So., 03.03.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
USA: Wahlbarometer am Mississippi
Der Mississippi – einer der längsten Flüsse der Welt. Im Norden der USA – noch klein und verästelt. Weiter im Süden: Großer Strom und Lebensader der US-Wirtschaft. An seinen Ufern liegen Städte wie Memphis oder New Orleans. Und ländliche Gegenden wie hier in Arkansas. Millionen Menschen profitieren vom Fluss und seinem Wasser. So vielfältig wie die Bundesstaaten an den Ufern, so unterschiedlich der Blick ihrer Bewohner:innen auf die politische Situation in den USA.
Sorge um Natur und Demokratie
Lake Itasca im Norden der USA. Hier, im Bundesstaat Minnesota beginnt meine Reise – an der Quelle des Mississippi. In der Nähe lebt Annie mit ihrer Familie. Sie sind Native Americans und gehören zur Ojibwe-Nation. Im Sommer, wenn das Eis geschmolzen ist und die Gräser wieder grün sind, erntet sie hier auf dem Reservat mit ihrer Familie wilden Reis – wie schon ihre Vorfahren. "Für mich und meine Familie ist es wichtig, dass das Land so unberührt bleibt. Wir können den Grund des Flusses sehen. Hier gibt es so viel Leben", erzählt sie.
Darum würde sich Donald Trump als Präsident nicht scheren, glaubt sie. Schon jetzt durchschneiden Pipelines das Reservat – gegen solch eine Leitung hat Annie gekämpft. Mehr als die Umweltzerstörung fürchtet sie das aufgeheizte politische Klima im Land. Woher ihre Angst kommt, erzählt sie mir zu Hause, beim Trommeln mit ihren Enkeln: "Unter Trump wären nicht nur unsere Ressourcen in Gefahr. Er würde Verhaltensweisen dulden, die nicht akzeptabel sind. Es wird alles für ihn vorbereitet, damit er tun kann, was er will. Wie ein Diktator."
Sie bereite sich darauf vor, im Zweifel autark hier auf dem Reservat leben zu können. Außerhalb fühle sie sich schon heute nicht immer verstanden: "Wenn man in die Stadt geht, sieht man niemanden von uns auf den Straßen. Wir sind unsichtbar. Ich fühle mich in nichts dort wiedergespiegelt." "Ich habe Angst, dass Trump gewählt werden könnte. Wir könnten unsere Heimat verlieren. Er ist nicht nett zu andersfarbigen Menschen", findet Zayne Humphrey. Sie glaube nicht mehr an die Politik, sagt sie. Trotzdem will Annie wählen: "Ich würde Biden nur wählen, damit Trump nicht Präsident wird. Nur deshalb. Nicht, weil ich Biden bewundere."
Marode Infrastruktur und Migration
Für uns geht die Reise weiter. Unser nächster Stopp liegt in einem der Bundesstaaten, die zum so genannte Flyover-Country gehören. Das sind die Staaten, über die viele hinwegfliegen, ohne dort zu landen, weil es nur wenig große Städte oder bekannte Sehenswürdigkeiten gibt. Aus dem klaren Flüsschen ist ein großer Strom geworden. In Osceola im Bundesstaat Arkansas ist der Mississippi ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Jeff nimmt mich mit aufs Wasser. Hier rangieren und beladen sie Lastkähne. "Wie wichtig ist das für die Region?" "Sehr wichtig. Wir leben von der Landwirtschaft und alles, was auf dem Feld wächst, muss weitertransportiert werden. Es ist also sehr wichtig", antwortet Jeff Worsham.
Jeffs Job: Dafür zu sorgen, dass die Lastkähne richtig beladen werden. Zum Beispiel mit Reis. Nirgendwo in den USA wird davon so viel angebaut wie in Arkansas. Das Problem: Die Ware muss es erstmal bis zum Hafen schaffen. "Unsere Straßen sind schlecht. Wir brauchen bessere Infrastruktur. Der Verkehr ist schrecklich. Die Straße hier ist nachmittags komplett dicht. Stoßstange an Stoßstange", sagt der Hafenmanager.
Jeff nimmt mich mit auf die Silos, in denen sie Getreide zwischenlagern, bevor die Lastkähne es über den Mississippi abtransportieren. 5,1 Milliarden US-Dollar will die Biden-Regierung in Arkansas in die Infrastruktur stecken. Neben der Wirtschaft ist das zweite wahlentscheidende Thema für Jeff die Migration. "Welche Erwartungen haben Sie an den nächsten Präsidenten? Was muss er tun?" "Ich wünschte, wir könnten die Grenze schließen oder den Zugang beschränken. Um zu überprüfen, wer kommt. Wir sollten denen helfen, die Unterstützung brauchen. Ich bin mir sicher: Wenn sie so weit zu Fuß laufen, um hierher zu kommen, muss es ihnen schlecht gehen. Aber ich glaube nicht, dass wir ganz Südamerika und Mittelamerika ernähren und uns um alle kümmern können."
Jeff war Trump-Wähler. "Würden Sie ihn nochmal wählen? Und wenn nicht: Warum nicht? "Ich bin mir nicht sicher. Für Biden werde ich nicht stimmen. Aber wählen will ich. Ich weiß nicht, was ich tun werde", antwortet er. Obwohl die Biden-Regierung Geld für die Region bereitstellt, will Jeff ihm seine Stimme nicht geben. Was ihn an Joe Biden störe, will ich wissen. "Was er mit der Grenze macht. Und sein Alter. Ich habe das Gefühl, dass mit seiner Gesundheit was nicht stimmt."
Politik für die Themen der jungen Wähler:innen im Land
Die nächstgrößere Stadt, an der die Kähne, die Jeff belädt, flussabwärts vorbeifahren, ist Memphis. Hier leben viele junge Menschen – Home of the Blues, in der Stadt startete schon Elvis Presley seine Karriere. In Memphis studieren die Republikaner Anthony, Seth und Max. Sie glauben noch daran, dass Politik etwas verändern kann. Gemeinsam organisieren sie Veranstaltungen auf ihrem Uni-Campus, um für die Republikaner zu werben. Sie ärgert am meisten, dass es möglicherweise wieder auf ein Duell der alten Männer hinausläuft. "Es ist ein Problem, wenn all diese alten Leute versuchen, politische Entscheidungen zu treffen, die sich in den nächsten Jahren auf das Land auswirken, obwohl sie selbst – offen gesagt – in Zukunft nicht mehr da sein werden", erklärt Max.
Anthony darf dieses Jahr zum ersten Mal wählen. Er hätte sich mehr ernsthafte Konkurrenz für Donald Trump im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner gewünscht. Dass Trump voraussichtlich Spitzenkandidat seiner Partei wird – ein Dilemma, erzählt er mir: "Ich stehe in großen Teilen hinter seiner Politik. Aber was ich nicht an ihm mag ist die Art, wie er sich präsentiert. Amerikas Ruf hat sich mit ihm drastisch verschlechtert. Mit Joe Biden auch. Aber mit Trump hat der Absturz begonnen. Er verhält sich nicht so, wie es sich für eine Führungspersönlichkeit gehört. Das ist wie im Kindergarten. Trump sorgt für Schlagzeilen, aber für die schlechten." "Ich finde, Politik muss wieder gemäßigter sein. Dass es in Amerika wieder eine eher versöhnende Stimme geben muss", sagt Seth.
Anthony nimmt mich mit in sein Verbindungshaus. Hier lagern Sticker, Anstecker und Aufkleber. Mit denen wollen die College Republicans junge Wählerinnen und Wähler für Politik gewinnen. "Was sind aus deiner Perspektive die dringendsten Probleme junger Menschen, die der Präsident angehen muss?" "Vermutlich die Wirtschaftspolitik. Wir haben eine Immobilienkrise. Vor 20-30 Jahren war klar: Du wirst heiraten, Kinder bekommen und mit Anfang/Mitte 30 ein Haus haben. Das ist im heutigen Amerika einfach nicht möglich", erzählt Anthony.
Sichtbarkeit für alle
"Happy Mardi Gras!" Karneval in New Orleans. Es ist der letzte Stopp unserer Reise entlang des Mississippi. Mitten im Trubel treffe ich Asali. An ihrer Bühne zieht der Umzug eines berühmten Afroamerikanischen Karnevalsvereins vorbei. Mardi Gras mit den bunten Paraden bringt die Wirtschaft in Schwung. Allein letztes Jahr hat der Karneval diese laut einer neuen Studie mit knapp 900 Millionen Dollar angefeuert. Aber: In ihrer Community komme davon zu wenig an, meint Asali. Obwohl auch ihre Traditionen den Karneval zur Attraktion machen, sagt sie: "Wir haben ein gewisses Mitspracherecht. Aber wenn es darum geht, Entscheidungen über die Wirtschaft zu treffen oder über die Entwicklung von Stadtvierteln, will niemand unsere Stimme hören. Sie wollen uns singen hören, kochen sehen, aber sie wollen nicht darüber reden, wie die politische Realität aussieht, in der wir leben. Und das muss sich ändern."
Wie schwierig das ist, darüber macht sich Asali keine Illusion. Das habe die Wahl Donald Trumps als Nachfolger von Barack Obama deutlich gemacht: "Amerika wollte uns zeigen, dass selbst der dümmste Weiße immer noch besser ist als jeder Schwarze." Mit ihrem Kulturverein will Asali möglichst viele – vor allem junge Schwarze – motivieren: Aufzustehen gegen Ungerechtigkeiten und stolz zu sein auf die eigene Kultur. Darüber zu sprechen geht ihr nah: "Ich hoffe, dass wir eines Tages in einer Stadt leben, in der alle, die sie ausmachen und die, die davon profitieren, gleich behandelt werden."
In der bunten Stadt endet meine Reise. Die Menschen haben mir Einblicke in ihr Leben gegeben. Dass die Wahl für sie nicht einfach wird, war mir klar. Die Seele Amerikas – so nennen sie den Mississippi auch – in diesem Jahr wird sie wohl nicht zur Ruhe kommen.
Autorin: Sarah Schmidt / ARD Washington
Stand: 03.03.2024 20:45 Uhr
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