So., 08.02.15 | 19:20 Uhr
Das Erste
China: Weibliche Imame
Moscheen nur für Frauen: Lange war das einzigartig in der islamischen Welt. Entstanden ist diese Tradition vor dreihundert Jahren in China. Geschätzt 20 Millionen Muslime gibt es mittlerweile im Riesenreich. Und vielerorts beten Frauen in eigenen Moscheen. Ihnen stehen weibliche Imame vor, die an eigenen Schulen theologisch ausgebildet werden.
Eine Reportage von ARD-Korrespondentin Ariane Reimers, Studio Peking.
Das ganze Dorf soll es wissen – hier wird geheiratet. Chinesische Glückssymbole. Im Garten des Hauses: Die Küche für die Hochzeitsgesellschaft. Morgens um 10 Uhr wird das Festmahl serviert. Die arabische Kalligraphie verrät – es ist das Zuhause von muslimischen Chinesen, so genannten Hui. Die Frauen beten, angeleitet von Li Xiaofu. Sie ist Vorsteherin der Frauenmoschee. Nü Ahong heißt ihr Titel auf Chinesisch – übersetzt etwa weiblicher Imam. Bei Hochzeiten, Beerdigungen und anderen großen Ereignissen spricht sie die Gebete für die Frauen. Sie ist der Ehrengast der Festgesellschaft. "Wir sind Muslime, der Koran gibt uns Worte der Wahrheit und ein Regelwerk. Bei jeder Gelegenheit sollten wir uns zuallererst auf den Koran verlassen. Und so sprechen wir die Gebete und wünschen der Familie und ihren Verwandten damit alles Gute."
Weibliche Imame, Frauenmoscheen – eine lange Tradition in China. Li Xiaofu ist Ahong in der dritten Generation. Nach dem Tod ihrer Mutter vor gut zehn Jahren wählten die Dorfbewohner sie zur Nachfolgerin. Und sie nahm an. Im Dorf Gedangdian in Zentralchina gehört ein Drittel der Bewohner zu den Hui – der Islam ist über arabische und persische Händler der Seidenstraße hier her gekommen. Heute leben mehr als 20 Millionen Muslime in der Volksrepublik. In Gedangdian liegt die Frauenmoschee direkt neben der der Männer. Ähnlicher Stil – nur ein bisschen kleiner.
Nach dem Mittagsgebet gibt Li Xiaofu den älteren Frauen aus dem Dorf Unterricht. Sie ist die Lehrerin und Expertin in allen spirituellen Fragen. Zu ihr kommen die Frauen mit Alltags-Problemen. Für das Dorf ist der Nü Ahong, der weibliche Imam, eine wichtige Person. Dass es diese Rolle gibt, ergebe sich aus dem Koran, erklärt Li Xiaofu. "Muslimische Frauen müssen lernen und Wissen erwerben, denn ohne Wissen können sie nicht Allahs Gunst gewinnen. Deswegen haben unsere Vorfahren in China die Gründung von Frauenmoscheen unterstützt. Sie ermöglichen es den Frauen, ihr Haus zu verlassen und einen eigenen Platz für das religiöse Lernen zu haben."
Vor etwa dreihundert Jahren sollen die ersten Frauenmoscheen in China gebaut worden sein – auch so konnte sich der Islam in einer nicht-muslimischen Umgebung festigen. Die Frauenmoschee in Gedangdian ist auch Internat. Hier leben junge muslimische Frauen aus den umliegenden Dörfern, manche kommen auch aus weit entfernten Provinzen. In der benachbarten Schule haben sie Unterricht in Koranstudien, in der Geschichte des Islam, in islamischem Recht und in Arabisch. Lehrerin Ma Lixiao war im letzten Jahr noch selber Schülerin – jetzt darf die 24jährige die Anfänger unterrichten. Nach vier Schuljahren sollen sie sich in der fremden Sprache verständigen können. "Wir sind Muslime, Arabisch ist also so etwas wie unsere Universalsprache. Aber wir leben in China und sprechen alle natürlich Chinesisch und kennen uns mit dem Islam und seiner Sprache gar nicht so richtig aus. Deswegen besuchen wir Muslime diese Schule."
Mittagspause – die Jungen gehen in die Kantine der Schule, die Mädchen in ihre Moschee. Jeden Tag wird gekocht – ein Gericht für alle. Heute selbst gemachte Nudeln. Einfach, aber wohlschmeckend. Es ist eine eigene, abgeschlossene Welt – was draußen passiert, spielt nur eine untergeordnete Rolle. Mobiltelefone und Fernsehen sind unter der Woche verboten. Die jungen Frauen sollen sich auf das Lernen und den Glauben konzentrieren. Beziehungen zu Jungen sind nur erlaubt, wenn sie in einer Heirat münden. Bis zum großen Freitagsgebet ist es noch etwas Zeit, die Li Xiaofu alleine in der leeren Moschee verbringt. Ihr Platz ist in der Mitte, ganz vorne. Es unterstreicht ihre Stellung in der Gemeinde. Eine Nachfolgerin ist noch nicht in Sicht. "Die wenigsten Frauen wollen Ahong werden. Es bedeutet nämlich, dass alle in der Nachbarschaft einen beobachten, alles, was man macht, kommentieren und so weiter. Das schränkt schon ein. Die jungen Frauen heute wollen sich darauf nicht einlassen. Sie träumen davon, als Lehrerin zu arbeiten – und das ist es. Aber wir brauchen Nachwuchs – und nach Allahs Wille wird es welchen geben." Der Gebetsruf hallt durch das Dorf. Der Platz in der Moschee reicht gerade so eben. Früher hat der Nü Ahong, der weibliche Imam die Frauen selbst angeleitet. Heute überträgt moderne Technik das Gebet der Männer zu den Frauen. Aber den Ton in der Gemeinde geben i mmer noch die Frauen selbst an.
Stand: 09.02.2015 15:41 Uhr
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