So., 01.03.15 | 19:20 Uhr
Das Erste
Palästina: Five Broken Cameras
Das ist Bil'in, ein Dorf im Westjordanland mit gerade mal 2000 Einwohnern. Ein berühmtes Dorf. Das liegt an ihm, an Imad Burnat, hier mit seinem Sohn Jibril. Warum das so ist – dazu gleich mehr. Es ist Freitag und wie seit nunmehr neun Jahren, gehen die Bewohner von Bil'in auch an diesem Freitag wieder demonstrieren. "Falls sie Tränengas einsetzen, schau zuerst wo die Armee steht und woher der Wind kommt", erklärt Imad seinem neunjährigen Sohn.
Es begann vor genau neun Jahren. Da wurde Jibril geboren. Papa Imad kaufte sich eine kleine Kamera, er wollte die Entwicklung seines Jungen filmen, für die Ewigkeit festhalten. Zur selben Zeit kam plötzlich die israelische Armee. Es gab einen Beschlu, Land zu beschlagnahmen. Land, das den Menschen von Bil‘in gehörte. Und so begann Imad zu drehen. Die Demos, jeden Freitag. Und dabei ging seine erste Kamera kaputt. Er kaufte sich eine neue, dann wurde die zweite zerstört, dann die dritte, vierte, fünfte. "5 broken cameras", 5 zerstörte Kameras – so nannte Imad seinen 90 minütigen Dokumentarfilm, den er aus dem Material über die Geschichte der Demonstrationen von Bilin machte. "5 broken cameras" – ein Film, der um die Welt ging und 2013 für den Oscar nominiert wurde.
Die Freitagsdemonstration
Wir sind dabei bei der Freitagsdemonstration. Neun Jahre geht das bereits, Woche für Woche. Imad hat inzwischen seine 6. Kamera. "Von Anfang an habe ich darüber nachgedacht, einen Film über meine Geschichte und unsere Erlebnisse hier zu drehen, einen Film, der sich von anderen unterscheidet. Die meisten Filme werden nämlich von Ausländern gemacht, die unsere Geschichte nicht wirklich begreifen." Es begann also 2005 – Die Bagger kamen, zerstörten palästinensische Olivenhaine. An Stelle der Olivenbäume: Ein Zaun. Dahinter ein riesiges Bauvorhaben: Die Siedlung Modi‘in Illit. Etwa 300 Hektar Land wurden einfach so beschlagnahmt, das sind rund 51% des gesamten Dorfes Bil‘in. Die Menschen von Bil‘in begannen zu demonstrieren. Friedlich. Immer nur friedlich. Doch trotzdem kam es zu Gewalt. Immer wieder schoss die Armee scharf. Und so starben auch Menschen aus Bil’in, wie etwa Bassem, der beste Freund Imads
Sicherheit durch die Kamera
Wir kämpfen gerade mit den Nebelschwaden des Tränengases. Wir sind wieder bei der letzten Freitagsdemo. "Die Kamera gibt dir das Gefühl, dass du in Sicherheit bist. Sie ist wie eine Waffe, sie beschützt dich, aber in Wirklichkeit könnte die Kamera der Grund sein, dass du getötet oder verwundet wirst. Das ist mir auf den Demos oft genug passiert, daß sie absichtlich auf mich schießen, weil ich drehe. Und doch: Die Kamera gibt mir Sicherheit." Imad dreht sogar mitten in der Nacht, wenn plötzlich die israelische Armee an seinem Haus klopft und ihn vielleicht verhaften. Er dreht, obwohl die Soldaten ihm sagen, daß er aufhören soll damit. "Das ist mein Haus, ich darf ich machen, was ich will", sagt Imad. Doch es nutzt nichts. Imad wurde in der Vergangenheit immer wieder verhaftet. Die Kamera als Schutz? Von wegen. Das Jahr 2007 – Endlich hat Bilin einen Grund zur Freude. Man war vor das israelische Gericht gezogen und hatte Erfolg. 110 von etwa 300 Hektar Land mußten dem Dorf zurückgegeben werden. Doch bis der Zaun dann wirklich abgerissen wurde und das Land wieder in den Besitz der Menschen von Bil‘in kam, dauerte es noch einmal vier Jahre. Also bis 2011.
Eigentlich will man Frieden
Wir sind wieder mit Imad unterwegs. Er zeigt uns heute das Land, das das Dorf zurückbekommen hat: "Das ist das Land. Die Leute begannen hier, die Felder zu bearbeiten und Häuser zu bauen. Aber die Israelis kommen trotzdem immer wieder und erteilen ihnen einen Baustopp. Einige hatten auch Abrissbefehle gekriegt. Auf diesem Land sollte die Siedlung erweitert werden. Schau, auf der anderen Seite wird weiter gebaut." Imad führ uns zum neuen Zaun, besser gesagt: zur neuen Mauer. Da drüben, das ist das weiterhin beschlagnahmte Land von Bil‘in, doch das werden die Palästinenser wohl kaum zurückbekommen, trotz der weitergehenden Freitagsdemos. Imad ist aber nicht wütend auf die Israelis. "Es ist nicht so, dass sie keinen Frieden möchten, wenn du über die Israelis als Volk sprichst. Viele von ihnen wünschen sich nichts sehnlicher als Frieden. Aber die Politik der Regierung wendet sich immer mehr nach rechts, sie steht unter dem Druck der Radikalen und übernimmt deren Ideen. Die Regierung hat nicht den Willen, eine Lösung zu finden, eine Zukunft für Generationen die hier leben – für Palästinenser und Israelis." Imad und die Menschen von Bil‘in wollen trotzdem weiterkämpfen. Für ihr Land und für den Frieden.
Eine Reportage von Richard C. Schneider, ARD Studio Tel Aviv
Stand: 03.03.2015 11:25 Uhr
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