So., 20.11.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
USA: Von der Müllkippe zur grünen Stadt-Oase
José will die Kamera checken – gut getarnt, beobachtet die rund um die Uhr, ob es neue Bewohner:innen im Park gibt. Jede neue Tierart – für den Ökologen ein Zeichen, dass sich die Natur diese ehemalige Müllkippe zurückerobert. "Wir suchen gerade nach Ottern, ganz speziell nach nordamerikanischen Flussottern, die sich hier gerne aufhalten. Bisher haben wir noch keine Fotos von ihnen. Deshalb haben wir diese Kamera aufgehängt, um die Otter-Familie wiederzufinden, die wir im Frühjahr gesichtet haben", erzählt José. Die Otter haben sich wieder nicht blicken lassen. Dafür ein Opossum und ein alter Bekannter. "Guckt hier, diesen Hirsch haben wir schon vor langer Zeit markiert", sagt der Ökologe.
Die Natur kehrt zurück
Freshkills – weites Land vor den Toren von Manhattan. Mehr als 50 Jahre landete hier der Müll aus New York – 150 Millionen Tonnen. Eine der größten Kippen der Welt – mittlerweile versiegelt. Der Müll wird jetzt auf mehrere Halden verteilt oder verbrannt. Auch die Überreste der Zwillingstürme landeten nach dem 11. September hier. José ist ganz in der Nähe aufgewachsen, kann sich gut an den beißenden Gestank erinnern, der regelmäßig über ganz Staten Island lag. Jetzt dokumentiert er die Rückkehr der Natur: "Wenn es um Artenvielfalt geht, dann ist Freshkills eine unserer Kronjuwelen. Unser Ziel: Wir bringen die ehemalige Graslandschaft zurück und sorgen dafür, dass hier Artenvielfalt gedeihen kann, auch gefährdete Arten zurückkommen wie Heuschrecken, Spatzen und seltene Greifvögel."
Noch sind nur kleine Teile des Parks zugänglich, offiziell soll er 2036 eröffnet werden. Erst dann, wenn die Müllberge unter dem Grün gesackt sind. Nur in kleinen Gruppen dürfen die ersten Besucher:innen auf das Gelände. "Wir laufen gerade über Müll", erklärt die Parkmitarbeiterin. "Ihr seht hier acht Quadratkilometer Land – fast dreimal so groß wie der Central Park."
Diesmal sind viele ehemalige Anwohner:innen gekommen. Für sie ist es eine Reise in die Vergangenheit. Griselda Healy hat hier ihre Kinder groß gezogen, viel zu lange den Gestank ertragen, wie sie sagt: "Es ist riesig und so weitläufig. Früher durften wir hier nie hin, nicht einmal in die Nähe. Das ist unglaublich – so viel Land." "Das ist sehr bewegend für mich als gebürtige Staten Islanderin. Ich bin ganz in der Nähe der Müllkippe groß geworden. Dass das jetzt ein Park wird, berührt mich sehr. Für mich ist das wie ein Neuanfang, ein neues Leben", sagt Marisa Tornello, "ich habe gerade einen Schmetterling gesehen, und dachte: wahnsinn.“
Ein Langzeitprojekt
Das Schmuddel-Image wegtanzen, der früheren Müllhalde neues Leben einhauchen. Choreografin Kathy Westwater nimmt die Zuschauerinnen und Zuschauer mit auf eine ganz besondere Reise: "Wir verkörpern den Prozess, der sich im Müll unter uns abspielt. Vielleicht ja auch ein Symbol für andere Dinge. Für mich gleicht das einer Wiedergeburt. Die Dinge zerfallen und kommen als neue Materie wieder zusammen." Tanz auf dem Wohlstandsmüll. Die Natur wird zur Kulisse. "Das war wunderschön. Wie sich die Tänzer mit der Bewegung der Natur verbunden haben. Wie der Wind alles bewegt hat. Selbst die Schilfgräser waren wie kleine Tänzer", sagt Maris Tornello.
Wir nehmen die Fähre zurück nach Manhattan. Wollen den Mann treffen, der schon einmal einen Park mitten in New York gestaltet hat. Früher Bahntrasse – heute ein beliebtes Refugium für Menschen, Tiere und Pflanzen. Doch anders als die Highline, ist Freshkills ein Langzeitprojekt für James Corner. 30 Jahre kann es dauern, bis sich Vögel und Gräser wieder auf den Müllbergen ansiedeln. "Auch wenn es hier anfangs schon grün aussah. Ein Ökologe hätte gerade mal 100 Spezies gefunden. Wir überlassen es jetzt dem Ökosystem, für neue Artenvielfalt zu sorgen. Mittlerweile gibt es dort Zehntausende Arten von Tieren und Gräsern. Und es werden noch mehr werden", erzählt der Landschaftsarchitekt.
José Ramirez entdeckt fast jeden Tag neue Tiere und Pflanzen. Auch gefährdete Greifvögel hat er hier schon gesichtet. Und mit jeder Tierart, die hier auftaucht, so hofft José, ändert sich das Image einer Gegend, die lange als verseucht und verboten galt: "Manche haben immer noch ein negatives Bild von unserem Park. Das ist verständlich, nach all dem, was die Anwohner:innen jahrzehntelang ertragen mussten. Aber jetzt zu sehen, wie die Leute immer mehr anerkennen, was wir hier tun, motiviert uns jeden Tag."
In Freshkills führt die Natur Regie. Und zeigt, wie bunt und vielfältig sie sein kann, wenn die Menschen sie nur machen lassen.
Autorin: Marion Schmickler / ARD Studio New York
Stand: 20.11.2022 19:43 Uhr
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