Mo., 31.08.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
USA/Mexiko: Zerrissene Familien
"Illegale" werden sie genannt, die Mexikaner, die über die grüne Grenze in die USA gelangt sind und dort arbeiten. Es sind Millionen, auf der Suche nach ein wenig Wohlstand. Viele von ihnen haben Kinder, die in den USA geboren wurden und die damit automatisch einen US-Pass bekommen haben.
Aber die Eltern bleiben "illegal" und nicht selten werden sie, schon beim geringsten Gesetzesverstoß, ausgewiesen. So wie Antonia. Sie darf ihre Kinder, die in fremder Pflege leben, nur alle paar Wochen einmal sehen. An der Grenze zu Mexiko. Unter Polizei-Aufsicht. Eine Reportage von Markus Schmidt, ARD New York.
Tijuana, der Blick Richtung Grenze USA. Früher Morgen. Antonia bereitet die Lieblingsspeisen ihrer Kinder zu: Spaghetti mit Sauce. Heute ist ein ganz besonderer Tag, denn heute darf sie ihre Kinder besuchen – unter Aufsicht am Grenzübergang. "Es ist ein guter Tag, weil ich sie sehen kann", freut sich Antonia Castillo, "aber ich bin gleichzeitig auch traurig, weil man uns getrennt hat. Ich muss mich mit einer Stunde Besuchszeit im Monat abfinden."
Antonia kämpft um ihre Kinder
Zusammen mit ihrem Lebensgefährten macht sie sich auf den Weg. Antonias Kinder sind in den USA geboren – und haben damit dort automatisch die Staatsbürgerschaft. Paula und Klara leben bei Pflegeeltern in den USA. Die US-Behörden haben Antonia das Sorgerecht entzogen – wegen angeblicher Vernachlässigung. Sie hatte illegal in den USA gearbeitet und war vor zwei Jahren kurzzeitig nach Mexiko gereist, um ihren schwer kranken Vater zu pflegen – eine fatale Entscheidung. Als sie mit einem gefälschten Pass versuchte, wieder in die USA einzureisen, wurde sie ins Gefängnis gesteckt und dann abgeschoben. Illegaler Grenzübertritt gilt in den USA als ein Verbrechen: "Ich werde kämpfen, meine Kinder gehören doch zu mir, ich werde nicht aufgeben, bis wir wieder zusammen sind."
Der Blick von den Hügeln der Stadt auf den Grenzzaun - hochgesichert, hochumstritten, 10.000fach trennt er Eltern und Kinder. Selbst kleine Verstöße gegen das Gesetz reichen für die Ausweisung aus den USA. Fahren ohne Führerschein, bei Rot die Straße überqueren. Die New Yorker Organisation Human Rights Watch rechnet vor, dass Jahr für Jahr ca. 50.000 Mal Mütter aufgegriffen und abgeschoben werden. "Wenn sie ausgewiesen werden, versuchen sie zurückzukommen – immer wieder", erklärt Maria McFarland Sanchez-Moreno, Human Rights Watch. "Und das nur, weil sie gute Mütter sein wollen. Viele werden angeklagt wegen illegaler Einreise und kommen ins Gefängnis. Das ist ein sehr, sehr hartes Vorgehen."
Die Kinder sind hin und hergerissen
Die katholische Ordensschwester Adelia Contini kümmert sich um die abgeschobenen Frauen. Seit über 20 Jahren im Instituto Madre Assunta im mexikanischen Tijuana. Die Frauen vertrauen ihr, hier haben sie eine Bleibe. Auch Rossalva wurde abgeschoben. Ihren Mann Pedro und Sohn Edgar musste sie zurücklassen – in Kalifornien. Hier lebt sie schon seit einem Jahr, die Nonnen organisieren Anwälte, Übersetzer, Sozialarbeiter, und sie bringen Mütter und Kinder zusammen – wenn auch nur für ein paar Tage in den Ferien.
Auch Edgar, der Sohn Rossalvas, ist da. Diese Kinder haben alle einen Pass der USA. Rossalva ist heute das Herz ganz schwer. Sie muss Abschied nehmen. Sohn Edgar kehrt zurück über die Grenze nach Kalifornien und sie darf nicht mit. In Anaheim geht Edgar zur Schule, hier lebt er bei seinem Vater. "Edgar ist hin und hergerissen. Er erzählt mir, dass die USA seine Heimat sei, dass er gerne dort lebe und dann sagt er mir auch, er finde das Land abscheulich, weil es mich nicht bei ihm leben lässt."
"Die USA verstoßen mit dieser Praxis klar gegen internationales Recht"
Abschied. Adelia spendet den Segen. Sie kann und will nicht verstehen, warum man das Familien antut: "Wie sollen diese Kinder zu guten Menschen heranwachsen, wenn sie nicht bei ihren Eltern sein dürfen", fragt sich Adelia Contini , vom Instituto Madre Asunta. Und Maria McFarland Sanchez-Moreno von Human Rights Watch merkt an: "Die USA verstoßen mit dieser Praxis klar gegen internationales Recht, gegen Verträge, die die USA unterschrieben haben und die klar vorschreiben, dass man das Recht der Kinder, bei den Eltern zu leben, respektieren muss und nicht ohne Anhörung durch einen Richter deportieren darf."
Der Grenzübergang von Tijuana Mexiko nach San Diego USA – kilometerlang stauen sich tagtäglich die Autos. Antonia auf dem Weg zu ihrem Besuchstermin. Von der anderen Seite her kommen ihre Kinder unter Aufsicht von US-Beamten. Antonias Fall wiegt schwerer als der von Rossalva. Ihr wurde das Sorgerecht entzogen, sie darf ihre Kinder nur unter Aufsicht sehen. Wir bekommen keine Drehgenehmigung. Bilder, die Antonia uns mitgebracht hat. "Endlich konnte ich Ihnen zeigen, wie lieb ich sie habe, sie berühren, umarmen und küssen. Sonst kann ich ja nur am Telefon mit ihnen sprechen."
Warten auf die Gerichtsentscheidung
Betstunde im Instituto Madre Assunta. Auch Antonia haben die Nonnen geholfen, ihr einen Anwalt besorgt. Sie will das Sorgerecht zurück, um ihre Kinder legal zu sich nach Mexiko zu holen. Und muss nun von hier aus beweisen, dass sie eine gute Mutter ist, dass sie Geld und eine Wohnung hat . Auf ihrem Wohnzimmertisch stapeln sich die Dokumente und Belege, die sie alle vor Gericht beibringen musste. Die Kinderzimmer sind liebevoll gestrichen, doch die Behörden der USA geben ihre Kinder nicht frei. Seit fast zwei Jahren läuft das Verfahren vor diesem Familiengericht in Orange County. Am 13. August sollte hier die Entscheidung fallen. Antonia sitzt zuhause und wartet. Sie sollte um 13.30 Uhr per Telefon ins Gericht in die USA zugeschaltet werden, ihr Anliegen vertreten. Neun Minuten vor dem Termin erreicht sie die Botschaft: das Verfahren ist verschoben – mal wieder. "Warum dauert das solange. Meine Kinder brauchen mich doch. Sie sagen mir, dass sie sich alleine gelassen fühlen, dass sie traurig sind." Es ist Abend geworden. Draußen spielen die Kinder. Antonia schaut auf die Grenze zur USA. Irgendwo dort warten ihre Kinder.
Stand: 09.07.2019 06:22 Uhr
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