So., 24.03.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Syrien: Ein Blick hinter die Kulissen
Der Weltspiegel begleitet das Team des ARD-Nahost-Korrespondenten Volker Schwenck bei den schwierigen und gefährlichen Dreharbeiten im Bürgerkriegsland Syrien. Über die türkische Grenze ins umkämpfte Aleppo.
Hier beginnt das Freie Syrien: Grenzübergang Bab Al Salameh. Seit dem 19. Juli 2012 hat Damaskus hier nichts mehr zu sagen. Jürgen, der Kameramann, lädt unser 35 Kilo schweres Sicherheitspaket aus: Schusssichere Westen. Das Freie Syrien ist Kriegsgebiet. Und das erste, was wir hier tun müssen: Kaffee trinken. Man kann nicht einfach so drauflos filmen. Die Kämpfer der Freien Syrischen Armee wollen wissen, mit wem sie es zu tun haben. Ohne Alia, unsere Producerin, ginge gar nichts. Sie kommt aus Jordanien, übersetzt für uns, kennt Land und Leute. Informationen sammeln und Vertrauen schaffen – das passiert beim Kaffee trinken. Erst danach kann man filmen.
Mohamed ist unser sogenannter Fixer. Selbst Syrer aus dem Norden, kennt die Gegend wie seine Westentasche, beste Kontakte zu den Kämpfergruppen. Er ist unser Passierschein im Rebellengebiet. Heute geht es nach Aleppo. Funktionierende Tankstellen haben wir nirgends gesehen, getankt wird aus dem Fass, kannenweise. Es gibt schwere und leichte Schutzwesten. Wenigstens die leicht zieh´ ich an, die schützt vor Handfeuerwaffen und Splittern. Und man sieht sie nicht.
Im sogenannten „Freien Syrien“ wird immer noch gekämpft. Es gibt zwei Grundregeln für Reporter in solchen Gebieten: Nummer eins: Keine Waffen. Wer bewaffnet auf die Falschen trifft, hat echt ein Problem. Kurz nach der Abfahrt wird Mohamed eine Kalaschnikow ins Auto gereicht. Regel Nummer zwei: manchmal helfen auch Regeln nichts. Nachts werden die Angriffe heftiger, sagt Mohamed. Vor allem der Granatbeschuss. Also ist es besser, früher wieder zurückzufahren. Aleppo. Tausendfach ist diese Stadt auf youtube zu sehen, meist verbunden mit Leid und Tod. Aber hier scheint alles so normal: Kinder auf den Straßen, Menschen beim Shopping, Marktstände und Händler. Die längst nicht alle mit uns reden wollen. Oder nicht einmal gefilmt werden wollen. „Hier ist alles in Ordnung. Ich schlafe hier, es ist alles sicher. Nein, es ist alles wie immer. Alles gut hier.“ Es ist nicht alles gut hier. Aber viele trauen sich nicht, das auch in unsere Kamera zu sagen. Angst ist Teil dieser Normalität.
Wir sind bei der Brigade Al Imam Al Bukhari. Viele Rebellen-Brigaden haben sich in Schulen niedergelassen. Ein großer Fehler, denn seither werden Schulen häufig bombardiert. Zum Glück ist hier schon lange kein Unterricht mehr, aber nach dem Krieg wird es an Schulen mangeln. Die Aufständischen wollen uns zeigen, dass sie mit Waffen umgehen können. Natürlich benutzen sie uns: schaut her, wir haben alle nur leichte Gewehre. Das ist der Deal: sie reden mit uns und wir dürfen filmen, aber sie bestimmen, was wir filmen. Die andere Seite macht´s übrigens genauso. Kämpfer: „Am gefährlichsten sind die Scud-Raketen. Die kommen aus Damaskus und löschen ganze Viertel aus. Gegen Flugzeuge haben wir Raketen, auch Mörser und Panzer können uns nichts anhaben, aber die Scud-Raketen töten ganze Familien.“ Dann – eine Explosion. Ziemlich nah. Ein Junge aus der Nachbarschaft. Zuhause sei etwas eingeschlagen, der Bruder verletzt. Für ihn ist klar, woher das kam: „Diese Hunde von Bashar – Assad, Gott verdamme dich!“
Wir folgen den Rebellen. Jeder im Viertel weiß, wo es passiert ist, aber keiner regt sich mehr groß auf. Der Krieg dauert einfach schon zu lange. Als wir ankommen, ist der schwer verletzte Bruder schon weggebracht. Die Mutter unter Schock. „Sie haben ihn ins Krankenhaus gebracht. Ich habe noch einen Sohn, wo ist der denn - ah, da ist er ist, sein Bruder. Wenigstens dem geht es gut, Gott sei Dank. Aber der andere – ich weiß es nicht.“ Alia fängt die Frau gerade noch auf. Manchmal kommt der Krieg sehr nahe. Wir wissen nicht, was aus dem verletzten Jungen geworden ist. Wir gehen ja wieder.
Je näher wir der Grenze kommen, desto mehr Flüchtlinge sehen wir. 12.000 sind es in diesem Lager. Es ist Freitag und nach dem Freitagsgebet wird demonstriert. Die Kamera imponiert ihnen den Menschen hier nicht mehr besonders. Es waren schon viele Reporter da, sagen sie. Aber keiner hilft uns. Warum schickt Europa, warum schickt ihr uns keine Waffen? Fragt der Arzt vor dem Feldlazarett. Das entscheiden doch wir nicht, wir berichten nur. Er scherzt weiter, aber verstehen kann er es nicht. Sein Sohn ist angehender Schönheitschirurg – er ist aus Damaskus geflohen und versorgt jetzt hier Flüchtlinge. Waffen für die Rebellen muss nicht sein, meint er. Aber der Westen soll Assads Flugzeuge und Raketen herunterholen, wie damals in Libyen. Und wenn der Krieg endlich vorbei ist, dann möchte er weiterstudieren. Möglichst bald. „Ja, wir haben viel verloren in den vergangenen zwei Jahren. Viele Menschenleben, und viele gute Leute. Aber wir hoffen, sie sind die Saat für ein neues Syrien, für unsere Zukunft. Ich hoffe, ihr Blut wurde nicht umsonst vergossen.“ Die Kinder und das Siegeszeichen. Für sie hat das Leben im Lager irgendwie auch spannende Seiten. Wäre schön, wenn es für sie nur eine abenteuerliche Episode bliebe. Wir verlassen das Camp, wir verlassen das Land. Das wahre Grauen beginnt, wenn man sich an den erst Krieg gewöhnt. Wir waren nur Besucher. Die Menschen in Syrien sind mitten drin.
Stand: 22.04.2014 13:52 Uhr
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