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Ukraine: Quo Vadis?

Ukraine: Quo vadis? | Bild: Das Erste

Donezk, am vierundzwanzigsten August. Ukrainische Kriegsgefangene werden von Separatisten vorgeführt. Genugtuung bei den Zuschauern. "Ihr Verbrecher", rufen sie. Eine Frau wird bespuckt und getreten. Um ihren Hals ein Schild, darauf steht: Sie hat unsere Kinder umgebracht. Eine Spionin unserer Unterdrücker. Irina Dovgan, Unternehmerin, erinnert sich: "Ich schrie: Bitte schlagt mich nicht. Ich habe keine Kinder umgebracht. Ich habe nie jemanden umgebracht. Ich flehte sie an. Aber sie hörten mich nicht, sie hatten so eine Wut in sich, so eine schwarze Wut."

Irina Dovgan, Unternehmerin aus Donezk.
Irina Dovgan, Unternehmerin aus Donezk. | Bild: SWR

Irina Dovgan. Unternehmerin und Mutter aus Donezk. Gefangen und geschlagen, weil sie ukrainischen Soldaten etwas zu essen gebracht hatte. "Ich war nur ein Sündenbock für einen unerfüllten Traum", erzählt sie.

Der Traum jener, die glaubten, Mutter Russland werde sie erretten. Dass der rechtschaffene Putin käme - und über alle Korrupten in der Ukraine richten werde. Sie hatte Fotos gepostet, wollte beweisen, dass Milizen aus dem Kaukasus in Donezk sind. Nichtsahnend, dass einer von ihnen bald ihr Peiniger sein würde. Sie vergewaltigen wollte.

Irina Dovgan, von Anhängern der Separatisten gedemütigt.
Irina Dovgan, von den Separatisten gedemütigt, weil sie ukrainischen Gefangenen etwas zu essen gebracht hatte | Bild: SWR

Irina Dovgan, Unternehmerin, schildert: „Er sagte mir, steh auf du Schlampe, du bist doch eine ukrainische Faschistin, steh auf und ruf "Sieg Heil, Sieg Heil". Er wollte mir zeigen wie man das macht. Und das bereitete ihm sichtlich Vergnügen.“ Der Kaukasier quälte sie und feuerte Schüsse ab, dicht an ihrem Ohr. Ein Separatisten-Kommandeur ließ Irina schließlich frei, als ein Foto von der Gefangenen überall kursierte.

Sie weint nicht. Aber ihre Stimme verschwindet, wenn sie über ihr altes Leben spricht. Irina Dovgan, Unternehmerin, erzählt: "Unser Haus ... also das Haus, das ist wirklich eine Tragödie in meinem Leben. Dort sind meine Blumen, und die Katze. Der Hund, der lebt jetzt bei fremden Leuten. Der Garten, der Teich, die Seerosen. Mein Mann, der hat siebzehn Jahre an diesem Haus gebaut."

Irina Dovgan, bereit, für die Ukraine zu sterben? Ausgerechnet in der ehemaligen Hauptstadt der Separatisten will Irina in die Politik. Im wieder ukrainischen Slawyansk, nur wenige Kilometer von ihrem verlorenen Zuhause entfernt. Ihr Mann hilft ihr beim Wahlkampf. Sie kandidiert - als Unabhängige für das neue Parlament. "Ich habe mich nicht brechen lassen", sagt sie, "ich kämpfe." Ihre Chancen gehen gegen Null.

Er hat die meisten Plakate. Und die besten Chancen: Yuri Solad. Einer von der alten Yanukovitsch-Partei. Die Ehefrau Ministerin im alten Regime. Eine Passantin sagt: "Ja, der war Bauarbeiter früher. Und jetzt kandidiert er." "Wählen sie ihn?" "Ja, klar, jeder wählt ihn. Er hilft uns." Vor kurzem hat der Favorit ein Geschäft eröffnet. Draußen hängen seine Wahlkampfparolen. Drinnen gibt es verbilligte Lebensmittel. "Wahlgeschenke", sagt eine Rentnerin leise zu uns. Zum Ködern, genau wie unter Yanukovitsch.

Eine Passantin sagt erzürnt: "Ja, das ist ein sehr gutes Geschäft. Jetzt provozieren Sie die Leute nicht. Fragen Sie nicht, wer es aufgemacht hat! Wenn sie umgerechnet achtzig Euro Rente bekommen, wie wollen Sie damit leben? Zum Fressen reicht das nicht!"

Kriegsnarben. Immer noch warten viele darauf, dass ihre Wohnungen instand gesetzt werden. Von den Hügeln schoss die ukrainische Armee in die Stadt. Die Separatisten versteckten sich auch hier, mitten im Viertel, erzählen sie uns hinter der Kamera. In Viktors Wohnung setzt die Stadtverwaltung neue Fenster ein. "Warum traf die Bombe ausgerechnet meine vier Wände", fragt sich der Rentner. Dass seine Rente immer magerer wurde, sei die Schuld der EU, ist Viktor überzeugt. Überhaupt, alles Schlechte habe in Kiew begonnen - mit dem Maidan. Er sagt: "Man darf doch nicht mit Gewalt einen Präsidenten beseitigen. Das versteh ich nicht." Im Sommer filmte ein russisches Fernsehteam Viktors zerbombte Wohnung. Jetzt beschwert er sich, die russischen Kanäle seien alle abgeschaltet. Nur noch ukrainisches Fernsehen! Nur noch eine Sicht der Dinge!

Jeden Sonntag findet in Slawyansk eine Demonstration für die Ukraine statt.
Jeden Sonntag findet in Slawjansk eine Demonstration für die Ukraine statt. | Bild: SWR

Jeden Sonntag in Slawyansk: Ein Hupkonzert für die Ukraine. Bürger führen ihre Flaggen spazieren. Vor dem Rathaus tanzt und singt der Chor der Nationalgarde, zu fröhlich-patriotischen Klängen. Bataillonskämpfer haben die Stadt im Blick. Irina Dovgan fühlt sich wohl in der Menge. Von Einigen wird sie begeistert begrüßt. Sie sagt: "Ehrlich gesagt, gibt es auch andere Momente. Unfreundliche, wütende Blicke. Dann fällt mir ein, dass die Verwandten dieser Menschen wenige Kilometer entfernt für die Donezker Volksrepublik kämpfen. Hier bin ich außerhalb ihres Zugriffs. Aber in ihren Augen ... da sehe ich oft den Hass auf mich." Auch für die, die sie hassen, will sie kämpfen. "Wir alle", sagt Irina, "wollen doch das Gleiche: aufrechte Menschen im neuen Parlament."

Golineh Atai, ARD Moskau

Stand: 05.01.2015 09:22 Uhr

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