So., 17.11.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
USA: Glück aus dem Unglück
Auch New York musste vor etwas mehr als einem Jahr erfahren, wie zerstörerisch die Natur sein kann. Der Hurrikan Sandy verwüstete ganze Straßenzeilen. Auch die älteste Kneipe Brooklyns wurde fast vollständig geflutet und drohte einzustürzen. Die Besitzerin hatte zwar überlebt, aber alles verloren, bis Nachbarn kamen und gemeinsam die Bar wieder aufbauten. Die Wirtin erzählt heute, dass sie erst seit dieser Aktion weiß, was Glück überhaupt bedeutet. Glück ist dort, wo Gemeinschaft entsteht. Sonia Seymour Mikich, ARD New York
Im Schatten von Manhattan. Red Hook. Einst ein bedeutendes Hafenviertel, erzählt Tone Johansen, aber Arbeiter leben schon lange nicht mehr hier. Tone zog vor 17 Jahren aus Norwegen hierher, verliebte sich, machte eine Bar auf. Dass es keine U-Bahn gab, schlechte Straßen – störte sie nicht. Die Mieten waren billig, und schön war es für sie, direkt am Meer zu leben. Aber als dann vor gut einem Jahr die Sturmflut kam, wurde aus dem Wenigen hier: Verwüstung. Sie erinnert sich genau, sie wollte gerade im Keller ein paar Sachen hochstellen, zur Vorsicht. „Es war dunkel, ich hatte nicht mitbekommen, wie hoch das Wasser draußen schon gestiegen war… Das Fenster explodierte, unvorstellbar, das ganze Meer kam mir entgegen, ich schaffte es gerade noch die Treppe hochzukommen und mich zu retten“
Das ganze Fundament: zerstört. Ihr Haus, ihre Bar, ihr Leben – vor dem Abriss. Die Kellner zapften damals Benzin aus zerstörten Autos und betrieben damit den Generator für die Pumpen. Wochenlang schlief sie bei bitterer Kälte im Chaos. Die Aufbauarbeit war so hart, sagt sie. Strom, Wasseranschlüsse, alles monatelang kaputt. Und kein Geld. „Wenn man so voller Angst war, so traurig, braucht man sehr wenig um glücklich zu sein… Das Glück holt man sich in den kleinen Dingen: etwas Heißes trinken nach einem Arbeitstag im Kalten. Oder einfach nur genug Batterien zu haben.“
Red Hook, ein bisschen von allem abgehängt. Und so traf nach dem Sturm auch die staatliche Hilfe nur schleppend ein. Die Rettung – das war die Gemeinschaft. Studenten, Musiker, Künstler aus dem Viertel. Kleine Geschäftsleute wie Tone. Haus und Bar waren nicht gegen die Katastrophe versichert. Also organisierte sie Benefiz-Konzerte, die besten Musiker Brooklyns traten dort kostenlos auf. Hilfe kam auch über ein Internet-Spendenkonto für Red Hook. 100.000 Dollar kamen so zusammen. Inzwischen ist Tones Bar über Red Hook hinaus bekannt für Jam Sessions, jeden Samstag, bis in die Morgenstunden dauern die. „Als wir endlich wieder aufmachen konnten, war es, als gingen die Schleusen auf. Meine Leute kamen. Es war ein so unglaublicher Sieg. Ein Sieg für alle. Unser Zuhause war wieder auf.“
An Dingen hängt sie nicht mehr seit Sandy, sie braucht vor allem Menschen um sich herum, und Musik. Ihr Lied handelt von der Zufriedenheit, mit anderen zusammen zu sein. Ein anderes Glücksmoment, ganz bescheiden, ist es, täglich eine Kerze anzuzünden. Ihr Ritual seit dem Sturm. Ich frage sie nach ihren Gefühlen, wenn sie Bilder von der Katastrophe auf den Philippinen sieht, die Zerstörungen dort. „Ich denke sofort an meine eigene Lage damals. Mein Herz bricht, die Leute da gehen durch das gleiche Unglück. Ich hoffe nur, dass sie von irgendjemandem Hilfe bekommen, irgendwie. Wenn man ganz knapp mit dem Leben davon gekommen ist, sucht man das Glück in der Seele, ich bin viel spiritueller geworden. Die Beziehung zu anderen Menschen ist wichtig, dieses kurze Leben - so wie es kommt - mit anderen zu teilen; das sind die wesentlichen Werte .“ Red Hook, vergessen, abgehängt. Aber an jedem Samstagabend ein Ort des kleinen Glücks.
Stand: 15.04.2014 10:55 Uhr
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