So., 09.02.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Syrien: Kampf um Idlib
Mehr als 60 Deutsche sollen in der syrischen Provinz Idlib kämpfen: Islamisten, die gegen die Regierung in Damaskus mobil machen. Sie sind eingeschlossen, zusammen mit Millionen verzweifelter Zivilisten, viele auf der Flucht vor dem Krieg. Etwa 500.000 sagen die UN. Daniel Hechler und Eric Beres haben Kontakt zu den deutschen Extremisten aufgenommen.
Videobotschaft für Deutschland
Oben herrscht Krieg. Unten graben selbst ernannte Gotteskrieger einen Tunnel. Für Waffen, Munition, Nahrungsmittel, als Schutzraum und Fluchtweg. Bilder vom 7. Januar. Angeblich bei Chan Schaichun, nicht weit von der Frontlinie. In dieser Videobotschaft an seine Glaubensbrüder in Deutschland inszeniert sich Abu Khalid Al Almani als Tunnelbauer und bettelt um Geld für den Dschihad in Idlib. "Salem Alaikum, liebe Geschwister! Es wäre sehr gut, wenn ihr helfen könntet. Denkt dran, dieser Tunnel schützt einen Bruder vor Verletzungen."
Abu Khalid soll mit bürgerlichem Namen Phillip N. heißen, aus Hamburg stammen, 29 Jahre alt sein. Mitglied einer islamistischen Splittergruppe. Vor Jahren schon ist er nach Syrien ausgereist. Seine Mission: Geld eintreiben für die Aufständischen im Krieg gegen Machthaber Assad. "Die brauchen Verpflegung für die Familien. Geld für Strom, Benzin, Arbeiten und so weiter."
Hunderttausende auf der Flucht
Im Internet postet er Videos aus seinem scheinbar ganz harmlosen Alltag als Dschihadist. Im Bus unterwegs zu einem Wachposten. Beim Schächten eines Schafes als Opfergabe für einen erkrankten Glaubensbruder. Oder auch beim Fußballspielen. "Ihr seht hier: das Leben geht weiter. Man muss nicht direkt denken, dass man stirbt, sondern dass man viel machen kann." Perfide Propaganda, um andere Kämpfer aus Deutschland in den Krieg zu locken.
Die Realität in Idlib allerdings sieht anders aus. Syrische und russische Kampfjets bombardieren Dörfer und Städte ohne Unterlass. Am Boden toben erbitterte Gefechte. Zurück bleiben Trümmer und Tod. Es sind Zivilisten, die der Krieg am härtesten trifft. Hunderttausende sind auf der Flucht vor Bomben und Zerstörung in eine ungewisse Zukunft. "Wir sind geflohen mit nichts außer dem, was wir anhaben", klagt Alaa Ketaz. "Wir wissen nicht, wohin. Es gibt keinen Ort, an dem wir bleiben können. Niemand nimmt uns auf, kümmert sich um uns."
Islamisches Leben im Krieg
Ganze Städte liegen in Schutt und Asche. Die einstige Rebellenhochburg Maaret al Numan heute eine Geisterstadt, wieder unter der Kontrolle Assads. Islamistische Milizen sind auf dem Rückzug. "Wir können das nicht lange halten, zu krasse Bomben", räumt Abu Khalid in einem privaten Chat ein, der uns vorliegt. Es wird eng für ihn und seine Mitstreiter. Unter ihnen "einige" Deutsche, wie er schreibt. Nach unseren Recherchen sind es mehr als 60. Die meisten mit Verbindungen zu islamistischen Terrororganisationen. Ihre Geldnot scheint groß. Einigen gelingt es aber offenbar immer wieder, Spenden aus Deutschland einzutreiben. "In den letzten Wochen kamen regelmäßig Spenden rein. Ich konnte mir durch diese Spenden unter anderem eine Schutzweste kaufen und auch eine eigene Waffe."
In Idlib wollen sie ein islamisches Leben führen, welches sie in Deutschland nicht verwirklichen könnten, schreibt ein Mann namens Abu Fatima vor wenigen Tagen in diesem Chat. In der Heimat gebe es schließlich kaum Anstand und Ehre. Im Krieg würden die Standhaften hervorkommen, Lügner und Heuchler entlarvt. Wer den Standhaften spendet, dem verspricht Abu Khalid einen Platz im Paradies. In einer Audio-Botschaft beschreibt der deutsche Dschihadist routiniert, wie genau das funktioniert. "Du kannst an Automaten gehen. Ich kann dir eine Seite schicken, wo es Automaten gibt. Bei diesen Automaten kannst du Bitcoins kaufen. Die Bitcoins kannst du dann an eine Adresse schicken, die ich dir senden werde." Spenden als Brennstoff für einen schmutzigen Krieg. In Idlib geht es für Millionen Menschen ums Überleben. Eingeklemmt zwischen Assads Truppen und selbst ernannten Gotteskriegern auch aus Deutschland.
Autoren: Daniel Hechler und Eric Beres, ARD-Studio Kairo
Stand: 11.02.2020 15:36 Uhr
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