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Syrien: Kindheit auf der Müllhalde

Syrien: Kindheit auf der Müllhalde | Bild: WDR

Rakan kann sein Glück kaum fassen. Er hat im Müll eine alte Solarmatte entdeckt und hofft auf einen guten Preis dafür. Sie mit nur einem Arm durch die Deponie zu jonglieren, fällt dem Elfjährigen schwer. Vor drei Jahren wurde sein rechter Unterarm nach einem Bombenangriff amputiert. Mitleid erwartet er nicht. Aber oft schlägt ihm Verachtung entgegen: "Die Menschen mögen mich nicht, weil ich so schmutzig bin und sie Angst vor Corona haben. Wenn ich mal nießen muss, glauben alle gleich, ich hätte sie angesteckt."

Syrien: Kinder sammeln in Idlib Müll, um etwas Geld zu verdienen
Syrien: Kinder sammeln in Idlib Müll, um etwas Geld zu verdienen | Bild: WDR

Tausende Kinder zieht es jeden Tag auf die Mülldeponien Idlibs. Ein Sammelbecken der Schwächsten in einer Krisenregion, die ihnen sonst nichts zu bieten hat. Den ganzen Tag über stochern sie nach Schuhen, Jacken, Elektrogeräten, Kupferdrähten, einfach allem, was sie irgendwie zu Geld machen können. Für sie die einzige Chance, ihre Familien ein wenig zu unterstützen. Schwerstarbeit statt Bildung. "Ich habe nie etwas gelernt. Schon als Kind bin ich nicht mehr zur Schule gegangen", erzählt Farhan. Hassan sagt: "Ich würde gerne eine leichtere Arbeit machen. Mir tun die Hände weh, weil ich ständig Eisenstücke kleinschlagen muss, um sie besser verkaufen zu können." "Im Lager bekommen wir keine Lebensmittelhilfe mehr ausgeteilt, schon seit zwei Monaten", fügt Ayham hinzu. Auch Rakan wühlt jeden Tag im Müll nach Wertsachen bei bestialischem Gestank. Überall lauern Parasiten. Viele Kinder holen sich Infektionen und Entzündungen: "Ich mag diese Müllarbeit nicht. Ich würde viel lieber zur Schule gehen, etwas lernen. Wenn ich groß bin, könnte ich dann anderen etwas beibringen, Lehrer werden, das wäre etwas Sinnvolles."

Unwürdige Arbeit für wenig Geld

Daran aber ist in den Camps nicht zu denken. Im Krieg haben Hunderttausende Syrer:innen ihr Zuhause verloren, leben nun in Zelten, wie hier bei Maarat Misrin im Norden Idlibs. Auch Rakans Familie. Drei Schwestern, ein Bruder. Sie flohen vor den Luftangriffen syrischer Kampfjets aus ihrem Dorf bei Aleppo. Der Vater fiel Soldaten von Machthaber Assad in die Hände. Rakan ist jetzt der Ernährer. Eine große Bürde. Ein paar Hühner sind ihr gesamtes Eigentum. Es ist ein Leben am Existenzminium. Bei frostigen Temperaturen heizt Mutter Jozah Wasser mit Olivenzweigen auf. Damit wäscht sie Rakans Haare nach einem langen Tag auf der Mülldeponie. Die lässt er länger wachsen, damit sie die Brandwunden am Kopf verbergen. "Allein Geld zu verdienen ist schon schwer. Manchmal helfen mir Menschen, die Müllsäcke zu tragen, auch meine Geschwister. An einigen Tagen finden wir etwas, an anderen nichts", erzählt Rakan.

Syrien: Idlib – Müllhalde statt Schule – eine ruinierte Kindheit ohne Zukunft
Syrien: Idlib – Müllhalde statt Schule – eine ruinierte Kindheit ohne Zukunft | Bild: WDR

Idlib steht mächtig unter Druck. Es ist die letzte Hochburg der Aufständischen in Syrien. Islamisten haben in der Provinz das Sagen. Immer wieder Luftangriffe, Scharmützel mit der syrischen Armee trotz einer Waffenruhe. Die Infrastruktur ist schwer getroffen. Die Preise sind in den vergangenen Monaten in schwindelerregende Höhen gestiegen. Rakan zahlt für ein Fladenbrot mittlerweile fast 50 Cent. Mit der Arbeit auf der Müllkippe aber verdient er weniger als einen Euro pro Tag. Und doch versucht er immer wieder sein Glück. Seine Schwester Fouziah begleitet ihn manchmal. Es ist ein langer Fußmarsch, gerade für Kinder. "Es sind etwa fünf Kilometer. Ich komme immer total fertig an. Mir tun die Beine weh", sagt Rakan.

Dann erst beginnt die eigentliche Arbeit. Im Wettstreit mit den anderen Kindern auf der Deponie zieht Rakan oft den Kürzeren. Körperlich sind sie ihm haushoch überlegen und lassen ihn das auch spüren: "Wenn ich hier nichts finde, muss ich auf andere Mülldeponien. Aber da werde ich von den Jungs weggejagt. Die wollen nicht, dass ich da suche." Die oft karge Beute bringen sie am Ende des Tages zu einem Schrotthändler in der Nähe der Deponie. Ein knallhartes Geschäft, bei dem nur einige wenige gut verdienen. "Sie finden Sachen, die wir kaufen: Plastik, Eisen, Metall. Da kann man schon was verdienen. Sehr viele Vertriebene leben derzeit davon", erzählt Schrotthändler, Abu Yamen.

Der Preis für die Kinder allerdings ist hoch. Haut- und Darmerkrankungen, eine ruinierte Kindheit ohne Zukunft. Eine Wahl aber haben Rakan und Fouzia nicht.

Autor: Daniel Hechler

Stand: 19.12.2021 20:41 Uhr

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