So., 06.11.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
USA: Konservative Kohlekumpel und progressive Solar-Anbieter
ARD-Themenwoche "Wir gesucht – was hält uns zusammen?"
Ihre Familie, Väter, Großväter arbeiteten noch alle als Kohlearbeiter. Schließlich machte dies die Region in Südwest Virginia aus. "Doch diese Industrie stirbt", erzählen die beiden Auszubildenden. "Also haben wir entschieden: Wir wollen Solarelektriker werden." Das sagt Mason Tyler. Sein Boss Jimmy ist stolz, dass sie es in der alten Kohleregion geschafft haben, die Zweifler im ländlichen Umland überzeugt haben: "Wir schaffen nicht nur neue Jobs, sondern können so auch unseren Teil beitragen, um das Klima zu schützen." Eine Win-Win-Situation für die Region. Eine Region, die eher für Menschen bekannt ist, die den Klimawandel leugnen.
Einst war "Solar" hier ein Schimpfwort
Dass sie mal an Solartechnik für Schulgebäude werkeln. Das hätten Mason Taylor und Anthony Hamilton niemals gedacht. Sie leben dort, wo sie mit erneuerbaren Energien bis vor Kurzem noch wenig zu tun hatten. Im Südwesten Virginias. Einst eine der Kohlregionen der USA. Wer hier aufwächst, wusste schon in der Kindheit, was er mal werden will. "Ich habe Fotos von meinem Opa und den Minen gesehen und dachte: Hey, das möchte ich auch in Zukunft machen", sagt Mason Taylor. "Dann haben sie mir aber erklärt, wie gefährlich die Arbeit ist. Das hat mich dann von dieser Idee abgebracht." Was könnte also eine andere Idee sein? In der Schulzeit noch erfahren sie von einer Solarfirma, die Praktikanten sucht. Sie bewerben sich. Statt Kohle ist ihre Chance nun Solar. "Es gibt viele verlassene Kohledörfer, in denen Menschen arbeiten wollten. Heute haben einige ihre Heimat verlassen, weil es eben nichts zu tun gab. So wurde es eine ausgestorbene Gegend."
Dort, wo "Solar" bis vor wenigen Jahren noch ein Schimpfwort war. In den Bergen, den Wäldern Südwest Virginias, wo sie stolz sind. Auf ihre Vergangenheit. Als wichtige, traditionsreiche Kohleregion. Doch fährt man durch die Region, wird schnell klar: Die besten Zeiten sind vorbei. Armut, Perspektivlosigkeit machen sich breit. Es wurde Zeit, dass sich in der Gegend etwas tut – damit es weitergeht, damit sie gemeinsam eine Zukunft haben. Bei Mason und Anthony hat es sich mittlerweile festgeregnet. Auf’s Dach steigt heute niemand. Zu gefährlich. Staat Solarpanelen bringen sie Schutzrohe und Konverterboxen an. Boss Jimmy Rogers ist froh, die beiden gefunden zu haben. "Miss mal hier grade ab, ob das so passt." Rogers hat ein Team von fünf Leuten. Sie fahren durch den republikanisch geprägten Südwesten Virginias. Schrauben Solartechnik an Schulen, Krankenhäuser, Verwaltungsgebäude.
Viele Möglichkeiten, den Klimawandel zu bekämpfen
2020 wurde in den USA zum ersten Mal mehr Energie aus Erneuerbaren gewonnen als aus Kohle. "Es hat schon gedauert, bis die Leute hier die Vorteile gesehen haben. Bis sie sehen, dass es eine Win-Win-Situation ist: Es gibt keinen CO2-Fußabdruck, es ist gut für die Umwelt. Ich denke, mehr Leute sollten das tun." Sie wollen Vorbild für ein neues Miteinander sein. In der Mittagspause kommt der Projektleiter vorbei. Matt McFadden. Mit ihm gerieten die Steine ins Rollen. Er vermittelte den beiden ihre Ausbildungsstellen. "Habt ihr eure Rollen gefunden?", fragt er. "Ich lerne die Technik, wie es richtig geht", erzählt Anthony. "Und klar", sagen sie. Es mache ihnen Spaß. Spaß an etwas Neuem. Am gemeinsamen Projekt. Kohlekumpel-Kinder und Solartechnik-Unternehmer. Tradition und Aufbruch.
Und es passiert noch mehr: An der Grenze zwischen Virginia und Kentucky, arbeiten sie ebenfalls an dieser Zukunft. Auf alten Kohleanlagen entstehen ganze Solarkraftlandschaften. Dafür sorgen NGOs von vor Ort wie Nature Conservancy. Sie kaufen Waldgebiete, Kohlegebiete im großen Stil, kooperieren dann mit Stromversorgern. Es geht um Naturschutz und den Ausbau der erneuerbaren Energien. Das Motto von NGOler Brad Kreps. "Diese Maßnahmen helfen der Umwelt und auch den Menschen. Mit unseren Investitionen in Solarenergie auf Kohlegebieten, geht es nicht nur darum, erneuerbare Energien zu produzieren, sondern auch darum, den Gemeinden hier neue Möglichkeiten zu bieten. Es gibt viele Optionen, den Klimawandel zu bekämpfen."
"Wir müssen denen, die nach uns kommen, eine bessere Zukunft hinterlassen"
Auch Projektleiter Matt McFadden will uns noch ein fertiges Solarprojekt zeigen. Auf den Dächern dieser Grundschule wird seit zwei Wochen Solarstrom produziert. Ausgerechnet mitten in einem kleinen, ehemaligen Kohle-Ort. In Wise. Besonders stolz sei McFadden auf dieses erste Projekt – denn es ist sein Heimatort – und nicht nur seine alte Schule, sondern auch die seiner Kinder: "So langsam ist den Leuten klar, dass wir etwas tun müssen. Weil auch unsere Urenkel brauchen einen Platz zum Leben. Wir müssen denen, die nach uns kommen, eine bessere Zukunft hinterlassen. Das verstehen die Leute langsam." Auch Mason und seine Kollegen sind zu einer Art Klimaschützer geworden – für ihre Region, ihre Heimat: "Unsere Generation. Wir sind die Zukunft. Es ist unsere Aufgabe dazu beizutragen, die Welt zu schützen. Irgendwer muss damit anfangen und das ist unsere Generation."
Autor: Jan Koch, ARD-Studio Washington
Stand: 07.11.2022 09:06 Uhr
Kommentare