So., 22.05.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
USA: Ein versunkenes Naturwunder taucht auf
Ein geflutetes Paradies! Keiner hier an Bord war geboren, als der Glen Canyon den blauen Tod starb. Ein spektakuläres amerikanisches Naturwunder versank im Stausee, dem Lake Powell. Mehrere Generationen vergaßen die Welt unter der flaschengrünen Wasseroberfläche. Dass die Felswände jetzt wieder auftauchen, selbst mit einem deutlichen weißen Badewannenrand, für Wade Quilter ist das, als könnte der Glen Canyon wieder atmen: "Wir können gerade nur das alleroberste Stück sehen. Das ist, als ob da eine sehr schöne Person wäre und du kannst nur die Augen sehen, alles andere ist verdeckt. Ich würde gerne auch den Rest sehen können!"
Der Glen Canyon spaltet die Gemüter
Wade ist Medizinstudent und River Guide. Er hat seine Verlobte Emma dabei – und Mutter Jana Quilter. Beide, Mutter und Sohn, engagieren sich für die Wiederbelebung des Canyon. Die Flutung empfinden sie als Verbrechen – so als würde man den Kölner Dom bis an die Spitzen unter Matsch begraben! "Das ist emotional für mich. Der Glen Canyon ist ein Geschenk, das die Natur uns überreicht hat. Er ist spirituell, er ist gewaltig, er verbindet uns. Er ist ein Geschenk, das wir selbstsüchtig missachtet haben", sagt Jana Quilter vom Glen Canyon Institute.
Das empfinden hier nicht alle so: Früher kamen etwa drei Millionen Tourist:innen pro Jahr zum Lake Powell. Jetzt treffen wir kaum noch jemanden, weil die Bootsrampen trocken liegen – nur ein Partyboot! "Wir wollen den See behalten", rufen die Studenten. "Wir haben doch schon den Grand Canyon!"
Das Wasser schafft Tatsachen für beide Lager: In den vergangenen Jahren ist der Pegel um 50 Meter gesunken – allein 2021 ging er 15 Meter runter und legt Vergangenheit frei. Ganze Seitencanyons werden von der Natur zurückerobert, die versunkene Welt öffnet sich wieder. "Das hier sind Wanderwege, die für Jahrzehnte überflutet waren. Und jetzt kann man die wieder gehen – und vielleicht ist das ja die Zukunft vom Glen Canyon, wenn er denn trockengelegt wird", sagt Korrespondentin Verena Bünten. Alles hier war komplett unter Wasser! "Ich wünsche mir genau das! Ich kann mir nicht vorstellen, alles wieder unter Wasser zu begraben. Das hier ist es doch, was wir wollen, wo wir unseren Frieden finden. Es ist aufregend zu denken, dass ich hier eines Tages mit meinen künftigen Kindern durchwandern werde", erählt Wade Quilter.
Die Zeiten und der Wasserstand haben sich verändert
Tausende Menschen aber leben vom Lake Powell! Mike und Paul McNabb bieten als Familienunternehmen Angeltouren an. Felsenbarsche gibt´s genug – aber immer weniger Tourist:innen, seit das Wasser weicht. "Mein Vater und ich fischen auf dem See seit ich zwei Jahre alt bin. Wenn das Wasser weiter so schnell sinkt, dann haben wir vielleicht noch nicht mal mehr fünf Jahre übrig. Hoffentlich lässt sich der Wasserstand halten, denn ich will mir keinen anderen Job suchen, ich mag, was ich tue. Das ist kein so schlechtes Büro hier draussen!", sagt Paul. Senior Mike schwärmt immer noch vom randvollen See: "Früher da hat das Wasser oben beim Hotel gegen die Küste geschlagen. Die Gäste konnten ihre Angel gleich aus dem Hotelzimmer ins Wasser auswerfen."
Jetzt ist das zweitgrößte Wasserreservoir der USA auf einem historischen Tiefststand - nur zu einem Drittel voll. Wegen Klimawandel und Dürre kommt weniger Wasser an, entscheidend ist aber, dass zu viele Staaten an ihr Wasserfestgeld-Konto gehen, meint Paul – und mehr abzapfen, als nachfließt: "Das größte Problem ist der Wasserverbrauch. Da gibt´s Phoenix, LA, Las Vegas – Riesenstädte mit vielen Leuten, die immer größer werden." Was würde helfen, will ich von ihm wissen? "Weniger bewässerte Golfplätze, weniger Springbrunnen in Las Vegas, besseres Haushalten mit Wasser, damit es bleibt, wo es hingehört: im See!"
Wie wird die Zukunft des Canyons aussehen?
Der Stausee in der Wüste – für die einen ein tragischer Fehler der Vergangenheit, für die anderen ein Geschäft: Hinter dieser 100 Meter starken Betonwand wird Strom für drei Millionen Menschen produziert. Der niedrige Wasserstand gefährdet jetzt auch das. Bob Martin will den Damm um jeden Preis halten – andere Stromquellen seien nicht so sauber wie seine Wasserenergie! "Ein Bauwerk dieser Größe einfach zu beseitigen, hätte gewaltige Auswirkungen auf die Umwelt und den Fluss. Das sind nun mal die Abstriche, die wir für die Entwicklung so einsamer Gegenden machen müssen. Es ist meiner Meinung nach einfach unmöglich, zu dem zurückzugehen, was vor 60 Jahren war", erzählt der Strom-Manager.
Ein gewaltiges Bauwerk von Menschenhand gegen die gigantische Architektur der Natur! Gregory Bridge heißt dieser Felsenbogen – im vergangenen Herbst stand er noch komplett unter Wasser. Jetzt fährt Wade mit dem Boot unten durch. Es sind nur ganz wenige Entdecker, die sich die auftauchende Welt in den vielen Seitencanyons erschließen. Über Stunden sehen wir niemanden. "So, wir haben wild gecampt hier im Canyon – keine Toilette, aber dafür hier oben – Hotel der 1.000 Sterne. Und , ja, es war eine unglaubliche Ruhe hier, die man ganz selten nur noch findet", sagt Verena Bünten.
Beim nächsten Abschnitt muss Wade ganz vorsichtig manövrieren – vorbei an wiederauftauchenden Baumspitzen. Es ist der Weg zur spirituellen Mitte des Glen Canyon: "Kathedrale in der Wüste" heißt der riesige Felsen-Dom! Schon immer war er eine Art Pilgerort für Wanderer, dann für Jahrzehnte nur für Taucher zu erreichen. Jetzt ist das große Staunen zurück! "Wir Menschen existieren vergleichsweise nur für Sekunden, das alles ist aber schon so lange hier! Es hat Millionen Jahre gedauert, um das zu erschaffen! Hoffentlich können wir es einfach nur genießen und nicht mehr daran herumpfuschen! Wie fühlst du dich?" "Überwältigt!"
Die wiederauftauchende Welt des Glen Canyon – sie ist voller Überraschungen. Weitere Wunder warten unter der Wasseroberfläche!
Autorin: Verena Bünten/ARD Studio Washington
Stand: 22.05.2022 20:48 Uhr
Kommentare