Mo., 28.09.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
USA: Geplatzte Träume – Volkswagen in Tennessee
Wer in Chattanooga landet, kommt an VW nicht vorbei. "Entwickelt in Deutschland – gebaut in Chattanooga": Passat made in USA. Und: Auch ein Diesel-Modell stellt Volkswagen hier aus - ausgerechnet.
Die Mehrheit hält zu VW
Jeden Abend um sieben ist Pool-Turnier in Chattanooga. Wer wissen will, was gerade so los ist, der muss hierherkommen. Im Billardclub trifft sich die halbe Stadt. Hier darf geraucht werden – getrunken sowieso, hier reden sie über alles, was gerade Thema ist. Also auch über Volkswagen. Der erste Schock über den Betrug sei vorbei, sagen sie und zeigen erstaunlich viel Verständnis für VW: "Ich bin sicher, dass Volkswagen ehrlich versucht hat, die Umweltstandards zu erreichen. Und als sie es nicht geschafft haben, haben sie eben ein bisschen gepfuscht. Ich glaube nicht dass es so schlimm ist wie sie es in den Medien darstellen", sagt ein Mann. "Man muss doch viel eher fragen warum sie überhaupt pfuschen mussten. Waren die Umweltauflagen zu streng? Auch die anderen Diesel-Hersteller schaffen es ja kaum, die einzuhalten."
Fast alle hier halten zu VW – eine Frau vertritt hier eher eine Minderheitenmeinung: "Ich fahre einen Hybridwagen, wegen der Umwelt. Und ich finde, VW muss bestraft werden. Ich muss auch jedes Jahr zum Abgastest um die Plakette zu bekommen. Man muss sie zur Rechenschaft ziehen." Auch VW-Mitarbeiter sind hier – viele kommen gleich nach der Schicht. Vor der Kamera will keiner mit uns reden. Das Werk habe allen verboten, mit der Presse zu sprechen.
Keine Interviews der Mitarbeiter
Das Werk ist gleich vor den Toren der Stadt. VWs einziges in den USA. Hier bauen sie den Passat. Mehr als 117.000 im vergangenen Jahr, immerhin ein Viertel davon Dieselfahrzeuge. Bei Volkswagen USA sind sie deshalb jetzt hochgradig nervös – das Management gibt keine Interviews. Und der Werksschutz will uns gar verbieten, das Gelände von außen zu filmen.
Auch in der Stadt sind sie lieber vorsichtig. 2.500 Jobs hat VW hier geschaffen, plus 10.000 bei Zulieferern. Chattanooga ist stolz auf seinen Strukturwandel – vom dreckigen Industriestandort zur umweltfreundlichen Stadt. In alte Fabrikhallen sind neue Unternehmen gezogen. Volkswagen und die Idee vom sauberen Diesel passten da perfekt hinein. Chattanooga ist so etwas wie das amerikanische Wolfsburg. Sie identifizieren sich mit VW hier, und für eine konservative Südstaatenstadt sieht man auffällig viele deutsche Autos. Selbst die Polizei fährt jetzt Passat – und zwar Diesel. Dabei hat Diesel nicht gerade das sportlichste Image hier. Sergeant Aalberg aber ist längst überzeugter VW-Fahrer. Nicht nur, weil der Passat so gute Verbrauchswerte hat: "Gucken sie mal, wie viel Beinfreiheit der hinten hat. Wenn wir eine Person festnehmen, kommt der nach hinten, in Handschellen. Bei den alten Autos mussten wir die Leute seitwärts reinschieben, weil es so eng war." Fast die ganze städtische Flotte ist umgestellt auf das deutsche Produkt – man fühlt sich einander verbunden.
Es geht um viel Geld
Die Chattanooga Times hat das Thema VW seit Tagen auf der Titelseite. Das Wohlergehen der ganzen Stadt hängt davon ab, wie Volkswagen die Krise meistern wird. Und dabei geht es um mehr als das befleckte Image einer Marke. Es geht auch um viel Geld. Insgesamt 900 Millionen Dollar an Subventionen hat Volkswagen bekommen. Und es gehe um Ehrlichkeit, sagt der Wirtschaftsredakteur: "Das Image von VW war bei uns in Chattanooga ja beinahe in Gold gegossen. Jetzt ist es ein wenig beschmutzt. Der Bundesstaat Tennesses plant jetzt Anhörungen – immerhin hat er einen Konzern subventioniert, der vielleicht bewusst betrogen hat."
Wir Amerikaner mögen keine Betrüger – den Satz hören wir hier oft. Aber: Amerikaner mögen, wenn jemand zu seinen Fehlern steht. Für den Regionalpolitiker Bo Watson ist der Fall klar: VW soll harte Strafen zahlen, die richtig wehtun und dann weitermachen. "Hören Sie, Volkswagen muss erfolgreich sein. Für Chattanooga und Tennessee ist es wichtig, dass VW läuft. Hier im Süden sagen wir: 'Okay, wenn du am Boden liegst, dann steh auf, klopf den Staub ab und mach weiter.' Das beste was die jetzt machen können ist: gute Autos bauen, aber ohne Tricks."
Beliebter Arbeitgeber
VW ist ein beliebter Arbeitgeber, auf die ersten 2.000 Stellen, erzählt man, hätte es gleich 60.000 Bewerber gegeben. Zehn Stunden dauert ein Arbeitstag im Werk – bezahlt wird weit über dem Durchschnitt. Die Nachtschicht endet um halb fünf in der Früh. Nach Schichtende treffen sie sich in den Diners und Frühstückslokalen der Umgebung. Spiegeleier, Toast und Kaffee gibt es ab vier Dollar, die meisten frühstücken hier, damit sie zuhause niemanden wecken, wenn sie von der Arbeit kommen. Auch diesmal entschuldigen sich die VW-Arbeiter – keine Interviews.
Robert Freeman arbeitet für einen der Zulieferer. Robert ist 62 und Volkswagen-Fan, seitdem er als Soldat in Deutschland stationiert war: "Ich kenne die Qualität von Volkswagen. Ich denke bis heute noch oft an diesen luftgekühlten Heckmotor. Das war ein Käfer, natürlich." Dass VW so dumm sei zu betrügen, das wolle ihm nicht in den Kopf, sagt er. Doch dass der Chef gleich zurückgetreten ist, das imponiert ihm. "Ehrlich gesagt, ich bewundere VW dafür, dass sie den Fehler sofort zugegeben haben. Sie sagen, sie wollen alles tun um ihn zu korrigieren. Das wird den Kunden gefallen." Auf dem Flughafen von Chattanoga ist die erste kleine Korrektur schon zu sehen: der Werbe-Diesel ist jetzt weg.
Autorin: Ina Ruck, ARD-Studio Washington
Stand: 09.07.2019 11:41 Uhr
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