Mo., 22.06.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
UNO: Helfer werden zu Opfern
Manche werden entführt, manche überleben nur mit viel Glück einen Bombenanschlag, viele werden durch das, was sie sehen und erleben müssen, traumatisiert. Es ist die Rede von Mitarbeitern der Vereinten Nationen. Sie sind in den Krisenregionen dieser Welt unterwegs, sollen Frieden stiften, Hunger lindern, Kriegsparteien an den Verhandlungstisch bringen. ARD-Korrespondent Markus Schmidt (New York) porträtiert drei UN-Mitarbeiter, die im Sudan, im Kongo und Pakistan zu Opfern ihres Berufes wurden und die dennoch weiterarbeiten wollen: "Wir machen das, um die Welt ein wenig besser zu machen."
Markus Schmidt, Studio New York
Kein Hunger mehr in der Welt. Das hat sich World Food Program WFP auf die Fahnen geschrieben. Zero Hunger, ein ehrgeiziges, ja utopisches Ziel. Was steckt hinter diesen Hochglanz- Bildern. Wer sind diejenigen, die die Hilfe zu den Hungernden bringen.
Patrick Noonan ist vor wenigen Tagen aus dem Bürgerkriegsland Südsudan zurück. Er lächelt, diese Frauen haben für ihn gesungen – als Dankeschön. Und so sah er aus: nach 86 Tagen Geiselhaft im Nachbarland Sudan. "Ich war nur noch Haut und Knochen. Sie hielten mich nackt in Ketten bei Wasser und Orangen."
Aja Shneerson, Israelin, sie war über zehn Jahre Teamleiterin im Bürgerkriegsland Kongo, ihr Freund, ein Journalist, wurde ermordet. Sie machte weiter. "Ich stehe an der Seite der Machtlosen, derjenigen, die nichts haben, die hungern."
Gordon Brown haben sie bei der britischen Armee als Sprengstoffexperten ausgebildet, nun sorgt er beim WFP für Sicherheit. So sah er nach einen Sprengstoffanschlag in Pakistan aus. "Ich habe sie kommen sehen, dann machte es Bang. Das war mein Hotelzimmer."
Immer wieder werden UN-Mitarbeiter entführt
Team Besprechung in Rom. Patrick und Gordon diskutieren mit Experten die dramatisch schlechte Sicherheitslage im Südsudan und Sudan. Drei Mitarbeiter werden zur Zeit vermisst, schon seit Monaten, verschwunden bei einem Lebensmitteltransport im Südsudan. Vor Ort sind Hunderttausende auf die Lebensmittelrationen des WFP angewiesen. Ohne Leute am Boden ist die Versorgung nicht zu leisten. Über Entführungen und Todesfälle informiert das WFP nur sehr zurückhaltend. Wer in Länder wie dem Südsudan helfen will, darf nicht anklagen, sondern muß jeden Tag von neuen mit den Warlords, die töten, entführen und Lösegeld erpressen, verhandeln.
Und so hat die Öffentlichkeit bisher nicht erfahren, welches Martyrium Patrick durchgemacht hat, "Acht Rebellen kamen auf mich zu. Sie hielten mir ihre Waffen an den Kopf. Dann legten sie mich in Ketten. Sie brachten die Kette so an, dass ich immer gebeugt gehen musste." Er kam frei und machte weiter. Das sind die Fotos seines allerersten Einsatzes in Darfur im Sudan. Der Dorfvorsteher, mit dem er über die Zuteilung der Hilfslieferungen verhandelte hat, hier fährt Patrick durch die Menge derer, die auf Leute wie ihn angewiesen sind. "Ich würde für sie mein letztes Hemd geben. Wenn ich dann ihr Lächeln sehe, wie sehr sie mich brauchen, dann bin ich glücklich, ganz tief drinnen."
"Ich würde auch mit dem Teufel reden"
Aja bei ihren ersten Hilfsflug: "Da war ich noch richtig jung – so etwa 27." 10 Jahre Afrika, 10 Jahre Bürgerkrieg Kongo. Rastlos unterwegs. Sie hatte 23 Flüchtlingslager zu betreuen. Auf einer dieser Touren wäre sie fast vergewaltigt worden. "Sie hatten Macheten und blockierten unser Auto, sie standen völlig unter Drogen, sie wollten nicht das Auto. Was machst Du als einzige Frau, als einzige weiße Frau, ich bin in den Dschungel gerannt." Eine Frau versteckte sie in ihrer Hütte unter dem Bett, riskierte für sie ihr Leben. Aja machte weiter. Sie habe keine Sekunde ans Aufhören gedacht. Hier hat sie einen der Rebellenführer photographiert, mit dem sie verhandeln musste. Sicherheitsgarantien, freies Geleit für das WFP, um Frauen und Kindern zu helfen. Frage : Sie würden auch mit dem Teufel reden, um die Rationen durchzubekommen? "Ich würde mit allen reden, die sicherstellen können, dass meine Schutzbefohlenen etwas zu essen bekommen."
Längst sind auch die Helfer der Vereinten Nationen Ziel von Terroranschlägen. Und deshalb bringen erfahrene Ex-Soldaten wie Gordon den Humanitären bei, auf was sie achten müssen. Über all kann die Bombe versteckt sein. "Es schon bedauernswert, dass Leute, die das Kriegshandwerk so wie ich erlernt haben, bei der UN gebraucht werden. Das sagt uns viel über den Zustand dieser Welt." Gordon hat in Laos, Afghanistan ausgebildet. Junge Menschen, die die heimtückischen Minen wegräumen, die Soldaten wie Gordon einer war hinterlassen haben. "Wenn Du dann drei Wochen später auf dem Gelände Kinder spielen siehst und sie sind sicher, dann weißt du, warum du diesen Job machst."
Gedenken - einmal im Jahr
Bagdad, der 19.08.2003, der bisher verheerendste Bombenanschlag auf die UN. Im Hauptquartier werden 100 Mitarbeiter verletzt, und 22 sterben. Gordon war damals dabei und es ist für ihn kaum zu ertragen, sich die Bilder nochmal anzuschauen. Sein Freund Christopher Klein Beekman – der Mann, der ihn eingestellt hatte, starb damals in seinem Armen. "Gerade verheiratet, zwei Kinder – ein wirklich sympathischer Mann. He died in my arms."
Einmal im Jahr – am World Humanitarian Day gedenkt die UN ihrer Toten, deren Gesichter und Namen kaum einer kennt. Gordon zeigt mir die Schildchen derer, die das WFP verloren hat. Es sind 94, die da in der Lobby hängen. "Wir sind da und wir machen das, um diese Welt ein wenig besser zu machen."
Stand: 05.07.2019 11:17 Uhr
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