Mo., 12.12.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Syrien: Aleppo vor dem Fall
Es sieht ganz nach einer Wende im syrischen Bürgerkrieg aus. Wenig fehlt noch, dann ist die zweitgrößte Stadt Syriens wieder völlig unter Regierungskontrolle. Die einstige Rebellenhochburg Aleppo gleicht im Osten einer Trümmerlandschaft. Zerbombt und weitgehend menschenleer. Nur noch wenige Viertel werden von Rebellen gehalten.
Die Menschen, die dort noch aushalten, stecken zwischen den Fronten fest. Es ist ein Leben in der Hölle. Die, die in den letzten Tagen fliehen konnten, wissen nicht, was sie im regierungskontrollierten Westteil Aleppos vom Assad-Regime zu erwarten haben. Die UN befürchtet, dass Hunderte junger Männer nach ihrer Flucht aus Ost-Aleppo verschwunden seien und spricht von möglichen Internierungen und Folterungen.
ARD-Korrespondent Alexander Stenzel (ARD-Studio Kairo) mit einer Reportage aus Aleppo. Er sagt: "Ich habe noch nie eine so zerstörte Stadt gesehen."
Ein Leben in Angst
Sie hat es geschafft. Sie konnte endlich aus Ost-Aleppo fliehen. Sie hat Angst, dass Dschihadisten ihre Söhne töten. "Meine Söhne wollten vor mir fliehen, aber sie haben auf sie geschossen und sie gezwungen da zu bleiben. Mit ihren Frauen. Jungen Männern ist es generell verboten rauszugehen." Wir hören immer die gleiche Geschichte. Was sollen die Geflüchteten auch anderes erzählen. Jetzt, wo sie in einem Gebiet sind, das von der Assad-Regierung kontrolliert wird.
Er möchte nicht erkannt werden. Weil auch er, so sagt er, Racheakte fürchtet. "Ich wollte mit meinen drei Söhnen und deren Frauen und meinen Enkeln fliehen. Islamisten haben uns entdeckt. Zwei meiner Söhne konnten fliehen, aber einen haben sie festgehalten." Sie haben jahrelang in Angst gelebt. Vor den Bomben die Regierung und dem Terror militanter Islamisten. Ein syrischer Soldat versucht in einem Telefonat mit einem Zivilisten in Ost-Aleppo Vertrauen aufzubauen. "Sag allen sie sollen rausgehen. Richtung syrische Armee." Doch wie sollen die Menschen in Ost-Aleppo der syrischen Armee vertrauen, die seit Jahren tausendfach Bomben über deren Häusern abwirft und sie mit schwerer Artillerie beschießt.
70 Prozent der Gebäude sind zerstört
So sieht es aus in Ost-Aleppo. Zerstörung wohin das Auge reicht. Der älteste Basar der Welt existiert nicht mehr. Abu Amir wurde in der historischen Altstadt geboren. Seine Heimat: in Schutt und Asche. Für den Historiker, der zudem Direktor des Antikenmuseums in Aleppo war, ist es ein schwerer Gang. Aber gerade wegen seiner beruflichen Beziehung zu diesem Kulturerbe, schaut er nach vorne. "Ich habe eine paar Freiwillige rekrutiert", sagt Abu Amir Shabani, "die in diesen Stadtteil kommen und die Lage erfassen, was wo getan werden muss. Wir versuchen Gelder aufzutreiben um die Altstadt zu restaurieren." Abu Amir schätzt, dass mindestens 70 Prozent der alten Gebäude zerstört sind. D.h. aber auch, dass er allein, mit einer Handvoll Freiwilligen, die Gelder nicht auftreiben wird, die für einen Wiederaufbau notwendig sind. Das weiß er. "Ich bin sehr traurig und schockiert. Ich bin überrascht über das Ausmaß der Zerstörung. Es ist immer noch gefährlich hier. Die Altstadt von Aleppo war einmal so schön."
Die Familie Abdel Qadier ist der Gefahr und der Zerstörung entkommen. Jahrelange Belagerung durch die syrische Arme. "Die Kinder haben sich immer an uns geklammert", erzählt Abdel Qadier Sarminie, "die hatten furchtbare Angst, das war eine schlimme Situation. So war das. Ich wollte zum Beispiel meinen Kindern Kekse kaufen, oder Süßigkeiten, Cola, aber das gab es einfach nicht und zwar seit vier Monaten." Dann darf die Familie nach drei Stunden warten endlich in den Bus steigen, der sie in ein Lager bringt. Dort werden die Männer, vom Militär registriert und bei Verdacht verhört. Die syrische Regierung sucht offensichtlich nach Aktivisten und Rebellen, die sie alle als Terroristen einstuft. Legale Opposition gibt es für das Assad-Regime nicht.
Zehn Quadratmeter Platz für eine Flüchtlingsfamilie
Und auch Abdel Quadier behauptet, von militanten Islamisten drangsaliert worden zu sein. "Ich bin Friseur, aber Islamisten und Dschihadisten haben festgelegt, dass Bärte schneiden verboten ist. Ich habe nur noch 300 bis 400 syrische Pfund am Tag verdient. So ging mein Einkommen runter. Ich habe fast nichts mehr verdient." Zehn Quadratmeter Beton mit ein paar Matratzen ist nun ihr neues Zuhause, bis sie wieder in ihr Haus in Ost-Aleppo zurückkehren können, das bis zu ihrer Flucht nicht von Bomben der Regierung getroffen wurde. "Ich hoffe, dass die Terroristen verschwinden. So dass wir in Frieden leben können und in Sicherheit. Im Krieg musst du mit allem rechnen. Die Regierung versucht, die Kämpfer zu vertreiben." Eine typische Antwort. Was sollen sie auch sagen, die der Hölle der Bombardierungen entkommen sind.
Stand: 13.07.2019 11:11 Uhr
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