So., 09.05.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
USA: Hass auf asiatisch-stämmige US-Bürger
Für Noel wird es nie mehr sein wie vorher. Seit dem 13. Februar trägt er die Spuren von Hass und Gewalt am eigenen Körper. Der philippinische Einwanderer wurde in der Subway angegriffen, sein Gesicht mit einem Messer zerschlitzt – ohne Anlass. "Er begann mich zu treten , dann bin ich tiefer in den Wagen gegangen und habe mich von ihm abgewandt. Er ging auf mich los, hat mich aufgeschlitzt und ist geflohen", erzählt er, "ich habe meine Hände vor das Gesicht gehalten und Blut gespürt. Dann habe ich um Hilfe gebeten, aber niemand hat geholfen."
Erst als er ausstieg , rief jemand die Polizei. Der Verdächtige wurde später mithilfe eines Kamerabildes gefunden. Weil der Mann aber keine anti-asiatischen Beschimpfungen rief, ist ein Hassverbrechen schwer nachzuweisen. Noel jedenfalls beschloss direkt nach seiner Entlassung, an die Öffentlichkeit zugehen. Die U-Bahn hält er für den gefährlichsten Ort New Yorks: "Der Staatsanwalt sagt, die Anklage wegen eines Hassverbrechen sei schwierig, er werde jetzt nur wegen Körperverletzung klagen."
Viele Betroffene setzen auf Selbstschutz
Für viele asiatische Immigrant*innen ist der amerikanische Traum derzeit eher getrübt. Chris Kwok von der asiatisch-amerikanischen Anwaltskammer sieht die Ursachen nicht nur in Alltagsrassismus, sondern auch in der Politik: "Die jüngste Verschlechterung beginnt mit den schlechten Beziehungen zwischen der USA und China. Das geht schon seit einigen Jahren. Trumps Amtszeit hat die Rhetorik noch verschärft. Und die Entdeckung des Covid-19 Virus in Wuhan war das Streichholz, das das Feuer entfacht hat."
Die Täter werden oft von Kameras überführt, wie hier in Brooklyn. Eine junge Frau wird von ihm brutal zu Boden geworfen. Zwei junge Asiatinnen werden attackiert, mit einem Hammer – sie hatte die beiden Passantinnen zuvor aufgefordert ihre Maske abzunehmen. In der U-Bahn filmen Fahrgäste wie ein junger asiatischer Mann zusammengeschlagen wird.
In New Yorks China Town will man das nicht hinnehmen. Karlin Chan hat vor einem Jahr eine Bürgerwehr geründet, die einfach durch Anwesenheit für mehr Sicherheit sorgen will. Ausgestattet mit Kameras macht sich seine bunte Truppe von Freiwilligen auf den Weg durchs Viertel – dreimal die Woche gehen sie Patrouille. Die Chinatown Blockwatch kommt aus allen Teilen der Stadt zusammen, um rassistische Gewalt zu verhindern und Aufmerksamkeit für das Problem zu schaffen.
"Dieses Jahr wurden fast 60 Angriffe in den ersten dreieinhalb Monaten angezeigt. Die Leute sind sensibler geworden und sind eher bereit, Anzeige zu erstatten. Das ist gut", sagt Karlin Chan und Adrian Carr fügt hinzu: "Es gut für die Gemeinschaft, wenn sie sehen, dass jemand hier ist. Wenn wir eine Person erreichen und die etwas unternimmt, haben wir gewonnen. Vielleicht gibt er das weiter."
Sie werden immer mehr, aus allen Altersgruppen und in allen Hautfarben. Fay erzählt uns, dass alle Asiat*innen ständigen kleinen Aggressionen ausgesetzt sind, oft werden daraus feindselige Drohungen. Auch sie muss das erleiden: "Viele von meinen Freunden haben jetzt Taschenmesser oder Taschenalarmanlagen dabei, wenn sie das Haus verlassen."
Große Hoffnung in Bürgermeisterkadidaten Yang
Vor den Regierungsgebäuden der Federal Plaza wollen sie sich Gehör verschaffen. Immerhin hat die Polizei mittlerweile aufgestockt, mehrsprachige Beamte sind verstärkt unterwegs, aber das Grundproblem des Rassismus können sie nicht lösen.
Hoffnung setzen viele in Andrew Yang, den aussichtsreichsten Bewerber für die anstehende Bürgermeisterwahl und ehemaligen Präsidentschaftskandidaten. Er will New York wieder auf die Beine bringen und endlich den tief sitzenden Rassismus zwischen allen Bevölkerungsgruppen angehen. "Wir müssen eine klare Botschaft senden. Es gibt keinen Platz für Hass in New York. Wir müssen die asiatische Taskforce erweitern, damit das nicht nur Freiwillige machen. Wir müssen versuchen Vertrauen aufzubauen, damit asiatische Amerikaner und überhaupt alle ihre Erfahrungen teilen können und Hilfe der Sicherheitskräfte in Anspruch nehmen", sagt der Bürgermeisterkandidat.
Bis dahin gilt es auf sich selbst aufzupassen. Selbstverteidigungskurse sind derzeit höchst gefragt. Per Zoom und auch persönlich. Fen Yang will vorbereitet sein, sie übt und unterrichtet Selbstverteidigung im Park: "Selbstverteidigung und körperliche Fitness helfen. Das baut Selbstvertrauen auf macht mich stark."
Für Noel ändert das alles nichts mehr. Am meisten ärgert ihn, dass die Stadt behauptet, die Subway sei sicherer als je zuvor. Insgesamt haben sich die Hassverbrechen gegen asiatische Amerikaner*innen in New York seit letztem Jahr verdreifacht. "Ich habe Angst, wieder mit der Subway zu fahren. Ich muss eigentlich den L-Train zur Arbeit nehmen, aber ich fühle mich nicht mehr sicher", sagt er. Noel hofft, dass die ganze Aufmerksamkeit etwas bewirkt. Er selbst bleibt für immer gezeichnet – Narben trägt er nicht nur im Gesicht.
Autorin: Christiane Meier / ARD Studio New York
Stand: 09.05.2021 20:38 Uhr
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