So., 11.08.13 | 19:20 Uhr
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Südafrika: Das Trauma der Frauen
Anene Booysen war 17, als drei junger Männer über sie herfielen und sie aufs brutalste vergewaltigten. Sie starb im Krankenhaus. Es ist ein Fall, der jüngst ganz Südafrika bewegte und ein Thema auf die Tagesordnung setzte, das lange ein öffentliches Tabu war: Sexuelle Gewalt gegenüber Frauen. Südafrika hält einen traurigen Rekord. Statistisch gesehen wird alle 9 Minuten eine Frau, ob junges Mädchen oder Erwachsene, vergewaltigt.Inzwischen regt sich Widerstand gegen eine Macho-Kultur, in dem das Ja von einem Mann in der Regel mehr gilt als das Nein einer Frau. Zerstörte Familienverhältnisse, falsch verstanden Tradition und Armut, alles Gründe warum Frauen und Kinder zu Opfern werden.
Ein Bericht von Ulli Neuhoff, ARD Studio Johannesburg
Für einen Moment tritt die Wut hinter der Trauer zurück. 200 Kilometer von Kapstadt entfernt beerdigt ein ganzer Ort ein Mädchen. Anene Booysen war 17 als drei junger Männer über sie herfielen. Sie aufs brutalste vergewaltigten. Es fällt schwer, die Wut zurückzuhalten, denn jeder in der Gemeinde weiß, wie Anene Booysen gefunden wurde: Am Straßenrand zurückgelassen, für tot gehalten von ihren Peinigern. Hände und Beine gebrochen, ihr Bauch aufgeschlitzt, so wurde sie in Krankenhaus eingeliefert.
Corla Olivier; Mutter von Anene Booysen: "Sie sagte, ich habe Durst, gibt mir etwas Wasser. Aber die Krankenschwester meinte, sie darf kein Wasser trinken, einen Eiswürfel könnte sie haben. Da nahm ich den Eiswürfel und hielt ihn an ihre Lippen, damit sie daran lutschen konnte. Dann sagte sie noch: Mama, bitte decke mich zu, mir ist kalt, da war mir klar, dass es jetzt zu Ende geht mit ihr.“
Alene Booysen starb noch am selben Tag.
Es ist die Brutalität, die besonders auffällt. Kevin Barbeau von der Hilfsorganisation "Women And Men Against Child Abuse" hat die schlimmsten Fälle als Mahnung an die Bürowand gehängt. Kleinkinder und alte Frauen, alle 9 Minuten wird in Südafrika jemand vergewaltigt. Das zu erklären fällt schwer. Ein Grund aber ist wohl, dass in Südafrika nur wenige Kinder mit ihren Vätern aufwachsen.
Kevin Barbeau, Women+Men against Child Abuse: "Es gibt einen eklatanten Mangel an männlichen Vorbildern in den Haushalten. Und es ist bewiesen, wenn niemand den Jungs eine Richtung gibt, ihnen zeigt, sich selbst zu lieben und anderen Mitgefühl entgegen zu bringen, dann werden sie Opfer von Missbrauch und schließlich selbst Täter.“
Alexandra, eine Township in Johannesburg. Auch hier leben nur wenige Männer mit ihren Kindern. Es ist eng, Kriminalität und Aggression, Auch Alexandra ist einer der Brennpunkte wenn es um Vergewaltigung geht, einer von vielen.
Lizzy Mokoena, Kidz Clinic: „Lorato kam von dort hinten, von der 11. Straße. Sie und ihre Freunde kamen hier hoch um jemanden zu besuchen“, erzählt die Sozialarbeiterin von einem Fall. „Sie saßen im Taxi, als dieser Mann zu ihnen stieg.“
Lerato (19): "Meine Freundin und ich fuhren im Taxi. Zusammen mit zwei Jungs, Freunde von uns“, berichtet Lerato scheinbar unbeteiligt ihren Fall. „Thabo verlangte von ihnen, uns zu vergewaltigen. Die aber weigerten sich, da machte es Thabo selbst."
Vor den Augen ihrer männlichen Freunde und mit vorgehaltener Pistole, vergewaltigte er Lerato und ihre Freundin. Mehr will sie nicht erzählen. 10 Monate ist das jetzt her, sie will vergessen und versuchen ein normales Leben zu führen. Immerhin Thabo – ihr Vergewaltiger - sitzt im Gefängnis.
Wir leben in einer brutalen Gesellschaft, sagen die Südafrikaner. Jedes vierte Mädchen wird vergewaltigt bevor sie 18 ist, noch so ein verstörendes Detail der Statistik. Tatort: Sammeltaxi.
Kevin Barbeau, Women + Men against Child Abuse: „Sie nehmen diese jungen Mädchen mit. Und eines wird zur Taxi-Königin der Woche ausgewählt, sie sitzt dann neben dem Fahrer, und masturbiert ihn während der Fahrt. Sie bekommt die Krone, weil sie kein Taxi-Geld bezahlen muss. Wenn Kinder überhaupt kein Geld haben, dann tun sie alles, um zu überleben.“
Der Kampf scheint fast aussichtslos, verzweifelt ist er in jedem Fall. Ein Grüppchen Aktivisten in Alexandra. Viele haben schon aufgegeben, sie nicht.
Der Taxi-Fahrer-Vereinigung überreichen sie heute ein Memorandum. Der Sprecher verspricht zu helfen. Wir werden unsere Fahrer kontrollieren und mit Euch zusammenarbeiten, damit wir das Problem endlich los werden, sagt der Vertreter der Taxifahrer. So richtig glauben daran, kann aber niemand.
Lizzy Mokoena, Kidz Clinic:„Ich weiß nicht mal, wer nicht vergewaltigt. Wenn der Polizeichef mir erklärt, er sei kein Vergewaltiger, wie soll ich ihm das glauben? Er ist ein Mann. Vielleicht suchte er eine Freundin. Und sie sagte nein, er aber zwang sie dazu. Das ist Vergewaltigung. Für ihn vielleicht nicht, das bekommt er nicht in seinen Kopf. Sie ist doch meine Freundin, ich liebe sie doch. Für die Frau aber ist das natürlich Vergewaltigung.“
Für traditionelle Männer in Südafrika ist das keine Selbstverständlichkeit. Das Ja von einem Mann gilt hier in der Regel mehr als das Nein einer Frau. Zerstörte Familienverhältnisse, falsch verstandene Tradition und Armut, alles Gründe warum Frauen und Kinder zu Opfern werden.
Kevin Barbeau, Women+Men against Child Abuse: "Diese Kinder müssen sehr weite Strecken laufen, von der Schule nach Hause, zum Wasserholen oder zum Einkaufen und sie kommen an den Kneipen vorbei, wo die arbeitslosen Männer, Männer, die keinen Stolz mehr haben, kein Selbstbewusstsein und ohne Geld. Trotzdem sind sie aber Männer mit Bedürfnissen. Und dann kommen diese jungen Mädchen vorbei – wir beobachten das sehr häufig.“
Jacob Zuma, Präsident Südafrika: „Die Brutalität und die Grausamkeit, der Frauen ausgesetzt sind, ist nicht akzeptabel und hat keinen Platz in unserem Land.“
Erstmals nimmt sich ein südafrikanischer Präsident dem Thema im Parlament an. Er findet die richtigen Worte, aber seine Glaubwürdigkeit bei diesem Thema ist das Problem. 2006 tanzt er vor einem Gericht. Ein Freudentanz, nachdem er selbst einen Vergewaltigungsprozess gegen sich überstanden hatte. Aus Mangel an Beweisen. Nicht, weil er unschuldig war. Eines hat der Prozess damals aber bewiesen: Zumas Frauenbild ist verstörend traditionell. Ein Vorbild, das das Problem nicht gerade besser macht.
Nachtleben in Soweto. Die Mädchen treten fast nur in Gruppen auf. Das an sich gibt es überall auf der Welt. Hier aber ist es eine Notwendigkeit. Männliche Übergriffe sind auch unter Freunden nicht ungewöhnlich.
Jabulile: „Du musst darauf achten, was du anziehst. Manchmal – das denke ich – ist das auch ein Statement, für das, was du willst. Wenn ich einen Minirock anziehe, mache ich die Jungs an. Du forderst sie förmlich auf. Ist doch klar, wenn du deinen Ausschnitt zeigst oder Shorts trägst. Natürlich sollte jeder die Freiheit haben, sich anzuziehen wie er will. aber du musst aufpassen.“
Viele Frauen fühlen sich mitverantwortlich für das, was ihnen angetan wird. Dabei haben vier von zehn Männern in einer anonymen Umfrage zugegeben, schon einmal jemanden vergewaltigt zu haben.
Stand: 15.04.2014 11:03 Uhr
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