Mo., 07.03.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
USA: Raus aus dem Dschihad
Es gibt junge Menschen, die sind verführbar. Und es gibt radikale Verführer, die gezielt Schwachstellen ausnutzen. Von jungen Muslimen ist die Rede, von denen sich manche auch in den Vereinigten Staaten ausgegrenzt fühlen und Halt suchen. Und dabei über das Internet an militante Dschihadisten geraten. Dutzende von jungen Männern und Frauen sind in den letzten Jahren aus den USA nach Syrien, in den Irak oder auch nach Somalia gezogen, um in den Reihen islamistischer Terrorgruppen zu kämpfen.
Humera Khan ist eine resolute Frau, die sich zum Ziel gesetzt hat, radikalisierte Jugendliche wieder aus den Fängen der extremistischen Anwerber zu befreien. Humera Khan und ihre Mitarbeiter der Organisation Muflehun nutzen soziale Medien, um in heimlichen Kontakt mit gefährdeten Jugendlichen zu kommen und um sie Schritt für Schritt wieder zu "entradikalisieren" Ein Bericht von ARD-Korrespondentin Ina Ruck (ARD Washington).
Foto am Weissen Haus. Natürlich in Uniform, auch wenn es kalt ist. Eine Pfadfindergruppe aus Virginia auf Exkursion in Sachen Staatsbürgerkunde. Dazu gehört auch, zu verstehen, wie Meinungsfreiheit geht. Dass man vor dem Weissen Haus protestieren kann. "Verhaftet die jemand?" Nein", sagt der Gruppenführer mit Blick auf eine kleine Gruppe Demonstranten. "Und seht euch das an, die stehen direkt vor dem Fenster des Präsidenten." "Redefreiheit ist sehr wichtig", meint einer der Pfadfinder. "Länder existieren für ihre Bürger. Der Staat muss wissen was die wollen. Und das Recht der Menschen geht über alles."
Stolze Muslime und stolze Amerikaner
Der Treueschwur auf die Flagge gehört bei allen Pfadfindern dazu. "Eine Nation, unter Gott." Nur, dass ihr Gott einen anderen Namen hat. Die Boy Scout - Gruppe gehört zum Adams Center, einer islamischen Gemeinde im Bundesstaat Virginia. Die zweitgrösste der USA. Jugendarbeit nehmen sie hier sehr ernst. 5.000 Familien zählen zur Gemeinde. Imam Magid ist seit den Neunzigern hier. Auch in seiner Gemeide sei die Radikalisierung der Jugend ein grosses Thema. Es gelte, die Kinder zu immunisieren gegen den IS. "Wir müssen der jungen Generation die Möglichkeit zur Entwicklung geben, eine Umgebung, in der sie wachsen können. Sie sollen es schaffen, stolze Amerikaner zu sein. Und gleichzeitig stolze Muslime."
Der Imam berät Familien aus dem ganzen Land, die sich Sorgen um ihre Kinder machen. Er kennt die typischen Anzeichen dafür, dass ein Sohn oder eine Tochter in die Fänge der IS-Anwerber gerät. "Wenn die Kinder früh ins Bett gehen zum Beispiel und trotzdem bis in die Nacht das Licht brennt – der Chatpartner vom IS sitzt ja oft in einer anderen Zeitzone. Wenn sie sich isolieren, ihre Freunde nicht mehr treffen wollen. Und wenn sie plötzlich ungewöhnliche Dinge sagen wie: 'das ist nicht, wofür ich leben will' oder: 'ich will meine Seele nicht korrumpieren'. Oder sie reden von der globalen Mission." 250 Amerikaner und Amerikanerinnen haben sich in den vergangenen beiden Jahren dem sogenannten islamischen Staat angeschlossen. Fast alle wurden im Internet angeworben. Anders als in Europa rekrutiert der IS in den USA vor allem Online.
Rettung aus den Fängen des IS
Sich mit Humera Khan zu verabreden, ist nicht einfach. Sie ist viel unterwegs, berät Gemeinden und Staaten, sogar die UN. Humera ist Expertin für die Anwerbestrategien des IS. Seit Jahren beobachtet sie die Chaträume und Foren. Sie und ihre Mitarbeiter mischen sich ein, wenn sie sehen, da driftet jemand ab Richtung IS. "Wir reden mit ihnen im Netz. Ob wir mit ihnen übereinstimmen oder nicht, man muss sich erstmal auf die einlassen, verstehen, was wichtig ist für sie. Viele junge Leute treibt ein Gerechtigkeitssinn an. Sie sehen, was in Syrien passiert, sie wollen nicht zusehen, sondern etwas tun. Das ist ja gut, wir wollen ja, dass sie nicht gleichgültig sind. Und ja, die Katastrophe in Syrien geht uns alle an. Was wir ihnen vermitteln müssen ist: nach Syrien fahren und noch mehr Leute töten, das hilft niemandem."
Gruppentreffen bei den Boy Scouts. Entscheidungen werden hier demokratisch getroffen, mit Stimmzettel und Zählkommission. Auch das gehört zur staatsbürgerlichen Erziehung. Pfadfindergruppen gibt es in Gemeinden fast aller Religionen. Bei grossen Zeltlagern treffen wir uns, sagt Mikael. "Die Mehrheit sind Christen", erklärt Mikael Martinez."Aber es gibt auch Hindus oder Juden. Manchmal reden wir darüber, wenn ein anderer Scout zu mir kommt und fragt – wie machst du das, wie betest du?" Mikaels Familie ist komplett bei den Pfadfindern. Beide Eltern, alle sechs Kinder. Die älteste Tochter ist 18, spielt Fussball und will Tierärztin werden, der Vater arbeitet bei einer Softwarefirma. Eine moderne amerikanische Familie. Angst, dass ihre Kinder sich radikalisieren könnten, haben sie nicht", sagt Rizvan Jaka. "Eltern müssen ihren Kindern nah sein, sie müssen befreundet sein mit ihnen. Das ist wichtig." Und Priscilla Martinez ergänzt: "Und die Werte, die ihnen bei den Pfadfindern vermittelt werden. Dazu lernen sie auch praktische Dinge – wie man ein Zelt aufbaut. Oder erste Hilfe leistet. Das ist auch wichtig, das braucht man im Leben."
Seitenhieb auf Donald Trump
Priscilla und Rizvan sind in den USA geboren. Dass im Präsidentschaftswahlkampf Stimmung gemacht wird gegen Muslime, spüren wir natürlich, sagen sie – auch, wenn es nach dem elften September schlimmer war. Über Donald Trump und sein Einreiseverbot für Muslime können sie nur den Kopf schütteln. "Was Trump sagt ist, ehrlich gesagt, lustig", meint Rizvan Jaka. "Und es ist unamerikanisch. Wir glauben an die Verfassung. Wir lassen uns nicht schlecht machen von ihm. Dies ist Amerika. Wir stehen hinter der Verfassung und hoffen, er tut es auch."
Am letzten Wochenende war feierlicher Spatenstich für die neue, grössere Moschee. Sie sind stolze Amerikaner, sie sind selbstbewusste Muslime. Das sich das nicht ausschliesst, leben sie hier seit Jahrzehnten vor. Sich zuhause fühlen in seinem Land, sagen sie hier, und willkommen, das ist das beste Mittel gegen Radikalisierung.
Stand: 11.07.2019 07:10 Uhr
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