi – Wenig Brot trotz teurer Spiele

Russland: Sotschi - Wenig Brot trotz teurer Spiele | Bild: SWR

Nur noch wenige Monate bis zu den Olympischen Winterspielen in Sotchi am Schwarzen Meer. In dieser Woche prüfen Inspektoren des Internationalen Olympische Komitees abschließend die Wettkampfstätten. Der Weltspiegel hat hinter die Kulissen geschaut und zeigt, wie die normalen Menschen in Sotchi darunter leiden. Verzweifelte Usbeken, die auf den Baustellen arbeiten, berichten, dass sie seit Monaten um ihren Lohn geprellt werden. Der Vertreter einer Menschenrechts-Organisation erklärt, etwa ein Drittel der Lohnarbeiter habe solche Probleme. Er spricht von Sklavenarbeit. Die Visionen des Wladimir Putin schaffen vor allem eine Infrastruktur für Russlands Reiche.

Udo Lielischkies, ARD Moskau

Baustelle am Strand
Durch die Baustellen bleibt vom Strand nicht viel übrig | Bild: SWR

Die Frühschicht beginnt. Sie kommen aus Usbekistan und Tadschikistan, schuften sechs Tage pro Woche, zehn Stunden am Tag. Mit den versprochenen Zweieinhalb Euro Stundenlohn wollen sie ihre Familien zuhause ernähren. Sechzigtausend dieser Wanderarbeiter haben Putins Olympiavision wahr werden lassen. Der Badestrand von Adler, einem Sotchi-Vorort, ist an beiden Seiten von Baustellen umgeben. Der öffentliche Strand für Einheimische und finanzschwache Touristen aus den kalten Regionen Russlands soll jetzt eine Strandpromenade bekommen, Cafés, Bars, Restaurants. Alle Ufergrundstücke sind bereits verkauft, weiß Wladimir Kimajew.“Gerade mal 300 Meter öffentlicher Strand sind dazwischen übrig geblieben”, erklärt der Umwelt-Aktivist. “Ich komme seit 2008 her“ sagt eine Touristin. „Jeden Sommer. Zu genau diesem Strand. Aber in diesem Jahr bin ich geschockt. Und die anderen langjährigen Gäste auch. Als die das sahen, wollten die gleich wieder weg.“

Arbeiter
Viele der sechzigtausend Wanderarbeiter werden um ihren Lohn geprellt.  | Bild: SWR

Wir fahren in Richtung Skigebiet. Viele Milliarden hat die russische Regierung in eine gewaltige Auto- und Eisenbahntrasse investiert, um die Olympiabesucher vom subtropischen Sotchi in die aus dem Boden gestampften Skiresorts zu locken. Und später die Skitouristen. Informationsbroschüren für Gastarbeiter aus Mittelasien: Semjon von der Menschenrechtsgruppe Memorial klärt die Männer auf, wie sie sich gegen die illegale Machenschaften ihrer Arbeitgeber wehren können. Denn viele von ihnen werden systematisch um ihren Lohn geprellt, schuften Monatelang ohne jede Bezahlung. “Zweieinhalb Monate schulden sie uns schon”, erzählt ein Usbeke. Wieviel Geld ist das?” “Im Schnitt 65.000, eineinhalb Tausend Euro. Für jeden.” Und bald werden sie abgeschoben, ahnen sie. “Ihre Firma ist einer dieser Subunternehmer beim Olympiabau“ erklärt der Menschenrechtler Semjon Simonow. „Offenbar mit der speziellen Aufgabe, billige Arbeiter zu finden und sie dann ohne Bezahlung wieder loszuwerden.”

Ein Mann vom Sicherheitsdienst unterbricht unser Interview. Die Männer arbeiten, essen und schlafen auf der umzäunten Baustelle, auf der wir nicht filmen dürfen. Ihre Pässe mussten sie abgeben, erklärt Semjon, viele Firmen beantragen nicht einmal Arbeitspapiere – denn illegale Arbeiter lassen sich leichter wieder abschieben – auch ohne Lohn. Von der Talstation “Rosa Chutor” geht es hoch in die Skigebiete. Die Lifte laufen seit langem, die Abfahrtspisten sind fertig, der Bau des Olympisches Dorfes liegt ebenfalls im Zeitplan. Der gewaltige Kraftakt scheint zu gelingen, glaubt seit dieser Woche auch das olympische Komitee. Bis zu 40 Milliarden Dollar könnten die Winterspiele plus Infrastruktur kosten, das ist der erste russische Weltrekord. “

Mit Folien abgedeckter Schnee
Der Schnee vom letzten Jahr ist unter gewaltigen Folien gelagert worden | Bild: SWR

Noch zeigt die elektronische Anzeige Null Zentimeter Schnee, und Schnee ist eines der heiklen Themen dieser Olympiade im subtropischen Sotchi. Der vom letzten Jahr ist unter gewaltigen Folien gelagert worden, und weil der Sommer nicht so heiß war wie sonst sind nur 30 Prozent davon weggetaut. “So das hier ist der Schnee von Sotchi, für den Fall, dass es nicht reicht“, sagt Udo Lielischkies.“ 450.000 Kubikmeter sind gelagert worden in acht, glaube ich, solcher Lager, überall am Berg verteilt. Und dann gibt´s noch mal zur Sicherheit 425 Schneekanonen, die haben wir unten gesehen.”

Bagger
Die Bagger nehmen keine Rücksicht auf die Natur | Bild: SWR

Noch viereinhalb Monate bleiben für den Endspurt, Hubschrauber fliegen Beton zu den entlegenen Baustellen in den Bergen. Es ist ein atemloser Wettlauf gegen die Zeit, Tausende schwerer Lastwagen sind im Einsatz, und auch im Naturschutzgebiet bei Adler hinterlässt das seine Spuren. Aus riesigen neuen Steibrüchen wird im Akkord weiteres Baumaterial herangeschafft, zeigt uns Wladimir, und die entstandenen Krater werden sofort wieder mit Bauschutt aufgefüllt. “Ja, das ist Karstgestein. Das ist ein riesiger Trinkwasserfilter. Und schauen Sie, was passiert. Alles wird aufgefüllt und dann filtert das nicht mehr. Das Wasser kann nicht mehr ablaufen, weil alle Poren verstopft sind.” Das Dorf unterhalb hat seit drei Jahren trockene Brunnen.

In dieser Siedlung beginnen die Häuser umzufallen. Nicht nur die Neubauten, erklärt der alte Mann, der gesamte Hang, auf dem ihr Dorf steht, rutscht seit drei Jahren ab – seit schwerer Betonschutt oberhalb in einer wilden Müllkippe entsorgt wurde. Anna zeigt uns, wie schief ihr neues Haus inzwischen steht. Hier war ihre Küche – bis sich immer mehr Wasser in einer Ecke ansammelte. “Hier, das Wasser stinkt. Und mein acht-monatiger Enkel muss das einatmen.” Und uns sagen sie: “Hier kann man doch noch leben.” Neun Personen leben hier auf einer schiefen Ebene. “Ich kann diese Vertröstungen nicht mehr aushalten. Ich lege mich abends einfach ins Bett und weine - bis ich morgens wieder zur Arbeit gehe. Einen Rechtsanwalt können sie sich nicht leisten hier im Dorf. Und sie ahnen wohl auch: Gegen die mächtigen Firmen, die hier Putins Olympia bauen, haben sie ohnehin keine Chance.

Stand: 15.04.2014 11:01 Uhr

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